„Naturschutz in der wachsenden Stadt?“ betitelte die Grünen-Fraktion ihre jüngste Anfrage zu den Vorgängen in der Holbeinstraße 6a, wo für ein Wohnpalais direkt auf dem Ufer der Weißen Elster eine Baugenehmigung ausgereicht wurde. Ihnen ging es um einige der naturschutzrechtlichen Fragen, die mit der Baugenehmigung und den Baumfällungen auf dem Ufergrundstück im November zusammenhängen. Aber irgendwie ist Naturschutz einfach nicht zu greifen.

„Bereits im Sommer wurden mehrere Anfragen von Einwohner/-innen zum Thema der Uferrandbebauung in der Holbeinstraße 6a eingebracht und beantwortet. In der Beantwortung der Anfrage einer Einwohnerin ‚Neubau Wohnpalais Holbeinstr. 6a‘ (VII-EF-08710-AW-01) wird die Behauptung aufgestellt, dass eine unbillige Härte vorgelegen hätte und daher eine Ausnahme nach dem Sächsischen Wassergesetz zur Bebauung des Uferrandstreifens zu erteilen war.

Allerdings wird die unbillige Härte in der Anfrage zwar erwähnt, allerdings nicht rechtssicher ausgeführt, worin diese gelegen haben soll“, stellte die Grünen-Fraktion in ihrer Anfrage fest.

„Nunmehr berichtete die Leipziger Internetzeitung, dass mehrere Widersprüche zum Vorhaben anhängig sind, die sich auch auf die Fällung der Bäume und Hecken auf dem Grundstück beziehen. Auch ein Antrag zum bauaufsichtsrechtlichen Einschreiten liegt der Stadt vor“, so die Grünen.

Am Freitag, den 24.11.2023, sei mit der Fällung begonnen worden, die ausweislich des Berichts durch die Stadt zunächst untersagt wurde. Am Sonnabend, den 25.11.2023, seien die Fällarbeiten trotz Untersagung fortgesetzt und abgeschlossen worden. In der Nachbarschaft und weiten Teilen der Stadt wird das Vorgehen sowohl der Baugenehmigungsbehörde hinsichtlich der erteilten Ausnahmegenehmigung, als auch hinsichtlich der Baumfällungen sehr kritisch gesehen. Unverständnis bis hin zu Wut herrschen vor.

Am 24.11., 25.11. und 30.11. gab es zudem Einsätze der Polizei und der Polizeibehörde vor Ort.

Ferner berichten Anwohner/-innen, dass es keine ökologische Begleitung der Fällmaßnahmen gegeben habe und auch Biber im Bereich gesichtet worden wären.“

Normalerweise sorgen berechtigte Widersprüche dafür, dass Bauvorhaben erst einmal nicht umgesetzt werden können, bis alle Widersprüche rechtlich geprüft sind. Was normalerweise auch bauvorbereitene Maßnahmen wie Baumfällungen betrifft.

Doch genau so haben die Widersprüche nicht gewirkt. Was das Bauordnungsamt jetzt auf Nachfrage der Grünen versucht zu erklären. Nach seiner Ansicht erlosch die Leipziger Baumschutzsatzung schon im Moment der ausgereichten Baugenehmigung. Wir bringen hier die Fragen der Grünen und die Antworten aus dem Amt für Bauordnung und Denkmalpflege einmal komplett.

Widersprüche haben die Baumfällungen nicht verhindert

1. Ist es zutreffend, dass es Widersprüche gegen das Bauvorhaben gab und sich diese Widersprüche auch auf die Fragen des Naturschutzes bezogen? Wenn ja, wie viele Widersprüche wurden eingereicht und welchen Bearbeitungsstand haben die eingereichten Widersprüche?

Es ist richtig, dass es beim Amt für Bauordnung und Denkmalpflege nach erfolgter Nachbarbeteiligung Widersprüche gegen das genehmigte Bauvorhaben gab. Diese Widersprüche bezogen sich auch auf Belange des Naturschutzes.

Es wurden insgesamt 29 Widersprüche eingereicht, 2 Widersprüche wurden zurückgezogen und 5 Widersprüche sind von Mietern. Mieter sind allerdings nicht widerspruchsbefugt.

Den Widersprüchen konnte nach erfolgter Prüfung nicht abgeholfen werden und somit wurden diese am 06.10.2023 zur weiteren Bearbeitung und Erlass eines Widerspruchsbescheides an die Landesdirektion Sachsen abgegeben.

Bei der Unteren Wasserbehörde (Amt für Umweltschutz, d. Red.) liegt gegen die wasserrechtliche Befreiung vom Verbot der Errichtung baulicher Anlagen sowie gegen Befreiung vom Verbot des Entfernens von standortgerechten Bäumen und Sträuchern im Gewässerrandstreifen der Weißen Elster jeweils ein Widerspruch vor. Die Widersprüche befinden sich in Prüfung. Zu laufenden Verwaltungsverfahren kann keine Auskunft gegeben werden.

2. Ist es zutreffend, dass zunächst ein Stopp der Arbeiten verfügt wurde und am nächsten Tag dennoch die Arbeiten vollendet wurden? Wenn ja, wie beurteilt die Stadtverwaltung dieses Vorgehen?

Es ist zutreffend, dass durch den Außendienst des Ordnungsamtes am 24.11.2023 sowie am 27.11.2023 ein vorläufiger Fällstopp verfügt wurde. Die am 24.11.2023 anfänglich angeordnete Verfügung zur Wahrung des nach Baumschutzsatzung geschützten Baumbestandes verlor allerdings mit dem Vorliegen der Baugenehmigung ihre Wirksamkeit.

Somit war auch kein weiteres Einschreiten gegen die durchgeführten Fällungen erforderlich, da der Schutzstatus der Bäume, welche außerhalb des Gewässerrandstreifens aufwuchsen, mittels Baugenehmigung aufgehoben wurde.

Aufnahme gefällter Bäume am Ufer der Weißen Elster. Foto: BUND Leipzig
Gefällte Bäume am Ufer der Weißen Elster. Foto: BUND Leipzig

Gleiches galt für die am 27.11.2023 erfolgte Untersagung der Fällarbeiten vor Ort. Grund war hier der Hinweis zu Fällarbeiten eines Baumes an der Grenze zum Nachbargrundstück. Nach den vor Ort zur Verfügung stehenden Unterlagen, konnte zu diesem Zeitpunkt nicht eindeutig festgestellt werden, auf welchem Grundstück der betreffende Baum steht und ob damit die vorgelegten Fällgenehmigungen anwendbar waren.

Da die Inspektoren zu diesem Zeitpunkt die Eigentumsverhältnisse und die Grundstücksgrenzen nicht abschließend klären konnten, wurde die Fällung des Baumes untersagt. Im Ergebnis der Ermittlungen lag die Genehmigung für die Baumfällung mit der Bedingung einer Ersatzpflanzung vor.

Nach dem vor Ort festgestellten Sachverhalt, der Bewertung der vorliegenden Informationen sowie der Ergebnisse aus Rücksprachen mit Dritten wurden die notwendigen behördlichen Maßnahmen verfügt. Insgesamt war der Sachverhalt von einer gewissen Dynamik geprägt, die es notwendig machte, auf die neuen und bekannten Gegebenheiten schnell zu reagieren und entsprechende Entscheidungen zu treffen bzw. diese aufzuheben.

Was hat das Amt für Umweltschutz eigentlich geprüft?

3. Wie beurteilt die Stadtverwaltung den Eingriff in den Naturhaushalt vor Ort und das Vorgehen des Bauherrn im Hinblick auf den Schutz von Habitaten? Ist der Stadtverwaltung bekannt, dass es geschützte Arten in diesem Bereich gab und wurde das im Rahmen der erteilten Baugenehmigung berücksichtigt?

Zur naturschutzfachlichen Bewertung durch die Untere Wasserbehörde wurde ein Artenschutzgutachten erstellt. Ausweislich der durchgeführten und als plausibel bewerteten gutachterlichen Untersuchung waren in den Gehölzen keine Tierarten vorhanden, die im Winter durch eine Fällung betroffen sein könnten (wie Fledermäuse im Winterquartier o.ä.).

Da die Fällung während der Brutzeit seitens der Naturschutzbehörde abgelehnt wurde, wurden die Fällungen im Winter außerhalb der Brutperiode durchgeführt.

Ein Vorkommen des Bibers an dem Standort ist nicht bekannt. Hinweisen aus der Bevölkerung wurde nachgegangen mit dem Ergebnis, dass die Hinweise nicht bestätigt werden konnten. Die vorliegenden Hinweise konnten leider nicht durch Fotos, Fraßspuren o.ä. belegt werden. Hinzu kommt, dass das Grundstück aufgrund ökologischer Faktoren wie z. B. seiner Kleinräumigkeit für den Biber als dauerhaften Lebensraum als grundsätzlich ungeeignet zu qualifizieren ist.

Mangels hinreichender Verdachtsmomente bzgl. eines möglichen Verstoßes gegen § 44 Abs. 1 BNatSchG war die Einschränkung der Bebauung rechtlich nicht möglich.

Es sind für die zu fällenden Bäume Ersatzpflanzungen vorzunehmen. Damit wird der erforderliche Ausgleich gewährleistet. Auch für die im Gewässerrandstreifen gefällten Bäume wird ein Ausgleich in Form von gewässertypischen Gehölzen erfolgen. Bei der Standortwahl steht der ökologische Nutzen im Vordergrund.

4. Welchen Wert hat Naturschutz in der wachsenden Stadt, wenn nunmehr die Stadtverwaltung auch den Interessen von Privateigentümer/-innen Vorrang vor Gewässer- und Naturschutz einräumt?

Natur- und Umweltschutz haben in der Stadt Leipzig einen hohen Stellenwert. Gesunde Lebensbedingungen sind in Leipzig stadtweit auch unter den Vorzeichen des Wachstums zu sichern und möglichst zu verbessern.

Um das prognostizierte Wachstum im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung Leipzigs zu bewältigen und gleichzeitig die Lebensqualität zu erhalten, werden u.a. Konzepte entwickelt und umgesetzt, insbesondere das INSEK 2030 mit seinen Fachkonzepten und den zugehörigen relevanten Fachplanungen/Strategien (z.B. Stadtklimaanalyse, Masterplan Grün Leipzig 2030, Doppelte Innenentwicklung, Biotopverbundplanung, Auenentwicklungskonzept und Freiflächengestaltungs- und Begrünungssatzung).

Rätsel um die „unbillige Härte“

5. Wie genau begründet die Stadt das Vorliegen einer unbilligen Härte für den Privateigentümer, so dass eine Ausnahmegenehmigung nach dem Sächsischen Wassergesetz zu erteilen war?

Die Ausführungen in der Antwort auf die eingangs zitierte Anfrage der Einwohnerin wissen in rechtlicher Hinsicht nicht zu überzeugen und führen die unbillige Härte nicht in dem Maße aus, wie es für ein gerichtliches Verfahren notwendig wäre.

Aufgrund des Widerspruchsverfahrens bei der Unteren Wasserbehörde (siehe Antwort 1) ist der geschilderte Sachverhalt derzeit Gegenstand der behördlichen Prüfung. Die Verwaltung bittet um Verständnis, dass dazu derzeit keine Auskunft erteilt wird.

6. Warum erfolgte bei einem Bauvorhaben, welches ganz offensichtlich die öffentliche Interessenlage tangiert, eine Rückmeldung erst so spät, dass sich der zuständige Mitarbeiter in einer Mail für die sehr späte Antwort entschuldigen musste?

Die Rückmeldung des zuständigen Verfahrensmanagers des Amts für Bauordnung und Denkmalpflege betraf einen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten, welcher durch den Rechtsbeistand der Eigentümergemeinschaft Holbeinstraße 6 gestellt wurde. Dieser Antrag sollte das Amt für Bauordnung und Denkmalpflege veranlassen, behördlich einzuschreiten.

Da zum Zeitpunkt der Antragstellung keinerlei Bautätigkeit auf dem Grundstück stattfand, war ein Einschreiten nicht möglich.

Weiterhin beinhaltete der Antrag zum bauaufsichtlich Einschreiten Themen, die in den Widersprüchen bereits geprüft wurden.

Eine Eingangsbestätigung des Antrages mit Erläuterungen zur weiteren Bearbeitung wurde gleich nach Eingang an den Antragsteller versandt.

Anfang August erfolgte eine Akteneinsicht des Antragstellers des bauaufsichtlichen Einschreitens.
Nachdem der Baubeginn am 10.11.2023 für den 25.11.2023 angezeigt wurde, ist der Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten sofort bearbeitet worden.

Die betreffende Mail war lediglich eine Information zum Bearbeitungsstand.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar