Eigentlich weiß man es ja: Wenn man Menschen ausgrenzt und abwertet, geht das an die Psyche. Die Täter haben nicht viel davon, aber sie richten jede Menge Schaden an. Schaden, der die Betroffenen oft ein Leben lang leiden lässt. Die IKK classic hat jetzt einmal erfassen lassen, welche gesundheitlichen Folgen Diskriminierung nachweislich mit sich bringt. Das geht wirklich an die Psyche. Und oft sind die Diskriminierer selbst Menschen mit Diskriminierungserfahrungen.

Mehr als jeder zweite Mensch in Deutschland ist von Vorurteilen und Diskriminierung betroffen. Und wer bewusst oder unbewusst unter Vorurteilen oder Diskriminierung leidet, leidet häufiger unter Essstörungen, Migräne, Burn-out oder Depressionen.Zu diesen Ergebnissen kommt eine repräsentative Grundlagenstudie der IKK classic, die das renommierte rheingold institut aus Köln durchgeführt hat. Die Studie analysiert und verdeutlicht erstmals die Zusammenhänge zwischen Diskriminierungserfahrungen und den Auswirkungen auf die Gesundheit.

Betroffene leiden häufiger unter Erkrankungen

Das Erfahren von Vorurteilen und Diskriminierung hat für die physische und psychische Gesundheit der Diskriminierten weitreichende Folgen. Sie fühlen sich weniger gesund und leiden häufiger unter Krankheiten als Nicht-Diskriminierte. Hier zeigen die Ergebnisse einen deutlichen Zusammenhang:

So erzählen Diskriminierte über dreimal so häufig von Zusammenbrüchen/Burn-out, dreimal so oft von Migräne / chronischen Kopfschmerzen, fast dreimal so oft von Angststörungen und Phobien, zweieinhalb mal so oft von Depressionen und ebenso gehäuft von Schlafstörungen und Magen-Darm-Erkrankungen.

Frank Hippler, Vorstandsvorsitzender der IKK classic, kommentiert die Befunde so: „Diskriminierung ist ein großes Problem – ein gesellschaftliches und ein medizinisches. Mit der Studie möchten wir für ein gesundes Zusammenleben sensibilisieren und zur Aufklärung bei diesem wichtigen Thema beitragen. Der respektvolle Austausch sowie ein wertschätzender Umgang mit anderen Menschen und sozialen Gruppen sind wichtige Faktoren, damit aus Vorurteilen erst gar kein diskriminierendes Verhalten entsteht. Unser Ziel ist es, Haltung zu zeigen – gegenüber unseren Versicherten und unseren Mitarbeitenden.“

Vorurteile und Diskriminierung als Alltagsproblem

Die Ergebnisse zeigen, dass mit rund 60 Prozent eine Mehrheit der Menschen in Deutschland von Vorurteilen und Diskriminierung betroffen ist – im Internet oder im direkten Umgang, im Arbeitskontext, in der Schule oder in der Öffentlichkeit.

Die meisten Menschen sind sich der Existenz von Vorurteilen bewusst und sogar 74 Prozent der Menschen in Deutschland sind der Meinung, dass jede und jeder bereit sein sollte, über die eigenen Vorurteile nachzudenken und sie zu überwinden. Interessanterweise geben im Gegenzug nur 38 Prozent der Befragten an, selbst Vorurteile zu haben.

Und dabei haben wir alle Vorurteile. Oft werden wir ihrer erst bewusst, wenn wir mit der Nase draufgestoßen werden. Deshalb werden ja auch die Diskussionen um die Diskriminierung Andersliebender, von dunkelhäutigen Menschen oder über diskriminierende Worte so emotional geführt – auch von Menschen, die bislang glaubten, keine Vorurteile zu haben und die diskreditierten Worte nur benutzt zu haben, „wie sie alle benutzen“.

Denn wir wachsen eben nicht in einem diskriminierungsfreien Umfeld auf. Schon gar nicht, wenn wir dabei kaum mit Menschen in Berührung kommen, die anders sind als wir.

Und mancher bekommt auch erst mit, dass er diskriminiert wird, wenn er seinen gesicherten Kokon verlässt und merkt, dass man auch als Habenichts, Arbeitsloser, als älterer Mensch, mit der falschen Kleidung oder mit dem falschen Geburtsort diskriminiert werden kann. Das Perfide an Diskriminierungen ist ja, dass man sie meist erst wahrnimmt, wenn man selbst betroffen ist.

Während man darauf, dass andere „einfach nur beleidigt reagierten“, meist verständnislos reagiert. „Die sollen sich mal nicht so haben …“

Laut Stephan Urlings, Managing Partner beim rheingold institut und Studienautor, sind Vorurteile natürlich, nur müsse der eigene Umgang damit stets neu reflektiert werden: „Wir brauchen Schubladen, um im Alltag zurechtzukommen und sortieren unsere Umwelt in Kategorien, Begriffe und Bilder. Vorurteile sind zunächst natürlich und das Eingeständnis, dass man selbst Vorurteile hat, ist eine wichtige Erkenntnis. Es ist der erste Schritt, um daraus kein diskriminierendes Verhalten gegenüber anderen entstehen zu lassen.“

Aber den unter Diskriminierung Leidenden zu helfen ist eben nur die Hälfte dessen, was getan werden muss.

Denn Heilung gibt es erst, wenn sich die Diskriminierenden selbst der Tatsache bewusst werden, wie verletzend ihr Verhalten war. Wir haben es selbst in der Hand, unser Umfeld mit menschlichem Verhalten auch wieder zu heilen und den verletzten Menschen wieder zu ihrer Würde zu verhelfen. Einer Würde, die wir auch gern selbst bewahren möchten.

Die Studie zeigt auch Präventions- und Interventionsmöglichkeiten auf, um das Risiko für diskriminierendes Verhalten zu reduzieren. So ist das effizienteste Mittel gegen Vorurteile der Kontakt zu und die Interaktion mit anderen Personen und sozialen Gruppen. Als grobe Regel gilt: Mindestens fünf Kontakte sind nötig, um einzelne Personen nicht als Ausnahme zu sehen und das eigene Vorurteil abzubauen. Und natürlich Offenheit für die Menschen, die vorher eben nicht zu unserer gewohnten Bezugsgruppe gehörten.

Weniger Vorurteile bedeutet weniger Krankheiten. Mit der Studie und einer Haltungs-Kampagne möchte die IKK classic auf die gesundheitlichen Dimensionen von Vorurteilen und Diskriminierung aufmerksam machen. Die Studie​ besteht aus einer Kombination aus qualitativer und quantitativer Forschung.

In 40 Einzelinterviews mit Menschen ab 18 Jahren wurden zunächst persönliche Diskriminierungserfahrungen im Alltag erhoben. Mit einer repräsentativen Stichprobe von 1.527 Personen wurden die in den Einzelinterviews aufgestellten Hypothesen überprüft.

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