Der Bundesparteitag der AfD in Riesa gerät am letzten Tag zum Desaster. Trotz zahlreicher offener Punkte auf der Tagesordnung entschließt sich die Mehrheit der Delegierten, den Parteitag vorzeitig zu beenden. Das dürfte weder den Parteisprecher/-innen Tino Chrupalla und Alice Weidel noch dem Strippenzieher Björn Höcke gefallen. Für Anträge aus seinem Lager hätte es wohl Mehrheiten gegeben. Seine Gegner schafften es jedoch, Abstimmungen über diese Anträge zu verhindern.

Als die beiden Parteisprecher/-innen Alice Weidel und Tino Chrupalla am späten Sonntagnachmittag das Wort ergriffen, ließen sie sich kaum anmerken, dass der Bundesparteitag der AfD in diesem Moment zum Desaster geraten war. Zahlreiche Punkte auf der Tagesordnung blieben unbearbeitet – aber nicht mangels Zeit, sondern mangels Willen der Mehrheit, den Parteitag normal zu Ende zu bringen.

Vorangegangen war eine zweistündige Schlacht voller Geschäftsordnungs- und Verfahrensanträge, die rund um einen Antrag aus dem Höcke-Lager kreisten. Dieses wollte eine Resolution beschließen, die ein Ende der Europäischen Union in der derzeitigen Form forderte.

Höcke mit gewohnter Rhetorik

Höcke begründete den Antrag damit, dass es „Ansätze der Dekadenz“ in der EU gebe, und nannte „Gender-Mainstreaming“, „Transhumanismus“ und „Multikulturalismus“ als Beispiele dafür. In der schriftlichen Begründung des Antrags ist unter anderem auch davon die Rede, dass sich die EU immer mehr „in Richtung eines europäischen Super-Staats“ entwickle.

Grundsätzlich störten sich an diesem Antrag offenbar nicht allzu viele Delegierte; die Kritik an der europäischen Finanzpolitik beispielsweise gehört schließlich zur DNA der AfD. Kritik kam jedoch an bestimmten Begriffen und daran, dass der russische Angriff auf die Ukraine angeblich verharmlost würde. Das Wort „Krieg“ sei vermieden worden, so ein Gegner der Resolution.

Ein solcher Antrag käme in Anbetracht der jüngsten weltpolitischen Entwicklungen zum falschen Zeitpunkt, hieß es – strategische Überlegungen also.

Zurückhaltend äußerten sich auch die Parteisprecher/-innen Weidel und Chrupalla. Sie stellten sich somit sanft gegen das Höcke-Lager, das seit dem Vortag auch zahlreich im neuen Bundesvorstand vertreten ist.

Dutzende Anträge

Statt über den Inhalt des Antrags zu reden, entwickelte sich jedoch bald eine schier endlose Diskussion darüber, ob, wann und wie überhaupt über den Antrag diskutiert werden soll. Dutzende Geschäftsordnungs- und Verfahrensanträge – manchmal bis zu vier gleichzeitig – forderten, Debatten zu beenden oder in andere Gremien zu verlagern. Auch Chrupalla äußerte einen solchen Wunsch – fand jedoch keine Mehrheit.

Das wiederum veranlasste einen Delegierten dazu, das Ende des gesamten Parteitages zu beantragen. Er begründete das damit, dass bereits einen Tag nach der Wahl des neuen Vorstandes daran gearbeitet werde, diesen zu „demontieren“. 52 Prozent der Delegierten stimmten bei diesem ersten Anlauf noch knapp gegen den Antrag.

56 Prozent für Abbruch

Später folgte ein weiterer Antrag, den Parteitag zu beenden. Diesmal stimmten 56 Prozent für den Antrag. Mögliche Motivation für die Zustimmung könnte sein, dass die Mehrheitsverhältnisse im Saal an diesem Tag andere waren als von diesen Personen gewünscht. Viele könnten aber auch schlicht vermutet haben, dass es auch bei weiteren Debatten zu ähnlichen Endlosschleifen kommen könnte. So blieben jedoch auch viele wichtige Anträge auf der Strecke.

Im Sinne des Höcke-Flügels kann dieser Abbruch kaum gewesen sein. Sie hatten möglicherweise Mehrheiten im Saal für ihre Anträge. Auch die Kommission zur Vorbereitung einer Parteireform, deren Vorsitzender Höcke laut Medienberichten werden wollte, wurde somit nicht gegründet.

Die neuen Sprecher/-innen Weidel und Chrupalla lässt dieses vorzeitige Ende ebenfalls nicht gut aussehen. Der „Aufbruch“, den sie noch am Vortag in der Wahl des neuen Vorstandes erkannt haben wollten, führt ins Ungewisse.

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