Er ist das Herzstück des alten Leipzig, der Ort, an dem einst die Burg Libzi stand und wo jetzt ein neues Stadtquartier entstehen soll. Samt einem „Forum für Freiheit und Bürgerrechte“. Und die Bürger sollen mitreden können, beschloss der Stadtrat. Die Bürgerbeteiligung startet jetzt mit der Online-Umfrage und Fachwerkstätten, für die man sich bewerben kann. Aber was ist eigentlich überhaupt noch möglich?

Denn vieles an den Vorgängen rund um den Matthäikirchhof ähnelt den Diskussionen über die Neugestaltung des Wilhelm-Leuschner-Platzes. Es ist wie ein Monopoly-Spiel, bei dem einige Spieler von vornherein das Zugriffsrecht haben, die Straßen mit ihren Häusern besetzen und am Ende dürfen die Mitspieler mit den kleinen Geldscheinen über die Farbe des Pflasters und die Form der Rasenflächen mitentscheiden.In der Einladung des Stadtplanungsamtes klingt das erst einmal ganz euphorisch.
„Leipzig will den Matthäikirchhof in den kommenden Jahren neu gestalten, städtebaulich aufwerten und als Teil des Bundesprogramms ,Nationale Projekte des Städtebaus‘ zu einem vitalen Ort gelebter Demokratie entwickeln.

Um hierfür frühzeitig auch die Ideen der Leipzigerinnen und Leipziger einzubeziehen, startet am Montag, 19. April, die öffentliche Bürgerbeteiligung. Die Auftaktveranstaltung von 18 bis 20.30 Uhr informiert in einem Livestream über das rund zwei Hektar große Areal am westlichen Innenstadtring, geschichtliche Hintergründe und die anstehenden Planungsprozesse.“

Aber das Wort „frühzeitig“ stimmt hier so wenig, wie es am Wilhelm-Leuschner-Platz oder bei den Plänen zum Pleißemühlgraben stimmte. Leipzigs Verwaltung hat gelernt, Bürgerbeteiligung so einzutakten, dass sie den größeren Spielern am Monopoly-Tisch nicht mehr in die Quere kommt. Also ganz und gar nicht frühzeitig, sondern eher „zwischengeschaltet“. Als Feigenblättchen.

Festgelegt ist natürlich schon der zentrale Baustein, um den sich alles dreht. „So ist bereits klar, dass auf einem Teilbereich des Areals das ,Forum für Freiheit und Bürgerrechte‘ entstehen soll.“

Was alles schon vorgegeben ist, hat die Ratsversammlung im November 2020 mit dem „Positionspapier der Stadt Leipzig zum Matthäikirchhof als Grundlage der Beteiligung (Vorlage des Arbeitsprogramms 2023)“ beschlossen.

Die vorgegebenen Bausteine für das Areal:

„Forum für Freiheit und Bürgerrechte“ (Arbeitstitel): ca. 30 % der gesamten Grundstücksfläche (entsprechend Protokollnotiz Beschluss VI-DS-06745)

Wohnen: 20–30 % der Bruttogeschossflächen (BGF) [Im Bereich außerhalb des Forums]
öffentliche bzw. öffentlich zugängliche Nutzungen (Bildung, Kultur, Wissenschaft, etc.): ca. 40–50 % der Bruttogeschossflächen (BGF) [Im Bereich außerhalb des Forums]

Weitere Nutzungen (z. B. produktive Nutzungen, wie Gastronomie, Co-Working ): ca. 10–20 % der Bruttogeschossflächen (BGF) [Im Bereich außerhalb des Forums]

Das Gelände soll mit 20–40 % von Bebauung freigehalten werden, um Platz für attraktive Freiräume zu schaffen. Somit soll das Areal mit min. 60 bis max. 80 % bebaut werden (GRZ 0,6 – 0,8).

Was eigentlich kaum noch Spielräume zulässt. Aber einen Absatz schob die Verwaltung 2020 trotzdem noch hinein, über den der Stadtrat damals gar nicht mehr groß diskutierte, weil man ihn eher als Floskel auffasste: „Abweichend vom oben vorgeschlagenen Nutzungsprofil muss auch die Möglichkeit der Ansiedlung einer nationalen oder internationalen Konzernzentrale für die Entwicklung des Areals und der Stadt im Beteiligungsprozess diskutiert werden.“

Nur einige wenige fragten sich damals: Was denn für eine Konzernzentrale? Welcher Konzern möchte denn gern seine neue Zentrale an den Matthäikirchhof verlegen? Darüber spekulierte am 31. Januar ja schon die LVZ, nachdem OBM Burkhard Jung auf einer Pressekonferenz der Agentur für Arbeit von „einer ganz großen Nummer“ geschwärmt hatte und dass da noch 2021 etwas ganz Großes passieren sollte.

Aber die Firmenzentrale eines großen Konzerns wird garantiert nicht nur 100 Quadratmeter Bürofläche mieten wollen, sondern eher ein repräsentables Gebäude erwarten – und zwar genau in der Dimension dessen, was außerhalb des „Forums“ noch an Baukörper denkbar wäre.

Das klingt schon ganz genau so wie am Wilhelm-Leuschner-Platz, wo die Verwaltung ebenfalls schon allerlei Zusagen gemacht hat, bevor der Bebauungsplan überhaupt in den Stadtrat ging. Mit dem Ergebnis, dass auf dieser riesigen Brache jetzt eigentlich schon bedrückende Enge herrscht, weil eigentlich alle Filetstücke schon versprochen und verplant sind.

Am Mätthäikirchhof also ganz genau dasselbe? Das sind keine guten Vorzeichen für die Bürgerbeteiligung. Und von „frühzeitig“ kann eigentlich auch keine Rede sein.

Die geplante Bürgerbeteiligung

Was soll jetzt also am 19. April in der Auftaktveranstaltung von 18 bis 20:30 Uhr passieren?

Im Podium diskutieren Oberbürgermeister Burkhard Jung, Roland Jahn, Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU), Kulturbürgermeisterin Dr. Skadi Jennicke sowie Baubürgermeister Thomas Dienberg. In der Debatte wollen sie das Spannungsfeld zwischen der geschichtlichen und künftigen Entwicklung des Areals ausloten, außerdem mögliche Nutzungen sowie den Umgang mit Bestandsgebäuden erörtern.

Nach dem Auftakt der öffentlichen Bürgerbeteiligung will die Stadt unter anderem in vier themenspezifischen Fachwerkstätten am 9. Juni, 1. Juli, 9. September und 7. Oktober 2021 das Thema weiterdenken und vertiefen. Rund 45 Personen können an den Fachwerkstätten teilnehmen. Der feste Teilnehmerkreis setzt sich aus Vertreterinnen und Vertretern der Lokalpolitik, der Verwaltung, der Zivilgesellschaft sowie aus Fachexperten zusammen.

Leipzigerinnen und Leipziger können ihr Interesse an der Teilnahme der Fachwerkstätten vom 19. April bis 5. Mai unter www.leipzig.de/matthaeikirchhof bekunden. Sollten mehr Anmeldungen erfolgen, als Plätze vorhanden sind, entscheidet ein Losverfahren über die Teilnahme, Alter und Geschlecht werden dabei berücksichtigt.

Zudem beginnt eine Online-Umfrage, in der alle Interessierten ihre Meinungen und Ideen rund um die Entwicklung des Matthäikirchhofs vom 19. April bis 31. Mai formulieren können. Weitere Formate der Bürgerbeteiligung sollen den Planungsprozess in den kommenden Jahren intensiv begleiten. Nicht zuletzt aufgrund der Pandemie sollen dabei Online- und Offline-Formate der Beteiligung kombiniert werden.

Eine Ausstellung direkt vor Ort

Eine Ausstellung an der Fassade der ehemaligen Volkspolizei informiert zudem ab sofort entlang der Großen Fleischergasse über die städtebauliche Entwicklung des Matthäikirchhofs, seine geschichtliche Komplexität bis zur Gegenwart und gibt einen Ausblick auf das begonnene Projektvorhaben zur Umgestaltung des Areals. Weitere Informationen sowie den Link zur Auftaktveranstaltung gibt es auf der Projekt-Website unter www.leipzig.de/matthaeikirchhof.

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