Wie sehr seine Sicherheitspolitik vor allem eine aus lauter Symbolpolitik und kantigen Worten war, machte der damalige Innenminister Markus Ulbig (CDU) bei einem Vor-Ort-Termin in der Leipziger Eisenbahnstraße am 2. November deutlich. Die wurde zum Einführungsschauplatz für das Testprojekt „BodyCam“ gewählt. Und gleichzeitig erklärte Ulbig, Leipzig wolle jetzt einen Antrag stellen, auch eine Waffenverbotszone draus zu machen.

Eine Behauptung, die den innenpolitischen Sprecher der Linksfraktion im Landtag, Enrico Stange, zum Grübeln brachte. Was meinte der Minister mit dieser händereibenden Ankündigung eigentlich? Dass er Leipzigs OBM nun endlich herumgekriegt habe, genauso verquer und martialisch über Sicherheitspolitik zu denken wie Ulbig? Und quasi gehorsam die ihm aufgeschwatzte Waffenverbotszone zu beantragen?

So las es Stange jedenfalls in der LVZ: „Als erste Kommune in Sachsen soll Leipzig eine Waffenverbotszone erhalten. Das kündigten Innenminister Markus Ulbig (CDU) und Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) am Donnerstag nach einem Gespräch zur Sicherheitslage in der Stadt an. Die Waffenverbotszone soll rund um die Eisenbahnstraße gelten. ,Polizeidirektion und Stadt haben heute offiziell den Antrag gestellt, die Prüfung läuft‘, erklärte der Innenminister. ,Ich stelle in Aussicht, dass Anfang 2018 eine entsprechende Verordnung erlassen wird mit dem Ziel, dass einer der Kriminalitätsschwerpunkte in Leipzig besonders kontrollintensiv bearbeitet werden kann.‘“

Aber auch unser L-IZ-Reporter hatte es so gehört: „Gemeinsam mit Jung, Rosenthal und Merbitz habe er sich zwei Stunden lang im Rathaus unterhalten, erzählte Ulbig. Nun möchte die Stadt einen Antrag stellen, in der Eisenbahnstraße eine sogenannte Waffenverbotszone einzurichten. Sollte das Innenministerium zustimmen – was als sicher gilt – wäre es die erste dieser Art in Sachsen.“

Nur gibt es dazu überhaupt kein solches Prozedere

In der Antwort, die Markus Ulbig am 15. Dezember noch als Innenminister gab, stellte er dann auch klar, dass Leipzigs OBM gar nichts beantragen muss. „Einer förmlichen Antragstellung bedarf es für den Erlass einer Rechtsverordnung, wie der Einrichtung einer Waffenverbotszone, nicht.“

Man wird wohl bei dem zweistündigen Gespräch im Rathaus darüber gesprochen haben. Und OBM Burkhard Jung und Ordnungsbürgermeister Heiko Rosenthal werden sich gehütet haben, dem hartnäckigen Innenminister zu widersprechen. Viel zu sensibel war das Verhältnis zwischen Stadt, Polizei und Innenministerium in den vergangenen Jahren immer wieder. Immer dann, wenn die Stadt dachte, die Sicherheitspartnerschaft mit der Polizei, die man schon vor Jahren vereinbart und im Kriminalpräventiven Rat institutionalisiert hat, würde relativ reibungslos funktionieren, grätschte irgendein CDU-Politiker dazwischen, der meinte, Leipzigs Verwaltung arbeite gar nicht mit der Polizei zusammen und würde die Arbeit von Polizeipräsident Bernd Merbitz regelrecht unterlaufen.

Zuletzt kochte die Stimmung im September hoch, als ein gewalttätiger Übergriff auf eine Joggerin im Rosental den Oberbürgermeister regelrecht auf die Palme brachte, weil so ein Vorfall natürlich von einer Stadt zu erzählen scheint, in der viel zu wenige Polizisten präventiv unterwegs sind. Der Aussage, dass in Leipzig 200 Polizisten im Vollzugsdienst fehlen, widersprach Ulbig auch nach dieser Kritik nicht. Seine Parteigenossen der CDU regten sich nur fürchterlich darüber auf, dass Burkhard Jung solche Vorwürfe formulierte – nicht zum ersten Mal, wie man seit Jahren weiß.

Möglich, dass das am 2. November zwischen Ulbig, Jung und Rosenthal Thema war. Und Burkhard Jung am Ende entnervt einlenkte und Ulbig seine Waffenverbotszone machen ließ. Denn der Anstoß kam eindeutig nicht von Jung, was Ulbig am 15. Dezember indirekt auch zugab: Die Waffenverbotszonen waren Teil all seiner Experimentierversuche, die kriminellen Hotspots in Sachsen irgendwie mit neuen Regeln und neuer Technik in den Griff zu kriegen, wo die realen Polizisten rar sind und das Geld, die Problemviertel wirklich zu befrieden, fehlt. Da hätte er sich schon mit der Integrationsministerin Petra Köpping verstehen und verständigen müssen.

Aber das hat Markus Ulbig irgendwie nicht hinbekommen

Also gibt es lauter polizeilich verstärkt überwachte „gefährliche Orte“ und nun auch noch Waffenverbotszonen, wo man mit verstärktem Kontrolldruck versucht, irgendetwas zu verhindern. Und die Initiative zur Einführung von Waffenverbotszonen ging einzig und allein vom Ulbig-Ministerium aus.

Wortlaut Ulbig: „Gemäß § 5 der Sächsischen Waffengesetzdurchführungsverordnung hat die Befugnis zum Erlass einer Rechtsverordnung zur Einrichtung von Waffenverbotszonen das Sächsische Staatsministerium des Innern. Das Sächsische Staatsministerium des Innern bereitet derzeit eine sog. Mantelverordnung für eine Waffenverbotszone vor. Nach einem Gespräch zur Sicherheitslage in der Stadt Leipzig Anfang November einigten sich die Vertreter der Stadt Leipzig und der Polizeidirektion Leipzig darauf, dass für den Bereich des Viertels um die Eisenbahnstraße einschließlich der Eisenbahnstraße in Leipzig eine Waffenverbotszone angestrebt werden soll.“

Das klingt schon gar nicht mehr nach einer Leipziger Antragstellung. Man „einigte sich“.

Ulbig wollte sein Testfeld. OBM und Ordnungsbürgermeister stimmten dann wohl zu. Notgedrungen. Denn sie kennen ja die Leipziger Zeitungslandschaft. Wenn es wieder zu spektakulären Vorfällen irgendwo im Umfeld der Eisenbahnstraße kommt, wird der Leipziger OBM ans Pinnbrett genagelt, nicht der jeweilig zuständige Innenminister, der mittlerweile ja nicht grundlos Roland Wöller (CDU) heißt.

Und wie bei den „Bodycams“ betrachtete sein Vorgänger Ulbig die Eisenbahnstraße als Testfeld: „Der beabsichtigten Einrichtung einer Waffenverbotszone in Leipzig kommt insoweit eine Pilotfunktion zu.“

Die Anwohner werden sich freuen, wenn sie regelmäßig ihre Taschen und Rucksäcke öffnen müssen, weil eine Polizeistreife etwas Waffenähnliches darin vermutet. Und das Schöne ist: Das war ein ganz besonderes Geschenk Ulbigs für Leipzig. Er wollte hier ein Zeichen setzen. Denn: „Das sächsische Staatsministerium des Innern prüft derzeit keine weiteren Waffenverbotszonen.“

Und warum in der Eisenbahnstraße?

„Die Eisenbahnstraße ist seit Jahren ein kriminalgeografischer Schwerpunkt, welchem die Polizeidirektion Leipzig mit verschiedenen präventiven und repressiven Maßnahmen entgegnete“, erläuterte der Minister. „Beispiele sind die Errichtung einer Videoüberwachung im Kreuzungsbereich Eisenbahnstraße/Hermann-Liebmann-Straße zur Bekämpfung des lokalen Kriminalitätsbrennpunktes bei der Rauschgiftkriminalität, die Errichtung einer Außenstelle des Polizeireviers Leipzig-Zentrum in der Eisenbahnstraße 49, verstärkte polizeiliche Exekutivmaßnahmen im Bereich der Eisenbahnstraße sowie im November 2017 der Start des Pilotprojektes ‚Bodycam‘. Trotz dieser polizeilichen Maßnahmen kam es in den vergangenen Jahren wiederholt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Menschengruppen, deren Intensität mit der Zeit zunahm.“

Nur sind halt polizeiliche Prävention und echte Prävention zwei völlig verschiedene Dinge. Wenn es keine echte Prävention (mit zivilgesellschaftlicher Arbeit, Suchtprävention, Integration, belastbaren Aufenthaltstiteln, Arbeitsplätzen usw.) gibt, dann nutzt auch polizeiliche Prävention nichts.

Und eigentlich sagt Ulbigs Antwort genau das aus: Weder die polizeiliche Prävention noch die Exekutivmaßnahmen haben etwas genutzt. Die „Waffenverbotszone“ wäre nur das nächste Placebo, das suggeriert, dass man ja doch etwas täte. Irgendetwas, das irgendwie „Sicherheit“ demonstriert, aber letztlich keinen der Konflikte löst, die sich da angesammelt haben.

Konflikte löst man nicht durch Überwachung, man verdrängt sie höchstens.

Die Antwort auf die Anfrage von Enrico Stange zur „Waffenverbotszone“. Drs. 11315

Polizeishow ändert nichts an den grundlegenden Problemen in Sachsens „Bahnhofsvierteln“

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