Sie sind dauernd körperlich und geistig erschöpft. Viele Betroffene, die eigentlich nur leicht an COVID-19 erkrankt sind, leiden noch Monate später unter Erschöpfungszuständen, die zumeist unter dem Begriff „Long Covid“ zusammengefasst werden. Seit nunmehr einem Jahr ermöglicht das Sächsische Krankenhaus (SKH) Altscherbitz Betroffenen von psychischen Langzeit- und Spätfolgen nach überstandener COVID-19-Infektion umfassende Therapiemöglichkeiten.

Hier wurde am 26. Februar 2021 die sachsenweit erste Psychiatrisch-Psychotherapeutische Post-Covid-Ambulanz eröffnet und seit Ende Mai wird zudem eine tagesklinische Therapie geboten. Bis Ende Januar 2022 wurde die Post-Covid-Sprechstunde von insgesamt 175 Betroffenen in Anspruch genommen, die teilstationäre Behandlung konnte bereits für rund 45 Patienten ermöglicht werden.

Bei den Patienten in der Post-COVID-Ambulanz handelt es sich zu 74 Prozent um Frauen, jeder vierte Betroffene ist männlich. Der Altersdurchschnitt liegt insgesamt bei etwa 49 Jahren. Stefanie Fehre, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, unterstützt in ihrer Spezialsprechstunde Genesene, die auch mehr als drei Monate nach durchgemachter SARS-CoV-2 Infektion noch unter Beschwerden leiden und bietet eine fachspezifische Diagnostik und Therapie derselben an.

Die chronische Erschöpfung danach

„Nahezu alle Betroffenen, die Kontakt zu uns aufnehmen, berichten über einen milden bis mittelschweren Verlauf der Infektion, mussten also nicht im Krankenhaus behandelt werden. Der Anteil derer, die infolge eines Aufenthaltes auf der Intensivstation unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung leiden, ist in unserer Post-COVID-Sprechstunde dementsprechend verschwindend gering“, so ihre Einschätzung.

Während die Anzahl an Patienten, die infolge der Infektion eine Angststörung oder eine Depression entwickelten, sehr gering ist, beklagte die Mehrzahl Symptome, die mit einem chronischen Fatigue-Syndrom vergleichbar sind. Bei den Beschwerden werden anhaltende körperliche und geistige Erschöpfung mit daraus resultierender Leistungsminderung sowie Konzentrations-, Gedächtnis- und Wortfindungsstörungen sowie Schlafproblemen am häufigsten genannt.

Begleitet werden diese Defizite oft von neurologischen Symptomen wie Muskel- und Nervenschmerzen sowie von internistischen Problemen, beispielsweise Blutdruckentgleisungen, einem Anstieg der Herzfrequenz sowie dem Gefühl von Atemnot.

„Ein großer Anteil der Betroffenen stellt sich mit dem Wunsch nach einer Beratung bei uns vor. Im ausführlichen ärztlichen Einzelgespräch sichten wir die bereits von Vorbehandelnden erhobenen Befunde und geben Empfehlungen zu weiteren diagnostischen Schritten. Wir klären außerdem den individuellen psychiatrischen bzw. psychotherapeutischen Behandlungsbedarf, um weitere Maßnahmen einzuleiten“, schildert Stefanie Fehre weiter.

Dafür stehen Psychologen, Sozialarbeiter und Spezialtherapeuten neben der kontinuierlichen ärztlichen Weiterbetreuung zur Verfügung. Großer Leidensdruck entsteht aus Sicht der Ärztin bei den Betroffenen durch lange Arbeitsunfähigkeitszeiten. Deshalb unterstützt das SKH Altscherbitz oft auch bei der stufenweisen Wiedereingliederung ins Berufsleben sowie bei Reha-Anträgen.

Wenn Achtsamkeit wieder lebenswichtig wird

„Aufgrund des starken Zulaufs von Patienten in unserer Post-COVID-Ambulanz haben wir zeitnah im Mai 2021 ein tagesklinisches Programm entwickelt, das eine intensive Therapie unter oberärztlicher Anleitung durch ein multiprofessionelles Team – bestehend aus Ärzten, Psychologen, der Bezugspflege, Sozialarbeitern, Ergo-, Musik- und Physiotherapeuten – ermöglicht“, sagt  Dr. med. Barbara Richter, Chefärztin der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik und Ärztliche Direktorin des SKH Altscherbitz.

Für eine Gesamtbehandlungsdauer von vier Wochen stehen seit Ende Mai 2021 jeweils sechs Therapieplätze für Post-COVID-Patienten zur Verfügung.

„Das Erlernen von Achtsamkeit stellt einen entscheidenden Therapiebaustein bei all unseren Patienten dar, um die eigene Leistungsfähigkeit realistisch einzuschätzen und mehr Sicherheit im Umgang mit sich selbst zu finden. Entspannungstherapie (PMR), aber auch Bio- und Neurofeedback helfen den Patienten, sich vegetativ besser zu regulieren“, erläutert Dr. med. Barbara Richter.

Gedächtnis- und Merkfähigkeitsstörungen sollen mit einem kognitiven Training und der Ergotherapie therapiert werden. Bei körperlichen Einschränkungen werden eine motorisch-funktionelle Behandlung und ein sensomotorisches-perzeptives Wahrnehmungstraining angeboten.

„Es war im vergangenen Jahr deutlich spürbar, dass ein Großteil der Betroffenen erheblich davon profitierte, eine Anlaufstelle gefunden zu haben, wo die Beschwerden ernst genommen werden. Bisher gibt es nach wie vor keine kurativen Behandlungsformen für das Post-COVID-Syndrom, lediglich Ansätze, die im Rahmen von klinischen Studien verfolgt werden.“

„Die Ziele der ambulanten und tagesklinischen Behandlung von Betroffenen in unserem Haus waren daher die symptomatische Behandlung von Ängsten, depressiven Symptomen und Schlafstörungen, die Unterstützung bei der Krankheitsannahme, das Finden von Hinweisen für den Umgang mit kognitiven Defiziten und erhöhter Erschöpfbarkeit sowie die psychosoziale Beratung“, fasst Stefanie Fehre zusammen.

Eine Terminvereinbarung ist möglich in der Psychiatrischen Institutsambulanz Altscherbitz unter Telefon 034204 87-4030 (Mo–Fr: 8–12 Uhr sowie Mo–Do: 14–18 Uhr). Weitere Informationen finden Betroffene unter www.skh-altscherbitz.sachsen.de (unter Psychiatrisch-Psychotherapeutische Post-COVID-Angebote).

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