Das ist dann auch den Ratsfraktionen irgendwie durchgerutscht. Man hat ein paar Euro zur Sanierung des Felsenkellers in Plagwitz zur Verfügung gestellt, aber irgendwie nicht darauf geachtet, was der Investor rund um den alten Tanzsaal in Plagwitz noch so geplant hat. Das fiel erst auf, als jüngst der nördliche Innenhof völlig von Bäumen befreit wurde. Was da geplant ist, verriet die Stadtverwaltung nur im Text versteckt.

Da zeigte sich die Begründung, man habe die Bäume nur aus Sicherheitsgründen gefällt, eher als vorgeschoben. Denn der freie Platz wird vor allem für den Bau eines 800 Quadratmeter großen Supermarktes zwischen Felsenkeller und Stadtteilbibliothek „Georg Maurer“ gebraucht – und die nötigen Stellplätze. Da störten die Bäume irgendwie.

Die Grünen-Fraktion, die eigentlich nur nach den Bäumen gefragt hatte, war denn auch verwundert bis entsetzt.

„Wir sind nach Abwägung zu der Auffassung gelangt, dass die Ansiedlung eines Supermarktes, wie von der Verwaltung zu unserer Anfrage ‘Baumfällungen am Felsenkeller’ mitgeteilt wurde, nicht mit dem Einzigartigkeit der unmittelbaren Umgebung in Einklang gebracht werden kann. Die Ansiedlung von Einzelhandel führt zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Gesamtensembles in diesem Gebiet! Das kann nicht ernsthaft der Plan sein!”, findet der Sprecher für Stadtentwicklung und Bau der Grünen-Fraktion, Tim Elschner.

Aber genau am Felsenkeller soll ja nun ein Lebensmittelmarkt auf der Grundstücksfläche an der Zschocherschen Straße entstehen – mit dem Hinweis der Stadtverwaltung, man habe ja in der Zschocherschen Straße ein definiertes Einkaufszentrum laut Stadtentwicklungsplan (STEP) Zentren vorliegen.

„Wir finden es schon sehr erstaunlich, dass vom mittlerweile gefällten Baumbestand im hinteren Teil des Felsenkellers angeblich eine so große Gefahr durch Starkastabbrüche und Kippversagen gegeben haben soll, während der aus gleicher Zeit stammende Baumbestand im vorderen Teil offenbar sicher ist. Des Weiteren gerade die Bäume im hinteren Bereich eine Bebauung stören würden, während sie im vorderen Bereich hervorragend als Schattenspender für den Biergarten geeignet sein sollen”, fragt sich Grünen-Stadtrat Michael Schmidt. “Die Begründung wirkt schon sehr zufällig, konstruiert und hingebogen.”

Augenscheinlich doch. Sonst würde die Stadt nicht so beiläufig auf die Rolle der Zschocherschen Straße als Einkaufszentrum hinweisen. Im Rathaus jedenfalls scheinen schon alle Stempel unter die Genehmigungen gesetzt zu sein. Ohne solche Pläne machen ja auch die neuen Baumsetzungen keinen Sinn. Es werden ja nicht alle gefällten Bäume durch neue ersetzt. Für vier scheint auf einmal kein Platz mehr zu sein.

Das „beräumte“, traditionell gewachsene alte Gartenstück erweckt dabei nun nicht zu Unrecht den Anschein, dass es zu einem Baufeld umgewandelt werden soll, was die Grünen zur entsprechenden Anfrage im Stadtrat veranlasste. „So sehr es im Sinne der Stadtteilentwicklung zu begrüßen ist, dass dieser traditionelle Ballsaal wieder belebt und restauriert wird, so sehr verwundert es, gleichzeitig mit ansehen zum müssen, wie auf einer mehrere hundert Quadratmeter großen Gartenfläche angrenzend an die Zschochersche Straße dutzende sehr alte Kastanien in zwei Fällaktionen vernichtet worden sind. Die umliegende, sehr verdichtete Bebauung sollte uns veranlassen, mit jedem Stück Natur in diesem strapazierten Stadtraum besonders sensibel umzugehen“, so die Grünen.

Aber ein Supermarkt? Ausgerechnet an dieser Stelle?

Die Ansiedlung eines Supermarktes, wie von der Verwaltung auf die Anfrage „Baumfällungen am Felsenkeller“ mitgeteilt wurde, könne einfach nicht mit der Einzigartigkeit der unmittelbaren Umgebung in Einklang gebracht werden. So jedenfalls der Schluss der Grünen.

Eine Ansiedlung widerspreche auch dem von der Verwaltung beschworenen STEP-Zentren, hier insbesondere dem Zentrenpass Plagwitz: Für den Bereich werde allein und einzig Ergänzungsbedarf „Sanierung und Etablierung einer gastronomischen Nutzung kombiniert mit Freizeit und Kultur im Felsenkeller“ definiert. Von Einzelhandel sei nicht die Rede. Die Ansiedlung eines weiteren Supermarktes laufe außerdem dem Ziel der „Stabilisierung und Stärkung des vorhandenen Einzelhandelsbesatzes“ zuwider.

Im STEP Zentren wird insbesondere Bezug genommen auf die ebenfalls in der Zschocherschen Straße gelegene Elster-Passage, die als „strukturprägend“ eingestuft wird. Die Neuansiedlung würde dem Ziel, „Branchenlücken bei Waren des täglichen Bedarfs zu schließen“ in keinster Weise gerecht, so die Grünen. Zudem stelle der Zentrenpass Plagwitz als Schwäche bereits einen „deutlich zunehmenden Wettbewerbsdruck durch zentrenrelevanten Einzelhandel im Gewerbegebiet Plagwitz“ fest. Denn wie jeder sehen kann, wurden im Bereich Markranstädter Straße schon weitere Supermärkte aus dem Boden gestampft. Soll die Zschochersche zu einer Discounter-Meile gemacht werden?

Des Weiteren sehen die Grünen durch den neuen Markt auch eine Schwächung der eingeleiteten positiven Einzelhandelsentwicklung im Bereich des Lindenauer Marktes.

Um die besondere Attraktivität und Einzigartigkeit des Gebietes zu sichern, will die Stadtratsfraktion Bündnis 90/Die Grünen daher nun den Antrag stellen, für den Bereich Karl-Heine-Straße, Birkenstraße, Felsenkellerstraße und Zschochersche Straße eine geordnete städtebauliche Entwicklung einzuleiten, die die Ansiedlung von Einzelhandel ausschließt und Detailfragen (z.B. Stellplätze, Baumanpflanzungen etc.) klärt.

Denn der geplante Supermarkt wirkt auch in Bezug auf andere Nachbarschaften wie ein Fremdkörper.

Bei dem Gebiet Karl-Heine-Straße, Birkenstraße, Felsenkellerstraße und Zschochersche Straße handelt es sich um einen besonders sensiblen Bereich des Sanierungsgebietes Plagwitz. Es befindet sich im nicht beplanten Innenbereich. Die Fläche wird im Flächennutzungsplan als Wohnfläche ausgewiesen. Das Gebiet wird nicht nur geprägt von der historischen und identitätsstiftenden Veranstaltungsstätte „Felsenkeller“, dessen Außenhülle unter Denkmalschutz steht. Das Gebiet beheimatet auch die Georg-Maurer-Bibliothek, ein weiteres Wahrzeichen von Plagwitz, welche 1929 im Bauhausstil errichtet wurde und derzeit saniert wird. Hinzu kommt der historische und ebenfalls unter Denkmalschutz stehende Gewölbekeller/Alter Felsenkeller. Der Stadtrat hat im März 2015 entschieden, das Grundstück zur Vergabe von Erbbaurecht neu auszuschreiben, mit dem Ziel, den denkmalgeschützten Gewölbekeller zu sanieren und diesen dauerhaft als gastronomische und kulturelle Einrichtung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.  Neben dem „Felsenkeller“ befindet sich eine KITA. Im aversierten Plangebiet betreibt die Annalinde gGmbH außerdem eine multifunktionale urbane Landwirtschaft als sogenannten „Gemeinschaftsgarten“. Sie ist aus der kooperativen Eigeninitiative und Kreativität von jungen Menschen mit Spaß am unternehmerischen Tun entstanden.

Und dann ein neues Einkaufs-UFO mitten hinein. Da macht Leipzigs Verwaltung mal wieder Politik auf eigene Faust und sieht kein Problem, bestehende Pläne einfach aufzuweichen und vollendete Tatsachen zu schaffen.

 

Der Antrag der Grünen.

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Baumfällungen am Felsenkeller: Schweren Herzens, sagt das Baudezernat

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Es gibt 2 Kommentare

Wer steckt wohl dahinter? Diejenigen, die davon profitieren würden: Felsenkeller-Betreiber, Supermarktkette, Baufirmen, Politiker/-innen.
Danke, Ralf, für den Artikel. Ich sehe mich in meinem Kommentar vom 7. Juli bestätigt: http://www.l-iz.de/politik/brennpunkt/2016/07/baumfaellungen-am-felsenkeller-schweren-herzens-sagt-das-baudezernat-143986#comments-beginn
Das Bittere ist nur, dass man jetzt zuhause hockt und sich ohnmächtig fühlt, es nicht verhindern zu können.

Ein Elend ist das mit den Stadtverantwortlichen.
Ein verantwortungsloses Elend.
Immer wieder müssen wir ein derart rücksichtsloses Desinteresse an Leipzig beobachten, das man sich fragt, wer steckt dahinter, wessen Plan wird da umgesetzt …?
Darf die Stadt nicht wie sie könnte?
Gilt es etwas bestimmtes zu verhindern?
Wie lange noch so weiter?

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