Vor einem Jahr entschied der Stadtrat über eine Forderung, die bis heute mit über 10.000 Unterschriften die meistgezeichnete Onlinepetition Leipzigs ist. In nur einem Monat hatten all die Menschen die Petition unterschrieben und damit eine Anpassung des Bebauungsplans Nr. 428 und des Flächennutzungsplans der Stadt Leipzig an den Klimanotstand gefordert. Aufgeregt trafen sich Mitzeichnende der Petition am 24. Januar 2024 vor der Ratsversammlung.
Darunter Eltern, Kinder und Umweltschützer/-innen vom BUND, um mit kreativen Schildern die Stadtratsmitglieder daran zu erinnern, wie wichtig die anstehende Abstimmung für eine zukunftsfähige und klimagerechte Stadtentwicklung ist. Es war ein sonniger Januarnachmittag, kurz nach den landesweiten Protestwellen gegen die AfD.
Mehrere Fachausschüsse hatten sich intensiv mit dem anspruchsvollen Inhalt der Petition befasst, in der Bürger/-innen den Erhalt letzter, unbebauter Grünflächen in Plagwitz forderten. Ihre Bedeutung für das Stadtklima, als wichtige Frischluftschneise und Kaltluftentstehungsbiet belegt bereits die Leipziger Klimaanalyse von 2021, laut der auch letzte verbliebene Grünflächen in Plagwitz als besonders schützenswert vor weiterer Bebauung gelten.
Die aktuellste Studie von CORRECTIV zählt Plagwitz mit einem Versiegelungsgrad von 95,25 % zu den drei am stärksten versiegelten Stadtteilen Leipzigs1. Im versiegelten Zentrum und in Plagwitz wird es im Sommer am heißesten, bis zu 5 Grad Celsius wärmer als in anderen Vierteln. Darunter leiden vor allem Vorerkrankte, Ältere und Kinder. Angesichts steigender Kosten sowie zunehmender Belastung und Gesundheitsgefahren stehen auch für Leipzig Umwelt- und Klimaschutz ganz oben auf der Prioritätenliste.
Statt kosten- und planungsintensiver Maßnahmen, erfüllen Freiflächen dabei bereits heute klimaregulierende Funktionen, ohne dass diese die Stadt einen Cent kosten. Wie beispielsweise das ehrenamtlich bewirtschaftete und vom gemeinnützigen karlhelga Verein gepachtete Gelände, mit einem Baumbestand von 720 gutachterlich festgestellten Bäumen, die unter das Baumschutzgesetz fallen. Baum- und Biotopstrukturen bieten hier geschützten Arten Lebensraum, gleichzeitig binden sie CO₂ und filtern Schadstoffe aus der Luft. Allein ein Baum versorgt mit seiner Sauerstoffproduktion bis zu 24 Menschen und hat eine durchschnittliche Kühlleistung von 10 Klimaanlagen.
Eine erfolgreiche Bürgerbeteiligung
Drei Monate dauerte es, bis schließlich Verwaltung und Petitent/-innen in den Stadtrat als gemeinsam erarbeitetes Ergebnis einen Aufstellungsbeschluss einbringen konnten. Als dieser mit 39:19 Stimmen angenommen wurde, war der Jubel im Publikum groß. Auch wenn dies nur ein kleiner, weiterer Schritt in Richtung Erhalt letzter Freiflächen mit ihrer klimaregulierenden Bedeutung war, erfüllte mich die Freude darüber, dass sich mit jahrelangem, beharrlichen Einsatz, politisch etwas erreichen lässt.
Möglicherweise blitzte aus dem Zwinkern des Bürgermeisters zu den zahlreichen jüngeren Besucher/-innen auf der Zuschauertribüne die Erkenntnis, wie wichtig positive Erfahrungen mit Bürgerbeteiligung für das Vertrauen in demokratische Prozesse und Institutionen ist, gerade für jüngere Generationen.
Andere Ratsmitglieder wie die Petitionsausschussvorsitzende Beate Ehms würdigten ebenfalls das gesprächsbereite, politische Engagement, gerade in Zeiten gesellschaftlicher Polarisierung. Aktuell scheinen populistische Spaltung und Hetze gegen etwas oder andere, anstelle reifer, demokratischer Verhandlungen für etwas miteinander, sogar noch verführerischer und daher gefährlicher als vor einem Jahr.
Der fortschrittliche Stadtratsbeschluss jedenfalls legte einen Aufstellungsbeschluss fest, demzufolge alle Vertragsparteien: Eigentümer, Stadtklima und Nutzer/-innen sich in einem Beteiligungsverfahren über die zukünftige Entwicklung der Fläche einigen müssen. Für besagtes Gebiet kann also nicht mehr einfach über die Köpfe der Bürger/-innen, Anwohner-innen und Nutzer/-innen, oder das Stadtklima hinweg entschieden werden.
Neben dem Aufstellungsbeschluss, der Bebauung zurzeit nicht möglich macht, wurden in Zusammenarbeit mit Umweltverbänden im Rahmen von Kartierungen seltene Tierarten auf der Fläche gefunden: unter anderem die starke bedrohte Wechselkröte, die im Umfeld des Plagwitzer Bahnhofs eines ihrer letzten Vorkommen in der Stadt Leipzig hat. Was allein schon eine Bebauung der Fläche grundlegend infrage stellt. Abgesehen von den Bäumen, der Biodiversität und der soziokulturellen Bedeutung, wodurch eine Bebauung langfristig sehr ungewiss bzw. sich durch eine starke Reduzierung der Baumasse nicht rentabel wäre.
Freiräume für alle
Im vergangenen Jahr gestalteten die Insolvenzen rund um die CG das Aushandlungsverfahren etwas komplexer. Das ändert jedoch nichts an der Entschlossenheit des gemeinnützigen Vereins, sich weiterhin aktiv in die Kaufverhandlungen einzubringen, um die Fläche freizukaufen. Dabei geht es um mehr als den Erhalt eines soziokulturellen Freiraums als Teil lebendiger nachbarschaftlicher, kulturell und ökologisch wichtiger Strukturen.
Glücklicherweise musste all dies nicht einer mehr als fragwürdigen Logistikhalle der CG an dieser Stelle weichen – für Milliardengewinne Einzelner, die durch freie marktwirtschaftliche Praxis keiner sozial-regionalen Verantwortung gerecht werden oder gar an Gemeinwohl orientiert sind.
Daher sind Bewohner/-innen daran interessiert, die aktuelle Insolvenz zu nutzen und die teilöffentlich genutzte Fläche mit dem Verein freizukaufen und damit das Stück Natur für die Anwohnenden, die Tiere und die Bewohner/-innen zu erhalten. Gelingt ein Gegenentwurf zu bisherigen Mechanismen von Verdrängung, steigenden Mieten und Privatisieren der Gewinne Einzelner durch Spekulation mit Boden, während die Bevölkerung für Kosten und Folgen aufkommt, was verständlicherweise zu Wut und Spaltung in der Gesellschaft beiträgt?
Für Freiräume und bezahlbare Mieten für alle!
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