Jetzt hat es einmal die Leipziger Wohnungsbaugesellschaft (LWB) erwischt. Dass sie an der Johannisallee ein neues Bauprojekt plant, hat die stadteigene Wohnungsgesellschaft schon 2021 angekündigt. Hier soll an der Ecke zur Straße des 18. Oktober ein 7-geschossiges Gebäudeensemble aus sechs Mehrfamilienhäusern sowie drei Wohn- und Geschäftshäusern mit insgesamt 201 Wohnungen entstehen. Nur hat niemand beim Amt für Umweltschutz eine Ausnahmegenehmigung zur Fällung des alten Baumbestands beantragt.

Rund um einen Parkplatz war hier ein parkartiges Areal von fast einem Hektar mit lockerem Baumbestand entstanden. Doch der soll für das neue Wohnensemble der LWB komplett gerodet werden. Darunter auch alte und höhlenreiche Einzelbäume. Sehr zum Entsetzen der Initiative Stadtnatur.

Ines Wangemann von dieser Initiative hatte am Sonntag, dem 7. Januar, zufällig festgestellt, dass auf der Fläche ein mächtiger, gesetzlich geschützter Höhlenbaum mit einem Stammumfang von 2,70 Metern gefällt worden war. Anfang der Woche wurden die Rodungen trotz offensichtlicher Verstöße gegen geltendes Naturschutzrecht fortgesetzt.

Denn eine artenschutzrechtliche Ausnahme oder Befreiung lag nicht vor. Ines Wangemann informierte deshalb die untere Naturschutzbehörde, die sofort einen Rodungsstopp verhängte. Das Bauvorhaben war der unteren Naturschutzbehörde gar nicht bekannt gemacht worden. Die erfolgte Rodung des Höhlenbaums war demnach illegal.

Da nutzt dann auch der Nistkasten am gefällte Baum nichts mehr. Foto: Initiative Stadtnatur
Da nutzt auch der Nistkasten am gefällte Baum nichts mehr. Foto: Initiative Stadtnatur

Darüber hinaus ist aufgrund der parkartigen Struktur der Fläche von einer für innerstädtische Bereiche recht artenreichen Tierwelt auszugehen. Diese würde durch das Vorhaben komplett ausgelöscht, kritisiert die Initiative Stadtnatur. Der Verlust von Lebensstätten von mehreren Brutvögeln und von Fledermäusen sei ohne entsprechende Ausnahme oder Befreiung mit dem Bundesnaturschutzgesetz unvereinbar.

Doch eine solche Befreiung wurde offensichtlich nicht beantragt. Und kompensiert werden soll der Verlust hier im Stadtraum an einer völlig anderen Stelle: Die Rückfrage beim Bauleiter hatte ergeben, dass als Ausgleich in Mockau – das heißt: weit entfernt vom Eingriffsort – etwa 100 Bäume neu gepflanzt werden sollen.

Die grundsätzliche Kritik der Initiative Stadtnatur

„Dieses Beispiel zeigt stellvertretend, wie schlecht es insbesondere, wenn es um das Stadtgrün geht, um die behördeninterne Abstimmung bestellt ist und wie eigenmächtig einige Behörden hier agieren. Offensichtlich haben das Bauordnungsamt und das Amt für Stadtgrün und Gewässer das LWB-Vorhaben – an der unteren Naturschutzbehörde vorbei – bereits genehmigt und die Ersatzpflanzungen, die für den Stadtteil nichts bringen und auch deshalb den Eingriff nicht ansatzweise ausgleichen können, angeordnet“, kritisiert die Initiative Stadtnatur die Ämter der Stadt.

Sie fordert die Ahndung der illegalen Fällung des Höhlenbaums und eine adäquate Aufarbeitung des bereits erfolgten Schadens für Natur und Umwelt, und zudem die Beachtung des Artenschutzrechts und der Eingriffsregelung.

Axel Schmoll von der Initiative Stadtnatur, sagt zu diesem neuerlichen Vorfall behördlichen Versagens beim Artenschutz: „Es ist skandalös, dass bei einem solchen Bauvorhaben die untere Naturschutzbehörde gar nicht informiert war. Um die artenschutzrechtliche Betroffenheit zu analysieren, müssen in einem ersten Schritt die Artengruppen Brutvögel und Fledermäuse umfassend erfasst werden, und zwar über deren gesamten Jahreszyklus.“

Und dazu kommt: Die Fläche an der Johannisallee ist im Landschaftsplan der Stadt Leipzig als Park ausgewiesen.

Was Wiebke Engelsing von der Initiative Stadtnatur das nächste Problem beim Vorgehen der Ämter benennen lässt: „Es kann nicht sein, dass der Landschaftsplan ständig ignoriert wird, wenn die großen Player der Immobilienbranche auf Kosten des wichtigen Stadtgrüns in unserer Stadt bauen möchten. Wir müssen endlich die Anforderungen, die sich aus der Klima- und Biodiversitätskrise ergeben, ernst nehmen.“

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Es gibt 12 Kommentare

Früher oder später wird von nahezu jedem erteilten Baurecht Gebrauch gemacht werden (es sei denn, das Zuzugsinteresse kehrt sich wieder um; manchmal wünscht man sich ja genau das.) Auch die punktuellen Versuche, einzelne Brachen und Wiesen vor Bebauung zu retten, werden von mäßigem Erfolg sein. Das ist die Misere. Umso bedeutender allerdings ist der Erhalt und die Re-Vitalisierung der Auenwälder und der meist angrenzenden bestehenden Pärke (ein CH-Plural).

Es ist doch bei Weitem nicht die einzige Fläche in Leipzig, die gerodet wurde. Aktuell in der Dieskaustraße, in der Vergangenheit im Kantatenweg hinter der Taborkirche.

@ Rudi: Vermischt haben sich Raben- und Nebelkrähe, aber auch nur zum Teil, wobei die beiden aber auch eher Unterarten sind. Die Saatkrähe ist eine andere Art. Eine Kolonie dieser Art gab es bis vor einigen Jahren im Stötteritzer Wäldchen. Aber auch die Winterbestände haben deutlich abgenommen.
Kiebitzbruten gab es vor einigen Jahren noch ganz vereinzelt südlich des Kanitzsch an der ehemaligen Bahnlinie. Mittlerweile ist der Brutplatz verwaist. Insgesamt ist die Art als Brutvogel im freien Fall nach unten, und auch die Rastbestände dünnen sich extrem aus.

@urs
Zugespitzt: Man weiß gar nichts. Das Dezernat III (Heiko Rosenthal) befindet sich seit Jahren im Tiefschlaf. Nur wenn für Bauvorhaben mal rechtzeitig kartiert wurde, weiß man wenigstens für die eine oder andere Ecke ein paar Arten, die dann jetzt da nicht mehr sind. Bei der Kartierung wird aber nur nach bestimmten geschützten Arten geschaut. Eine Totalerhebung aller Arten gibt es nicht .

@robin
Die Saatkrähe ist auch weg? Noch vor ein paar Jahren hieß es: Nebelkrähe und Saatkrähe verpaaren sich, sodass beide Bestände nicht mehr zu trennen sind. Wobei diese Aussage wohl auch nicht korrekt war, denn wahrscheinlicher ist, dass sich Nebelkrähe und Rabenkrähe verpaarten. Kiebitze habe ich in Leipzig bisher noch nie gesehen. Im Südosten Leipzigs gibt es im Herbst ein kleines Kiebitztreffen zur Sammlung für den Flug in den Süden. In guten Jahren habe ich dort ca. 30 Individuen gezählt.

Sehe ich das zugrundeliegende Problem eigentlich richtig, daß die Stadt sowas wie eine Getriebene ist? Würde Wohnungsbau erschwert, stiegen die Wohnkosten noch mehr als bisher schon. D.h., das Zuzugsinteresse zerdöllert verbliebene Brachen und Wiesen. Und bei Löwitz ist die LWB außen vor, oder?

Und noch ein anderer Aspekt: weiß man eigentlich, in welchem Ausmaß die Waschbärenplage die Vogelpopulationen maltraitiert?

@Rudi: Du hast Recht damit, dass es keine systematischen aktuelleren Erfassungen gibt in Leipzig. Allerdings gibt es viele Kartierungen für Flächen, die dann zerstört wurden. Der allgemeine Schwund des Stadtgrüns ist zumindest zum Teil dokumentiert. Tendenz stark steigend. Der OBM träumt gar von einem Klein- New-York.
Bei der Artenvielfalt bzw. Biodiversität geht es nicht nur um die reine Anzahl an Arten, sondern auch um deren genetische Vielfalt innerhalb der Population. Buchempfehlung: “Das Ende der Evolution” von Matthias Glaubrecht.
Zudem gibt es aber z.B. auch Vogelarten, die im Leipzig als Brutvogel komplett verschwunden sind, z.B. Saatkrähe und Kiebitz.

@robin W.
Ob die Artenvielfalt sich im freien Fall befindet oder nicht, weiß niemand. Es gibt leider keinerlei Erhebungen hierzu.
Was zu vermuten ist: Die Zahl der Arten ist relativ konstant. Die Zahl der Individuen wird weniger.

@Alle, zur beispielhaften Biotopaufwertung ist eine Petition im Verfahren wozu noch Unterstützer gesucht werden. Aktuell haben 504 Personen diese mit gezeichnet. Der Petitionsausschuss hat ohne meine beantragte Anhörung für eine Ablehnung votiert.
https://www.leipzig.de/buergerservice-und-verwaltung/buergerbeteiligung-und-einflussnahme/petition/online-petition/details/petition/biotope-aufwerten-und-erhalten-b-plan-nr-359-lindenauer-hafen-zentraler-bereich-anpassen

A&O hat natürlich völlig Recht! Die Artenvielfalt befindet sich in Leipzig nahezu im freien Fall. Die immer wieder vorgebrachte Argumentation, dass Tiere ausweichen können entbehrt jeder wissenschaftlichen Grundlage. Interessant ist auch, dass der Bau- Bürgermeister T. Dienberg von den Grünen Vorsitzender des Aufsichtsrats der LWB ist. Dienberg ist ja in besonderem Maße “engagiert” für die Zerstörung unseres Stadtgrüns.

@Tobias: Harte Gegenrede, nein. Die Nachverdichtung durch die Stadt Leipzig und andernorts bringt auch mittlerweile “Allerweltsarten” wie Amsel und Hausssperling immer näher in kritische Bereiche der roten Liste. Vormalige Feld- und Landarten ziehen sich wegen Monokultur und Verdichtung in die städtischen Resträume zurück, die immer mehr und ohne Ausgleich auch beseitigt werden. Selbst die Naturschutzbehörde der Stadt leipzig weist regelmäßig darauf hin, dass diese Argumentation der Verfügbarkeit von anderen Lebensräumen nicht verfängt; vielmehr sind entweder vorhandene Lebensräume besetzt oder einfach nicht geeignet.

Ungeachtet dessen ist die Nachschau nach geschützten Lebensräumen ein unbedingtes Muss nach §§ 39, 44 BNatschG. Da kann auch die LWB nicht umhin kommen.

Da ist viel falsch gelaufen, keine Frage.
Aber da ist rundherum viel Park und der kaum belegte Parkplatz hier soll nun sinnvoller genutzt werden. Wohnraum ist auch wichtig. Da werden die Tierchen auch einen Platz finden können

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