Rund um Weihnachten öffnen sich die Herzen. Wohnungslose Menschen werden wahrgenommen, die Tafeln rücken in den Fokus, karitatives Engagement steigt, es wird gespendet. Kaum ist das Fest vorbei, ist es das auch mit Aufmerksamkeit und Mitgefühl. Ich will niemandem diese vorweihnachtliche Beruhigung des eigenen Gewissens vorwerfen. Die Betroffenen profitieren von dieser kurzen Phase der Gutherzigkeit.

Doch schauen wir auf das, was im Windschatten des leuchtenden Weihnachtsfestes über die politische Bühne getrieben wird, wird einem angst und bange. Während Nächstenliebe beschworen wird, werden Rechte geschliffen. Die Bürgergeldreform wird zurückgedreht, das Asylrecht in EU und Bundesrepublik faktisch zu Grabe getragen.

Kürzungen sorgen für die Abwicklung von Projekten, die tagtäglich Unterstützung für jene leisten, die in der gesellschaftlichen Hierarchie ganz unten stehen: Menschen, die in Armut leben, Menschen, deren Aufenthaltsrecht bedroht ist. Gleichzeitig werden Immobilien an die Börse gebracht, Mieterinnen und Mieter auf die Straße gesetzt, weil sie nicht mehr profitabel genug sind. Das ist kein Zufall. Das ist politische Linie.

Wovon ich träume?

Ich träume davon, dass endlich die Strukturen zerstört werden, die Ungleichheit und Unfreiheit zementieren. Strukturen, die dafür sorgen, dass Reiche immer reicher und Arme immer ärmer werden. Die Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ihres Passes oder vermeintlich „falscher“ Fluchtgründe entrechten und ihnen das letzte Quäntchen Würde rauben.

Diese Strukturen haben Namen: Kapitalismus, Rassismus und Nationalstaat.

Aufgerüstete Grenzen, die entwürdigende Bezahlkarte für Geflüchtete, die Gängelung all jener, die auf Unterstützung angewiesen sind – all das sind keine Sachzwänge. Es sind bewusste politische Entscheidungen.

Auch die Behandlung von Wohnraum als kapitalistische Ware, die dazu führt, dass das Dach über dem Kopf zur Profitmacherei oder zum Spekulationsgut wird und Menschen mit geringen Einkommen auf die Straße oder an den Stadtrand gespuckt werden, ist kein Naturgesetz. Sie ist Ausdruck eines Systems, das Rendite höher bewertet als Menschenwürde.

Ich träume davon, dass wir uns diesen Strukturen kollektiv erwehren. Dass wir eine Gesellschaft erkämpfen, in der Profitmaximierung nicht länger über dem Gemeinwohl steht, in der Konkurrenz und Individualismus nicht als Tugenden gefeiert werden, sondern Solidarität und soziale Sicherheit.

Der Kapitalismus ist nicht das Ende der Geschichte. Aber er ist verantwortlich dafür, dass Menschen sich Lebensmittel, Bus und Bahn und Wohnen nicht mehr leisten können – oft trotz Arbeit. Er erschöpft, vereinzelt und treibt viele an den Rand ihrer ökonomischen Möglichkeiten.

Die Aushöhlung des Öffentlichen und Sozialen bereitet zugleich den Boden für den Aufstieg der extremen Rechten. Jede Kürzung, jede Entrechtung vulnerabler Menschen ist Wasser auf deren Mühlen. Längst sind neoliberale und menschenfeindliche Positionen in der vermeintlichen Mitte angekommen. Längst exekutieren Regierungsparteien auf Bundes- und Landesebene die Agenda der extremen Rechten. Das muss aufhören – bevor alles den Bach heruntergeht.

Insofern gilt: Das Fünkchen Humanismus und Gemeinwohlorientierung der Weihnachtszeit muss verdammt noch mal ab dem 27.12. weiter glühen – und zur Flamme werden. Nicht als moralische Geste, sondern als politische Praxis. Denn dieser Traum wird nicht geschenkt. Er wird erkämpft. Und alles andere hieße, ihn kampflos aufzugeben.

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