Es klang so schön, so richtig nach „Wir legen jetzt los!“, als OBM Burkard Jung als Maßnahme Nr. 22 in sein Sofortmaßnahmenprogramm zum Klimanotstand das Pilotprojekt „Verkehrssperrung in der Gottschedstraße für ,Freisitzstraße‘“ aufnahm. Das klang sogar im ersten Corona-Jahr richtig gut: Einfach mal ausprobieren, wie man auf der von Autos befreiten Gottschedstraße essen, trinken und froh sein könnte. Aber so wird das nicht passieren.

Das war schon in der ersten Stellungnahme der Stadtverwaltung zu einem Linke-Antrag deutlich geworden, der erst in der Juli-Ratsversammlung zum Beschluss stehen wird: „Sondernutzung von Flächen des ruhenden Verkehrs“. Den hat die Verwaltung mehr oder weniger schon als rechtswidrig abgelehnt.Und zwar nicht nur in Bezug auf das von der Linksfraktion beantragte Online-Anmeldeverfahren. Sondern deutlich genereller: „Eine pauschalierte verkürzte Erlaubniserteilung ist rechtlich nicht zulässig, da § 18 Abs. 1 SächsStrG für die Sondernutzung ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt enthält, das stets einer Einzelfallprüfung anhand konkreter Antragstellung bedarf. Ein Beschluss des Antrags wäre insoweit rechtswidrig.“

Und wenn, dann gibt es die Genehmigung auch nur zeitlich eingeschränkt: „Soweit Sondernutzungen für Freisitze und Auslagen von Parkflächen und Fahrbahnen freitags, samstags und sonntags jeweils von 11:00 bis 22:00 Uhr erlaubt werden sollen, erfolgt dies im Rahmen einer Einzelfallprüfung.“

Und letztlich betrifft das eben auch die Gottschedstraße, von der nicht nur die Linksfraktion erwartet hatte, dass sie schon 2020 einfach mal umgewidmet wird. Denn das sollte ja wohl das Wort „Pilotprojekt“ im Sofortmaßnahmenprogramm heißen: Einfach mal ausprobieren, ob man auf die Weise die Freisitzgastronomie in Leipzig in der Corona-Zeit deutlich stärkt.

Aber auch 2021 wird das so nicht passieren, wie am Donnerstag Baubürgermeister Thomas Dienberg auf die Linke-Anfrage hin erklärte, mit geharnischtem Widerspruch von Franziska Riekewald aus der Linksfraktion, als es konkret um das Freiräumen von Parkbuchten für Freisitze ging.

Einen ersten kleinen Schritt geht die Stadt tatsächlich, kündigte Dienberg an: Zwischen Zentralstraße und Bosestraße würden die Parkbuchten in nächster Zeit freigeräumt und für die Freisitzgastronomie zur Verfügung gestellt.

Das aber ist nicht das, was das Sofortmaßnahmenprogramm versprochen hatte. Dort war von der Zurverfügungstellung der ganzen Straße die Rede. Aber genau das würde nicht passieren, so Dienberg, das verhindere schon die aktuelle Baustelle in der Straße, sodass insbesondere der Straßenteil zwischen Bosestraße und Käthe-Kollwitz-Straße für Baufahrzeuge gebraucht werde, an eine Sperrung also nicht zu denken sei.

Längerfristig – so Dienberg – wolle sein Dezernat zumindest untersuchen, ob im restlichen Straßenteil eine Teileinziehung der Straße möglich wäre. Das wäre zumindest einen Versuch wert. Aber das heißt nun einmal auch, dass es ganz bestimmt keine Sofortmaßnahme wird.

Und im nachfolgenden Wortgefecht mit Franziska Riekewald wurde auch deutlich, dass das zuständige Verkehrs- und Tiefbauamt keineswegs schon da steht, wo es das Sofortmaßnahmenprogramm suggerierte. Riekewald interessierte besonders, warum im Straßenteil zwischen Bosestraße und Käthe-Kollwitz-Straße dann nicht wenigstens die Stellplätze zur Nutzung als Freisitz zur Verfügung stehen, wenn doch die dortigen Gastwirte schon im VTA anrufen.

Aber im VTA, so Dienberg, hätte es solche Anträge nicht gegeben. Während Riekewald erklärte, den Gastwirten sei dort sowieso erklärt worden, sie würden keine Genehmigung bekommen. Was ja eindeutig davon erzählt, dass sich die Verwaltung eher um die Aufrechterhaltung des Status Quo bemüht, auch wenn das heißt, dass die Freisitze den größtmöglichen Teil der Fußwege einnehmen, sodass es auch immer wieder für Passanten sehr eng wird.

Aber hier achte das Ordnungsamt darauf, dass die 1,30 Meter Mindestbreite für Fußgänger eingehalten würden, so Dienberg. Das werde regelmäßig kontrolliert.

Was eigentlich erst recht seltsam wirkt, wo es in Corona-Zeiten ja geradezu auf Abstand ankommt. Aber so ähnlich wie im negativ beschiedenen Linke-Antrag argumentierte Dienberg auch hier: Dem stünden dann wohl Parkplatzprobleme der Anwohner entgegen, die sich auf andere Weise nicht lösen ließen.

Die ganze Idee aus dem Sofortmaßnahmenprogramm, hier wirklich mal ein Pilotprojekt zu schaffen, scheitert also wieder an den bekannten Gründen. Klimaschutz kapituliert vor Autostellplätzen. Und die Chance, die Corona-Zeit wirklich mal für ein mutiges Umnutzungsprojekt einer viel frequentierten Gastromeile zu nutzen, löst sich vor aller Augen in Luft auf.

Die Debatte vom 24. Juni 2021 im Stadtrat

Video: Livestream der Stadt Leipzig

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