Im Vorfeld des heutigen Freitags, 17. Dezember 2021, verbreitete die „Bewegung Leipzig“ einen Aufruf auf dem eigenen Telegram-Kanal, in welchem Menschen aufgefordert wurden, heute ab 17 Uhr Kerzen an der „Demokratieglocke“ auf dem Augustusplatz aufzustellen. Zynischerweise für die Menschen, die „im pflegerischen und medizinischen Bereich arbeiten“, möchte man so ein Zeichen setzen – natürlich nur gegen die berufsbedingte Impfpflicht. Um die durch Ungeimpfte herbeigeführten ITS-Überlastungserscheinungen kümmert man sich weniger. Gleichzeitig behauptete das Bündnis, es handele sich dabei nicht um eine Versammlung nach Versammlungsrecht. Die LZ hat beim zuständigen Ordnungsamt nachgefragt und begleitet die heutige „Kerzenaktion“ live.

Denn die „Bewegung Leipzig“ zeigte sich vorab sicher und verbreitete eine angeblich im Netz gefundene Meldung nur weiter. Auch ein beliebter Bauerntrick bei den Impfgegnern, um im Nachgang – wie eigentlich bei allen ihren Handlungen – etwaige Konsequenzen nicht tragen zu müssen.So sei laut dem Bündnis „dies keine Versammlung, wie uns die Versammlungsbehörde gerade erklären wollte. Eine Kerze abstellen und sich dann wieder zu entfernen und ggf. in der Nähe noch mit Menschen zu unterhalten, ist nicht verboten. Wer sich also entschließt, eine Kerze abzustellen, sollte Folgendes beachten. Keine Transparente, Plakate oder ähnliches mitführen. Keine Trommeln oder Megafone. Keine großen Grüppchen bilden. Denn das hat dann keinen Versammlungscharakter. Persönlich eine Kerze abstellen ist keine Demo/Versammlung. Sich mit Menschen in kleineren Gruppen zu unterhalten, auch nicht.“ (Fehler im Original)

Fragen an das Ordnungsamt Leipzig

Das Ordnungsamt Leipzig zeigt sich auf Nachfrage wenig konkret. Oder anders formuliert: Man eierte ganz schön herum. Im Fazit wolle man vor Ort sehen, was geschehe und dann entscheiden, ob es sich nun bei dieser Art „Kerzenversammlung“ mit vorherigen Aufrufen und Mobilisierungen um Versammlungen handelt oder nicht. Interessant auch, dass man dann ja darauf bestehen müsste, dass sich ein/e Versammlungsanmelder/-in findet – etwas, worauf die sogenannten „Querdenker“ keine Lust haben.

Gut, sagt man sich dann. Also könnten ja auch andere Privatpersonen vor Ort erscheinen und die Kerzen auch wieder wegräumen? Immerhin handelt es sich ja nicht um eine Versammlung, also keine vom Grundrecht geschützte gemeinsame Meinungsbekundung und die Kerzen, einmal abgestellt, sind irgendwie kein Eigentum mehr von irgendwem.

Nicht wenige erinnern sich ja noch an den Polizeieinsatz, welcher am 29. November 2021 am Neuen Rathaus jenem Minderjährigen galt, welcher anfing, die Kerzen auszublasen.

Das Ordnungsamt Leipzig, gewohnt vorsichtig, dazu: „Zum Recht Dritter, Kerzen und Blumen umgehend zu entfernen, kann im vorliegenden Fall keine pauschale Stellungnahme abgegeben werden. Abhängig ist dies u. a. von den Eigentumsverhältnissen im konkreten Einzelfall.“

Eine gegebenenfalls „erforderliche Beräumung und Reinigung“ könne aber auch durch die Stadtreinigung erfolgen. Diese sei „im konkreten Fall des 17.12.2021 auch entsprechend vorinformiert.“

17:30 Uhr: Die Situation vor Ort

Video: LZ

17:55 Uhr: Laufen lassen, zu wenig Polizei, verkehrte Welt

In den vergangenen Tagen ist ja auch viel über das Vollzugsdefizit im Freistaat Sachsen angesichts massenhaft auftretender und von Rechtsextremisten wie den „Freien Sachsen“ gepushter Klein-Versammlungen (die keine sind) überall im Bundesland debattiert worden.

Gelernt haben die Behörden daraus aber nicht oder eben etwas anderes, als gedacht. Es seien zu wenige Beamte da, meint nun die Polizei vor Ort auf dem Augustusplatz, um dem Versammlungsrecht entweder Geltung zu verschaffen, indem sich ein Versammlungsanmelder findet oder eben die Ansammlung aufgelöst wird. Die Durchsagen der Beamten verhallen ohne Reaktion, vereinzelt ist ein „Halts Maul“ zu hören.

Stattdessen (Video) kümmern sich die Beamten erneut darum, eine nicht existierende, aber stattfindende „Versammlung“ vor Störungen von Gegenprotestlern zu schützen. Soeben wurde ein junger Mann abgeführt, der mit Mund-Nasen-Schutz nicht zur sonstigen Ansammlung passte und wohl „störte“.

Die versammelten „Querdenker“ und Impfgegner rufen ihren Dank dafür hinterher.

Damit wäre also schon mal geklärt, dass hier jene, die sich nicht an die aktuellen Coronaschutz-Gesetze halten, den Schutz der Polizei genießen, ihre Kerzen abstellen (und dennoch behalten) dürfen und der Gegenprotest, welcher eine Versammlung ordnungsgemäß als Kleingruppe angemeldet hat, im Zweifel abgeführt wird.

Ein Gegenprotestler wird abgeführt, nachdem er versucht hatte, die Kerzen mit Wasser zu löschen. Video: LZ

Verkehrte Welt am 17. Dezember 2021 auf dem Leipziger Augustusplatz. Von Abstellen der Kerzen und wieder entfernen der Menschen ist auch nichts zu sehen – ein weiteres Mal lässt sich der Rechtsstaat an der Nase herumführen und zeigt, wie wenig ernst er sich selbst und seine Regeln in der Coronakrise nimmt.

Impressionen zwischen 17 und 18 Uhr Augustusplatz Leipzig

Video: LZ

18:30 Uhr: Der Gegenprotest – mengenmäßig gehemmt und eine Leipziger Erklärung

Vor Ort wird die Situation langsam etwas lauter. Der Gegenprotest, welcher seine Versammlungen anmeldetet, mit Mund-Nasen-Schutz herumläuft und Abstände wie auch die Begrenzungen von 10 Personen pro Versammlung einhalten muss, skandiert „Geht sterben“ und fordert auf Plakaten die Impfpflicht gegen COVID-19 ein (siehe Video im Anschluss).

Es wird das Eintreffen der Stadtreinigung erwartet, welche nun die Kerzen beräumen soll. Unklar ist, ob dies die rund 200 „Querdenker“ ohne Widerstand geschehen lassen.

Gleichzeitig gaben heute Leipziger Bürgerrechtler/-innen von 1989 eine Erklärung heraus, in welcher es unter anderem unter der Überschrift „Leipziger Initiative weist Anmaßung vermeintlicher Impfgegner zurück“ heißt:

Dutzende namhafte Vertreterinnen und Vertreter der Leipziger Zivilgesellschaft haben die provozierenden und meist lauthals aggressiven „Spaziergänge“ verurteilt, mit denen seit geraumer Zeit kleine Gruppen in vielen Städten und Regionen Deutschlands gegen Entscheidungen der Corona-Politik protestieren.

Es sei absurd und anmaßend, wenn sich die Demonstrierenden als ‚wahre Verfechter von Demokratie und Freiheitsrechten’ darstellten, heißt es in einer Erklärung, die die Stiftung Friedliche Revolution am Freitag in der Messestadt veröffentlicht hat.

Von den Teilnehmenden an diesen „Spaziergängen“ werde Hass und Häme verbreitet, so die Initiatoren um Gesine Oltmanns und Gisela Kallenbach weiter.

Sie schreckten auch nicht vor Gewalt zurück und ließen sich von rechtsextremistischen Kreisen vereinnahmen. Entgegen ihren Parolen sei klar, „Ihr seid nicht das Volk!“, betont die Erklärung, die u. a. von der früheren Europa-Abgeordneten Gisela Kallenbach, vom Vorstand der Stiftung Friedliche Revolution sowie mehr als 50 weiteren Persönlichkeiten erstunterzeichnet ist, darunter auch vom Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung.

Der Wortlaut der Erklärung befindet sich zudem auf der Homepage der Stiftung (www.stiftung-fr.de), wo auch weitere Unterschriften gesammelt werden.

Szenen ab 18 Uhr auf dem Augustusplatz Leipzig

Video: LZ

18:55 Uhr: Ungeklärte Eigentumsverhältnisse und die Stadtreinigung bekommt Hilfe angeboten

Seit 18:35 Uhr, also pünktlich gegen Ende der „Querdenker“-Aktion, Kerzen für jene wenigen Pflege- und Krankenhauskräfte aufzustellen, die sich bis heute nicht haben impfen lassen, verkündet die Polizei nun (mal wieder), gegebenenfalls die Ansammlung auflösen zu wollen und unterbindet das Aufstellen weiterer Kerzen. Unterdessen ist die Stadtreinigung eingetroffen, während der Gegenprotest „Kerzen aus, Nazis raus“ skandiert.

Und Hilfe bei der Entsorgung der Kerzen anbietet. Die ist jedoch offenkundig seitens der Polizei nicht gern gesehen. Während die von der „Bewegung Leipzig“ zur Kerzenaktion aufgerufenen Impfgegner ihre Kerzen mitnehmen dürfen, darf der Gegenprotest bei der Beräumung der herrenlosen Güter nicht behilflich sein. Wenn es manche versuchen, werden sie umgehend von der Polizei verfolgt.

Videoimpressionen ab 18:35 Uhr auf dem Augustusplatz Leipzig

Video: LZ

Ein erstes Fazit zur heutigen Versammlung, die keine war

Erneut haben also heute – nach dem 29. November 2021 und dem 7. November 2020 – die „Querdenker“ in Leipzig gelernt, dass für sie die Regeln alle nicht gelten. Über 1,5 Stunden haben sie sich in einer teils dicht gedrängten Menge von rund 200 Personen versammeln, gemeinsam unter Vorankündigung ihre Meinung (in einer Diktatur) kundtun können, und wurden dabei von der Polizei vor „Störungen“ beschützt.

Und nun geht es ins wohlverdiente Wochenende. Vielleicht ja mit der einen oder anderen Neuinfektion. Aber das macht nichts, denn wie bekannt ist, verzichten Impfgegner ja bekanntlich frühzeitig und freiwillig auf ein Intensivbett, wenn ihr Verhalten dann Konsequenzen hat. Auch wenn sie nicht glauben, was Sachsens Krankenhäuser bestätigten – dass auch Nicht-Corona-Patienten längst unter der Überbelastung mitleiden.

Dennoch haben sie alle selbstverständlich eine Patientenverfügung gemacht, die ihre ITS-Behandlung wirksam ausschließt. Mutige Menschen eben, selbstlos im Kampf gegen einen Virus, also eine Diktatur. Oder so.

Nachtrag: Die Polizei teilte auf Twitter mit, sie habe verschiedene Personen angesprochen und auch Bußgelder wegen Verstößen gegen die Corona-Schutzverordnung Sachsens verhängt. Die Mitteilung erlebt gerade ein wenig Spott im sozialen Medium.

Anzahl und Höhe der Bußgelder sind noch unklar und werden sicherlich in der Pressemitteilung zur Versammlung noch mitgeteilt. Theoretisch kostet eine Beteiligung an einer solchen Versammlung 250,00 Euro und deren Organisation 1.000,00 Euro.

Die Stadtreinigung darf beräumen

Video: LZ

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