In einem Offenen Brief wenden wir uns an Oberbürgermeister Jung und Baubürgermeister Dienberg. Wir fordern beide auf, mit uns in einen direkten Dialog zu treten und die Häuser der Kantstraße 55/57 durch die LWB oder die Stadt Leipzig zur Nutzung für die verbliebenen Mieter/-innen zurück zu kaufen.

Des weiteren fordern wir Investor/-innen, wie GRK Holding, Instone Real Estate und Campus Altbausanierung GmbH, wirksam in die Pflicht zu nehmen, eine Stadtpolitik zu schaffen, die endlich das Ziel von sozialer Gerechtigkeit für alle Mieter/-innen in den Mittelpunkt stellt und Wohnraum und Bauland nachhaltig der Spekulation entzieht.

Der Offene Brief:

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Jung,
sehr geehrter Herr Baubürgermeister Dienberg,
sehr geehrte Damen und Herren der Fraktionen im Leipziger Stadtrat,

wir sind eine Mieter/-innengemeinschaft in den Häusern der Kantstraße 55-63b. Die Häuser liegen unweit des MDR in der Südvorstadt. In den Häusern gibt es insgesamt 74 Wohnungen, von denen aktuell noch 15 bewohnt sind von – Leipziger Familien, insgesamt 16 Kinder und 24 Erwachsene.

Die Häuser in der Kantstraße werden seit 10 Jahren durch wechselnde Eigentümer/-innen systematisch entmietet – sie wurden z.T. unbewohnbar gemacht und verwahrlosen. Wir sind ein Paradebeispiel für Spekulation und Verdrängung. Hier ein Abriss zur Geschichte der Häuser.

— 2006: Ein Teil der Häuser (Kantstraße 59b, 61a/b und 63a/b) wird von Wohnungsbaugesellschaft Leipziger Handwerker mbH an die GRK Holding verkauft. Die Stadt Leipzig ist Eigentümerin des Grundstückes. Die Erbbauberechtigte ist aus wirtschaftlichen Gründen (anstehende Sanierungskosten) an einer Verlängerung des Erbbaurechtes nicht interessiert. Die Stadt Leipzig schließt sich dem Verkauf an.

— 2011: Die restlichen Häuser (Kantstraße 55, 57 und 59a) werden von der LWB an die GRK Holding verkauft.

— ab 2011: Die GRK Holding wandelt (bei Hauptmieter/-innenwechsel) unbefristete Mietverträge in befristete Mietverträge um.

— Wir Mieter/-innen vernetzen uns, gründen die IG Kant und setzten uns für unsere Mietverträge ein – wir wirken bei der Gründung der Südvernetzung (ein Zusammenschluss von Mieter/-innen und Stadtteilbewohner/-innen gegen Verdrängung) mit.

— Die Befristungen laufen bis Juli 2014, so dass zu diesem Zeitpunkt ca. 40 Mietverträge zugleich auslaufen.

— Im Nachhinein stellt ein Anwalt die Unrechtmäßigkeit der Befristungen fest, da zu diesem Zeitpunkt noch keine Bauanträge vorlagen.

— Wir Mieter/-innen organisieren seitdem jährlich ein Sommerfest, um auf uns und unsere Situation aufmerksam zu machen.

— Wir Mieter/-innen treffen uns regelmäßig und nehmen an öffentlichkeitswirksamen Aktionen teil.

— 2016: Wir Mieter/-innen gehen in die Offensive und arrangieren ein erstes Treffen mit der GRK Holding – Geschäftsführer Steffen Göpel bietet uns eines der Häuser (die Kantstraße 55/57) zum Kauf an.

— 2017: Die GRK Holding geht in der Instone Real Estate auf; deren „Chief Operating Officer“ Torsten Kracht droht in der Folge immer wieder mit dem Weiterverkauf der Häuser, obwohl weiterhin über einen Kauf der Kantstraße 55/57 durch die Mieter/-innen verhandelt wird.

— Wir Mieter/-innen schließen uns der SoWo Leipzig eG an, um in einem genossenschaftlichen Modell sozialverträglichen Wohnraum in der Kantstraße 55/57 zu erhalten. Mit einer Absichtserklärung und einer Sanierungskostenschätzung erfüllen wir die Wünsche der Instone Reale Estate bezüglich weiterer Verhandlungsschritte.

— November 2019: Die Instone Reale Estate beendet die Verkaufsverhandlungen mit uns Mieter/-innen und kündigt einen Eigentümer/-innenwechsel an.

— Dezember 2019: Die Instone Reale Estate verkauft die Häuser an die Campus Altbausanierungs GmbH.

— Februar 2020: Allen Mietparteien gehen Mieterhöhungsverlangen und zweien auch Kündigungen zu – Letztere mit der Begründung, dass eine Fortsetzung der Mietverhältnisse die Campus Altbausanierungs GmbH an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks hindern würde.

— Wir Mieter/-innen laden Matthias Klemens, Geschäftsführer der Campus Altbausanierung GmbH, zu einem Treffen in der Peterskirche ein.

— Die ersten Wohnungen werden zum Verkauf angeboten und Investor/-innen aus aller Welt kommen mitten im ersten Corona-Lockdown zu Besichtigungen.

— März 2020: Beim Treffen in der Peterskirche legen Mieter/-innenvertreter/-innen zusammen mit der SoWo eG unser Angebot vor – einen Kauf des Hauses Kantstraße 55/57, um sozialverträglichen Wohnraum zu erhalten.

— Matthias Klemens erteilt uns daraufhin eine Absage z mit den Worten: „Ihnen ist der Markt davongelaufen…Wir können es jetzt beerdigen. Wir brauchen nicht über etwas reden, das keinen Sinn hat.“

— April 2020: Die ersten Mieter/-innen bekommen Modernisierungsankündigungen.

— Die Mieter/-innen lassen sich anwaltlich beraten.

— Die erste Verwertungskündigung wird gerichtlich verhandelt.

— In einem Artikel in der LVZ vom 18.12.2020 verspricht Michael Boniakowski, Mitarbeiter der Campus Altbausanierung GmbH, man sei bemüht, für alle verbliebenen Mieter/-innen gute Lösungen zu finden.

— Anfang März 2021: Eine Baustraße wird um die Häuser eingerichtet.

— Bauarbeiter/-innen beginnen mit Entkernung – ohne Absperrungen und Sicherheitsvorkehrungen.

— März 2021: Der Verwertungskündigung wird in erster Instanz stattgegeben. Die Mieterin, eine getrennt erziehende Mutter, verliert mit ihren beiden Kindern Wohnung und Lebensumfeld – sie müssen unverzüglich ausziehen.

— Alle Verhandlungsbemühungen sind in Protokollen und Schriftverkehr dokumentiert.

Unser Zuhause ist, nach dem Verkauf der einzelnen Wohnungen und der anschließenden Modernisierung, existentiell bedroht. Zwar ist die Miete nach Modernisierung gesetzlich gedeckelt, aber die nach drei Jahren drohenden Eigenbedarfskündigungen bieten uns keinen dauerhaft sicheren Wohnraum. Mit dieser Tatsache spekuliert die Campus Altbausanierung GmbH.

Die GRK Holding, die Instone Real Estate und die Campus Altbausanierung GmbH verfolgen das typische Bauträgergeschäft – Mietwohnungen werden in Eigentumswohnungen umgewandelt und weiterverkauft. Dabei werden Preise aufgerufen, die sich Normalverdienende in Leipzig niemals leisten können (in der Kantstraße aktuell ca. 5500€ pro Quatratmeter). Bei diesem Geschäftsmodell gibt es keinerlei soziale Verantwortung für „mitgekaufte Mieter/-innen“ – diese ist weder gefordert noch gesetzlich geregelt und die guten Lösungen lassen auf sich warten.

Da Oberbürgermeister Burkhard Jung immer wieder bekräftigt hat, dass Probleme am Wohnungsmarkt nur im Dialog zu lösen sind („Weder Stadt, noch Gesellschaft lassen sich durch Gewalt einschüchtern. Probleme am Wohnungsmarkt löst man nur im Miteinander…“), fordern wir diesen ein. Die Zeit drängt und der Druck wächst!

Wir haben den Versuch unternommen, unser Schicksal und damit die Verantwortung für uns selbst in die Hand zu nehmen. Daraus ist eine Gemeinschaft erwachsen, die nun durch den immer brutaler werdenden Wohnungsmarkt auseinander gerissen wird. Wir verlieren unsere eigentlich unbefristeten Mietverträge, unser soziales und gewachsenes Umfeld, bezahlbare Mieten und Freiräume und der Leipziger Süden verliert immer mehr an Vielfalt! Wir werden aus unserem Stadtteil verdrängt, in dem viele von uns seit über 20 Jahre und länger leben.

Deshalb ersuchen wir dringend um Ihre Hilfe!

Unsere Forderungen sind:

1. Einen direkten Dialog mit Herrn Oberbürgermeister Jung und Herrn Baubürgermeister Dienberg.

2. Einen Rückkauf der Kantstraße 55/57 durch die LWB oder die Stadt Leipzig zur Nutzung für die verbliebenen Mieter/-innen.

Nehmen Sie Investor/-innen wie GRK Holding, Instone Real Estate und Campus Altbausanierung GmbH wirksam in die Pflicht. Schaffe Sie eine Stadtpolitik, die endlich das Ziel von sozialer Gerechtigkeit für alle Mieter/-innen in den Mittelpunkt stellt und Wohnraum und Bauland nachhaltig der Spekulation entzieht.

Wir sind gesprächsbereit und bitten Sie, unsere diesbezügliche Bitte ernst zu nehmen. Kommen Sie Ihrer Verantwortung nach, folgen sie unserer Einladung zeitnah und machen sich einen Eindruck vor Ort – selbstverständlich unter Wahrung der aktuellen Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung.

Mit freundlichen Grüßen
Die IG Kantstraße

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