Am Ende war klar, dass Baubürgermeister Thomas Dienberg die ins Detail gehenden Fragen von Ines Wangemann zu ihrer Einwohneranfrage „Umgang mit dem Artenschutz in Leipzig“ nicht würde beantworten können. Dazu waren sie fachlich zu speziell. Und auch Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal hätte sie in der Ratssitzung am 5. Juli ganz bestimmt nicht beantworten können. Aber sie betrafen letztlich die Achillesverse des Bebauungsplans für den Wilhelm-Leuschner-Platz.

Denn großflächig soll hier praktisch alles abgeholzt werden, was östlich der Markthallenstraße in den vergangenen 50 bis 70 Jahren gewachsen ist. Das sind nicht nur strukturell wertvolle Gehölze, die mit Jungbaumanpflanzungen in gleicher Stückzahl nicht kompensiert werden können, denn bevor ein Baum dieselbe ökologische Leistungsfähigkeit erlangt, vergehen mehr als 10 oder 20 Jahre.

Gleichzeitig geht ein an dieser Stelle einmaliger Artenreichtum verloren. Und auch wenn das Artenschutzgutachten auf jede einzelne Vogel- und Fledermausart eingeht, bedeutet die flächenmäßige Abholzung, dass diese Tiere hier verdrängt werden. Ihr Habitat geht komplett verloren. Und auch der ferner liegende Johannapark wird für diese Tiere keine Ausweichmöglichkeit sein.

Am 5. Juli protestierten ja deshalb vorm Neuen Rathaus die Initiative Stadtnatur, der Ökolöwe und der NABU Leipzig – eben weil es für diese massiven Verluste an Biodiversität keinen Ausgleich geben kann. Schon gar nicht hier mitten im Herzen der Stadt.

Ines Wangemann hatte in ihrer Einwohneranfrage auch noch festgestellt: „Für den Bebauungsplan Nr. 392 ‚Wilhelm-Leuschner-Platz‘ liegt ein Artenschutzbeitrag vor, den die Untere Naturschutzbehörde nicht mitträgt, da sie fachlich einschätzt, dass die betroffenen Brutvogelarten nicht ausweichen können. Die Untere Naturschutzbehörde fordert die zusätzliche Anlage von 400 Hecken im Umfeld des Platzes.“

Darauf ging die Antwort der Verwaltung dann nicht weiter ein. Und die Nachfragen von Ines Wangemann in der Ratsversammlung am 5. Juli waren dann so speziell, dass ein vor allem für Planung zuständiger Bürgermeister zwangsläufig überfordert war.

Antwort der Stadt auf die Einwohneranfrage „Umgang mit dem Artenschutz in Leipzig“

Hätte also nicht eigentlich Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal antworten müssen, fragte der Grünen-Fraktionsvorsitzende Tobias Peter. Nein, meinte OBM Burkhard Jung.

Kommt jetzt das Verbandsklagerecht ins Spiel?

Aber schon die Unruhe während der beharrlichen Nachfragen von Ines Wangemann hatte spüren lassen, dass hier trotzdem eine ungeklärte Frage steckt. Nämlich tatsächlich die, ob die von der Stadt geplanten Ausgleichsmaßnahmen für die Baumfällungen tatsächlich ausreichend kompensiert werden. Oder die flächenmäßigen Fällungen dann tatsächlich das Tor öffnen, dass ein Leipziger Umweltverband den Klageweg geht und damit den Bebauungsplan erst einmal stoppt.

Genau diese Frage stellte FDP-Stadtrat Sven Morlok. Und OBM Burkhard Jung musste ihm recht geben.

In der Antwort aus dem Stadtplanungsamt steht zwar schon etwas von einer Gerichtsentscheidung, die Fällarbeiten zuließ: „

Der Bescheid zur Fällgenehmigung enthielt nach Baumschutzsatzung ermittelte Ersatzpflanzungen, die im Übrigen auch dem Artenschutz dienen. Parallel zur Fällung wurde ein Artenschutzgutachten erstellt. Der Fällbescheid wurde in einem Gerichtsverfahren vom Verwaltungsgericht überprüft und die anhängige Klage abgewiesen.“

Aber das bezog sich nur auf die vorgezogenen Fällungen im Südostteil des Geländes. Da hatte der NABU geklagt, nachdem er vorher schon mehrmals Recht bekommen hatte, weil es für die vorgezogenen Fällungen keine Genehmigung gab. Bis heute ist nicht geklärt, wer diese – nicht genehmigten – Fällungen angeordnet hatte.

Wenn aber die städtischen Behörden die Fällungen genehmigen, fehlt erst einmal die Möglichkeit, sie zu stoppen.

Darf überhaupt alles gefällt werden?

Aber am 5. Juli ging es um den gesamten Bebauungsplan, der eine dichte, kompakte Bebauung auf dem Ostteil der Platzfläche vorsieht – und damit die komplette Beseitigung der über Jahrzehnte gewachsenen Bewaldung. Wenn die Stadt also nicht wirklich belegen kann, dass für den Verlust dieser Grünbestände tatsächlich volle Kompensation geschaffen wird, dürfte das durchaus ein Klagegrund für einen Naturschutzverband sein. Burkhard Jung betonte sogar, dass Deutschland an dieser Stelle ein durchaus weit reichendes Verbandsklagerecht hat.

Ob freilich ein Naturschutzverband die Kraft und vor allem das Geld hat, so eine Klage zu initiieren, ist eine offene Frage. Um die es Ines Wangemann ja sichtlich auch ging. Denn wenn die Stadt tatsächlich ausreichende Ausgleichsmaßnahmen auch im direkten Umfeld der Baumaßnahmen nachweisen kann, muss ja niemand klagen. Erst recht nicht, wenn auch noch Baumbestände erhalten werden können, die man bei den Bauplanungen einfach verschont. Aber genau an der Stelle wird das ganze Projekt sehr diffus.

Und auch die Antwort der Stadt blieb diffus: „Um die im Kontext der Leipziger Entwicklungsdynamik verloren gegangenen Heckenstrukturen teils zu kompensieren, wurden im westlichen Teil des Johannaparks zwischen der Edvard-Grieg-Allee und dem Johannaparkteich als Ausgleich für den Gehölzverlust im Jahr 2022 im Bereich Wilhelm-Leuschner-Platz 935 m² Gehölzflächen neu angelegt und sind 1750 m² vorhandene Strauchflächen nachverdichtet worden.“

Und was aus den Brutvogelarten wird, die jetzt noch auf dem Gelände zu finden sind, konnte die Verwaltung erst recht nicht sagen. „Ein Verstoß gegen das Verbot nach § 44 BNatschG liegt nicht vor, wenn die ökologische Funktion der betroffenen Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der jeweiligen Arten im räumlichen Zusammenhang weiterhin erfüllt werden. Dies kann auch über vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen gewährleistet werden“, meinte die Stadt.

Am Wilhelm-Leuschner-Platz zeigt sich im Grunde, wie schwer es tatsächlich ist, solche über Jahrzehnte gewachsenen Biotope im Stadtgebiet irgendwie zu kompensieren und dabei auch noch zu schaffen, dass zum Beispiel die 17 aufgefundenen Brutvogelarten hier nicht verschwinden. Ob das zitierte Animal Aided Design da hilft, dürfte man nicht nur beim NABU Leipzig bezweifeln.

Die Stellungnahme de NABU Leipzig zum Wilhelm-Leuschner-Platz.

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Auf der einen Seite hat man keine Flächen für Ausgleichsmaßnahmen. Auf der anderen Seite findet das ASG keine Möglichkeit, den Bürgervorschlag zum HH-Plan 2023/24 “Urbane Waldgärten” umzusetzen.

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