Ohne die Freigabe des Floßgrabens für Bootsdurchfahrten im Jahr 2011 hätte es niemals ein Eisvogelmonitoring für Leipzig gegeben. Man vergisst ja beinah, wie das alles mal angefangen hat und dass es ein regelrechter Aufstand der Leipziger Umweltverbände war, der die Stadt Leipzig 2013 erst dazu gezwungen hat, erstens eine Allgemeinverfügung für die Nutzbarkeit des Floßgrabens zu erlassen und zweitens ein jährliches Eisvogelmonitoring vorzulegen. Das jüngste wurde jetzt am Montag, 29. März, vorgestellt.

Schon am „Tag Blau“, mit dem die Connewitzer Schleuse und damit Kurs 1 über den Floßgraben zum Cospudener See eröffnet wurde, war ja ein kleines Ärgernis für die feierlustige Leipziger Stadtverwaltung, denn die Umweltschützer nötigten die hohen Gäste samt OBM, aus bereitliegenden Motorbooten in Paddelboote umzusteigen, weil ihnen – anders als den Leipziger „Machern“ – klar war, dass der Betrieb von Motorbooten im FFH-Gebiet „Leipziger Auensystem“ grundsätzlich verboten ist.Eine Erkenntnis, zu der Leipzigs Verwaltung noch zwei Jahre länger Zeit brauchte. Da musste es erst eine gehörige Rüge durch die Landesdirektion für die winterlichen „Entkrautungen“ im Floßgraben geben, mit denen das Durchfahren mit Motorboot überhaupt erst möglich wurde.

Aber wie kam nun der Eisvogel ins Geschäft?

Er gehört zu den streng geschützten Arten im FFH-Gebiet „Leipziger Auensystem“. Er lebt im Floßgraben – das können die Vogelkundler zumindest seit 2005 belegen, seit sie hier etwas systematischer beobachten. Wenn die Bootsnutzung im Floßgraben dafür sorgt, dass er verschwindet, ist das eine eindeutige Verschlechterung des Erhaltungszustandes im FFH-Gebiet. Um das zu beobachten, braucht es ein Monitoring. Und das gibt es nun seit 2013.

Und zwar ganz konkret zum Floßgraben, auch wenn Jens Kipping, der beauftragte Gutachter der Firma BioCart, manchmal auch den Auftrag bekommt, ein größeres Gebiet zu beobachten – etwa das ganze Leipziger Gewässergebiet, das vom Wassertouristischen Nutzungskonzept (WTNK) erfasst wird. Denn der Eisvogel siedelt auch anderswo. Was eigentlich ein eigenes Thema ist, wäre da nicht ab und zu so eine fröhliche Zeitungsmeldung wie 2019, dass es doch rund um Leipzig so viele Eisvögel gibt.

Der Eisvogel im Floßgraben

Das suggeriert dann schon: Warum sind dann die paar Brutvogelpaare im Floßgraben so wichtig?

Das wären sie ja auch eigentlich nicht. Sie könnten hier einfach unbeobachtet brüten, hätte die Stadt hier keinen Bootskurs eingerichtet, der Jahr für Jahr von immer mehr begeisterten Freizeitkapitänen genutzt wird. Von Motorbootkapitänen etwas seltener. Die, die noch fahren, fahren illegal und machen sich eigentlich strafbar. Und Passagierboote wie bis 2015 fahren nicht mehr, weil das die wachsende Unterwasservegetation verhindert.

Aber auch die vielen fröhlichen Freizeitpaddler belasten das Leben des Eisvogels, stören ihn vor allem bei der Nahrungssuche gerade in der Brutzeit, wo in der Eisvogelhöhle in der Steilwand in der Regel sechs hungrige Mäuler gefüttert werden müssen. Das ist echter Stress, erst recht, wenn die Eltern ganze Tage lang nicht auf Fischfang gehen können.

Das ist seit 2013 durch die Allgemeinverfügung zeitlich deutlich begrenzt. Auch wenn nicht nur Kipping nach wie vor viele Störungen am Floßgraben beobachten kann – Leute, die illegal zelten oder gar illegale Anlegestellen bauen, freilich im Corona-Jahr 2020 vermehrt auch Leute, die landseitig durchs Brutrevier stolpern.

Oder besser: die Brutreviere. Denn nach den mageren Jahren 2017 und 2018 hat sich auch im Floßgraben der Eisvogelbestand wieder vermehrt.

Die Rolle des Frosts im Dasein des Eisvogels

Das Tief der Jahre 2018 und 2019 ist überwunden, betonte Kipping am Montag. Von Anfang März bis Mitte September 2020 fanden im Rahmen des Monitorings insgesamt 48 Begehungen am Floßgraben statt, zudem Ende Mai zwei Ganztagesbeobachtungen.

Insgesamt konnten im Jahr 2020 vier Brutreviere des Eisvogels am Floßgraben festgestellt werden, aus denen sieben Bruten erfolgreich ausflogen, berichtete Kipping. Eines der Brutpaare brütete gleich dreimal hintereinander. Die Anzahl der Jungvögel pro Brut lag immer zwischen sechs und sieben Jungvögeln, was im normalen Schwankungsbereich des Eisvogels liegt.

Zuletzt war der Bestand an Eisvogelpaaren im Floßgraben auf eines zusammengeschmolzen. Aber in diesem Fall waren nicht die Paddler dran schuld, sondern die eisigen Winter 2017 und 2018. Da genügen einige Tage mit hartem Frost, so Kipping, und das dezimiert die Eisvogelbestände in Leipzig radikal. Und das betrifft nicht nur den Floßgraben. Denn nachdem ein junger Vogelfreund aus Taucha 2019 berichtet hatte, dass er auch weitab vom Floßgraben jede Menge Eisvögel gesichtet hätte, machte sich Kipping 2020 ebenfalls im gesamten Auensystem auf die Suche, unterstützt von Erik Eckstein, dem jungen Mann aus Taucha.

Das Ergebnis ist durchaus erstaunlich: Insgesamt 77 Eisvogel-Brutreviere konnten gefunden werden, die meisten rechts und links der Weißen Elster, manche aber auch tief im Wald wie in der Burgaue, wo die Eisvögel ihre Bruthöhlen in die Wurzelballen umgestürzter Bäume gegraben haben. Auch am Elster-Saale-Kanal wurde man fündig. Neun Brutreviere fanden die Forscher allein an der Parthe bis Plaußig. Wobei sich Kipping sicher ist, dass es weiter partheaufwärts noch mehr Eisvögel geben wird.

Die Zahl 77 ist auch deshalb erstaunlich, weil Kipping bei seiner letzten stadtweiten Untersuchung nur 12 Brutreviere gefunden hat. Aber dass es ab 2019 auf einmal so viele gab, überrascht ihn nicht. Denn der Winter war wieder mild, mehr Eisvögel überlebten. Und ein Vogel, der derart in der Lage ist, sogar bis zu dreimal eine ganze Brut mit sechs Jungvögeln großzuziehen, der schafft es natürlich, sich derart schnell zu vermehren und wieder jede verfügbare Nische mit „Wasseranschluss“ im Leipziger Auensystem zu besiedeln.

Harter Winter dezimiert die Eisvogelbestände

Für 2021 sieht Kipping eher kein gutes Jahr für Eisvogelsichtungen, denn die Schnee- und Frosttage Anfang Februar haben den Beständen gewaltig zugesetzt. Der Eisvogel heiße eben nicht so, weil er etwas mit Eis zu tun habe, so Kipping, sondern weil das indogermanische Wort für Glitzern in seinem Namen stecke. Frostwinter aber setzen den Beständen jedes Mal gewaltig zu. Die Eisvogelpopulationen erleben große Schwankungen. „Aber das ist normal“, sagt Kipping, der seine letzten Eisvögel freilich im Januar beobachten konnte – bevor Schnee und Eis kamen. Seither melden auch andere Vogelbeobachter nur noch seltene Sichtungen.

Was wohl heißen wird, dass viele Reviere, die der Eisvogel 2020 besetzt hatte, in diesem Jahr leer bleiben. Möglicherweise auch das am Johannaparkteich, das im Frühjahr 2020 vom Amt für Stadtgrün und Gewässer gleich mit einem leichten Schneezaun geschützt wurde, denn gerade dort sind Störungen ja geradezu unausweichlich. Aber da brütete der Eisvogel wohl, weil kaum noch sonst ein freies Revier zu finden war.

Die Zahlen von 2020 bildeten wohl in etwa den möglichen Maximalbestand an Eisvögeln ab, der im Leipziger Auenwald möglich ist, so Kipping. Der freilich selbst überrascht war, wo er den blauschillernden Vogel überall entdeckte. An Batschke und Paußnitz zum Beispiel. Hier sind es alte Flussarme im Auwald, die dem Vogel zumindest zeitweise auch genügend Nahrung geben.

Und nicht nur Kipping äußerte sich zu den Störungen am Floßgraben. Denn nach den oft massiven Verstößen zu Beginn der Freigabe des Floßgrabens kontrolliert das Amt für Umweltschutz mittlerweile des Öfteren die Einhaltung der Allgemeinverfügung. Und augenscheinlich halten sich immer mehr Besucher des südlichen Auwaldes an die Regeln, wie Dr. Barbara Jirausch, Leiterin der Abteilung Abfall-, Bodenschutz-, Naturschutzrecht im Amt für Umweltschutz, berichtete.

Die Einhaltung der Beschränkungen der Allgemeinverfügung wurden von März bis September 2020 bei insgesamt 16 Kontrollen überprüft, berichtete sie. Sechs davon fanden mit Unterstützung der Wasserschutzpolizei bzw. der Branddirektion statt, die übrigen wurden von Naturschutzbehörden und Ordnungsamt durchgeführt.

Auch an Wochenenden und Feiertagen mit gewöhnlich mehr Bootsverkehr wurde kontrolliert. Die festgestellte Anzahl der Verstöße lag mit 36 unter dem Niveau des Jahres 2019. In 31 Fällen konnten durch Warnung und Aufklärung Verstöße verhindert werden. 2018 hatte es noch 102 Verstöße gegeben.

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