Was passiert eigentlich mit einem Land, das permanent unterfinanziert ist? Was passiert mit den Kommunen in diesem Land, die eh schon Milliardenberge als Investitionsstau vor sich her schieben? Leipzig zum Beispiel. Eine Petition von Eltern aus Gohlis macht jetzt – ganz unbeabsichtigt – deutlich, wie das Kneifen und Mauern der verantwortlichen Politiker den Schulalltag der Kinder zerstört. Dabei ging es nur um ein bisschen Lärm.

Die erste Petition schrieben die Eltern der Grundschüler der Geschwister-Scholl-Schule in der Elsbethstraße schon vor einem Jahr, wiesen darauf hin, dass die Schule völlig überbelegt war, bis zu fünf Klassen in einem Jahrgang, obwohl sie nur für 3,5 ausgelegt ist. Hortzimmer wurden umgenutzt und gingen verloren. Und weil auch der Speiseraum nicht ausreichte, musste auch ein Klassenzimmer als Speiseraum umgenutzt werden. Aber wenn sich über 400 Schüler durch die Mittagsversorgung schieben, wird es laut. In den angrenzenden Klassenräumen war eigentlich kein Unterricht mehr möglich.

Schon in den Vorjahren gab es Lärmprobleme, es wurde gemessen. Augenscheinlich plante die Stadt auch zusätzliche Lärmschutzvorrichtungen. Doch passiert ist nichts.

Die Eltern konnten regelrecht zuschauen, wie eine Schule in ihrem Grundschulbezirk – nur weil die Stadt nie das Geld hatte, rechtzeitig neue Schulkapazitäten zu schaffen – immer voller und immer lauter wurde.

Im Frühjahr haben die Eltern eine zweite Petition geschrieben, eher eine berechtigte und sehr deutliche Aufforderung an die Stadt, wenigstens die möglichen Lärmschutzmaßnahmen zu treffen. 175.000 Euro würde das aus ihrer Sicht insgesamt kosten. Eigentlich wünschten sie sich die Umsetzung bis zum Schuljahresbeginn.

Das Sozialdezernat hat jetzt endlich eine Stellungnahme vorgelegt und macht mit der Antwort eigentlich deutlich, wie sehr die Stadt den Schulbauzielen hinterherkleckert.

Eigentlich ist es ein Armutszeugnis. Nicht so sehr für Leipzigs Schuldezernat. Sondern eher für den Freistaat Sachsen, der die wachsenden Investitionsnöte in den Großstädten einfach nicht ernst nimmt und bei den Investitionszuschüssen für Schulen so tut, als könnte ein Knapphalten der Gelder die Städte zwingen, irgendwo anders die benötigten Gelder zusammenzukratzen.

Eigentlich hätte in Gohlis längst eine neue Grundschule ans Netz gehen müssen, um nicht das aufkommen zu lassen, was an der Geschwister-Scholl-Schule seit fünf Jahren zu beobachten ist.

Die Stellungnahme des Sozialdezernats bestätigt im Grunde alles, was die Eltern fordern – und lehnt deren Anliegen trotzdem ab.

Den Text kennt man nun schon aus fast allen Leipziger Stadtbezirken: „Infolge der steigenden Schülerzahlen im Raum Gohlis-Mitte/Nord kommt es zu einer  Belegung über den Richtwert von 3,5 Zügen der Grundschule Geschwister-Scholl-Schule im Schulgebäude Elsbethstr. 1. Die Schule hat zurzeit 17 Klassen mit 390 Schülern, davon 379 Hortkinder. Somit haben Grundstück und Gebäude ihre Aufnahmegrenzen erreicht. Probleme bei der Speiseversorgung (mehrere Durchgänge), knapp bemessene WC-Anlagen, eine zu geringe Freifläche und Lärmbelastung im Schulgebäude durch die hohe Schülerzahl sind die Folge.“

Das klingt schon fatalistisch. Ist es auch. Denn in die Malaise hineinmarschiert ist Leipzig ebenfalls vor über fünf Jahren. Die Verdoppelung der Schulbauinvestitionen von 35 auf 70 Millionen Euro hätte 2011/2012 kommen müssen. Jetzt soll sie nach den Plänen von OBM Burkhard Jung 2017 beginnen. Und er weiß nicht einmal, ob er alle geplanten Bauprojekte auch vom Freistaat gefördert bekommt. Das Schulbausonderprogramm, das im Doppelhaushalt des Freistaats vorgesehen ist, beschert Leipzig nur 4 Millionen Euro zusätzlich. „Viel zu wenig“, sagt Jung.

Denn das Ergebnis ist genau das, was jetzt in Gohlis zu beobachten ist: Die Stadt muss zu Notlösungen greifen, die zu Dauerlösungen werden. Und sie gehen vor allem zulasten der Kinder. Während der Schulzeit. Und dann auch im Hort. Denn für deutlich mehr Kinder stehen nun auf einmal weniger Horträume zur Verfügung.

„Dem Hort stehen zurzeit fünf eigene Gruppenräume sowie acht Räume in Doppelnutzung entsprechend der gültigen Betriebserlaubnis zur Verfügung. Weitere fünf Klassenräume sind in der Regel ab mittags ebenfalls nutzbar. Die Hortnutzung konzentriert sich überwiegend im 1. und 2. Obergeschoss. Die vorhandene Grundstücksfläche, die Gebäudekubatur und die geteilte Nutzung durch Schule und Hort ermöglichen keine Kapazitätserweiterung an diesem Standort“, stellt das Sozialdezernat fest.

Was ja vorher schon klar war.

Aber eine Lösung des Problems werde es frühestens 2019 geben. Die alte Plattenbauschule an der Erfurter Straße, in der mal die Erich-Kästner-Schule untergebracht war, muss jetzt erst mit 2,4 Millionen Euro aus dem Programm „Brücken in die Zukunft“ energetisch ertüchtigt werden. Geplant ist das 2017/2018. Reihenweise hat die Stadt Leipzig anstehende Schulrevitalisierungen in das Programm „Brücken in die Zukunft“ gesteckt, um überhaupt genügend Fördergelder für das Schulbauprogramm zu bekommen.

„Ziel der Schulentwicklungsplanung ist es, die Schule perspektivisch auf ihre Richtkapazität von 3,5 Zügen mit 14 Klassen zurückzuführen. Ein erster Schritt dazu ist dabei die bereits vollzogene Veränderung der Schulbezirksgrenzen. – Mittelfristig soll durch Wiederinbetriebnahme des Schulgebäudes Erfurter Str. 14 (2019) eine Vergrößerung der Grundschulkapazitäten im Bereich Gohlis-Mitte/Nord erreicht werden. Mit dem Abschluss der dafür notwendigen Sanierungen stehen dann drei Grundschulen zur Verfügung, womit eine Absenkung des Bedarfes an der Geschwister-Scholl-Schule erreicht werden kann.“

Die Petition, auf die die Stadt jetzt erst schwer seufzend reagiert, stammt übrigens aus dem März. Sie hatte Wirkung. Sogar ein bisschen mehr als die Gespräche der Verwaltung mit den Eltern vor einem Jahr.

„In einer Beratung mit den Verfassern der Petition im Amt für Jugend, Familie und Bildung wurde verabredet, dass gemeinsam ein Raumkonzept von Schule und Hort bis Oktober 2016 abgestimmt wird. Ein Entwurf des Raumkonzeptes wurde am 14.09.2016 durch die Schulleitung übergeben“, erklärt jetzt das Sozialdezernat. „Es enthält u.a. Hinweise zu den Ursachen und Vorschläge zur Minderung und Abstellung der Lärmprobleme. Die Lösungsansätze für die vorgeschlagenen Sofortmaßnahmen werden gegenwärtig durch das Amt für Jugend, Familie und Bildung auf ihre Umsetzbarkeit geprüft. Weiterhin bildet dieses Raumkonzept die Grundlage für die Beauftragung einer brandschutztechnischen Begutachtung. Die erforderlichen Lärmschutzmaßnahmen müssen im Zusammenhang mit der weiteren brandschutztechnischen Ertüchtigung des Gebäudes betrachtet werden, da sich z.B. durch den Einbau von Brandschutztüren in den Fluren eine völlig veränderte Akustik ergeben kann.“

Was eben im Klartext heißt: Die Vorschläge der Eltern zum Lärmschutz werden nicht umgesetzt. Erst wenn die Stadt Geld für die brandschutztechnische Ertüchtigung der Geschwister-Scholl-Schule hat, wird das Thema mit berücksichtigt. Bis dahin soll das Raumprogramm helfen.

Eine wirklich sinnvolle Lösung für das Lärmproblem im Speiseraum ist noch echte Zukunftsmusik. Aber das Sozialdezernat erwähnt die Möglichkeit zumindest: „Zur Sicherung der Speiseversorgung wird seit dem Schuljahr 2016/17 ein Unterrichtsraum übergangsweise als zweiter Speiseraum genutzt. Ein weiterer möglicher Schritt zur Verbesserung der Gesamtsituation am Standort ist die bauliche Erweiterung des Speiseraums und Schaffung einer Mensa/Aulafunktion. Die Prüfung der möglichen baulichen Erweiterung ist veranlasst.“

Ist nur die Frage: Begreift die sächsische Staatsregierung die Nöte der wachsenden Großstädte? Oder lässt man die Kommunen mit „ihren“ Problemen weiterhin am langen Arm verhungern und Lehrer, Eltern und Kinder verzweifeln?

Die zweite Petition der Eltern aus der Geschwister-Scholl-Schule.

Die Stellungnahme des Sozialdezernats.

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