Im Februar beschloss der Stadtrat eine Veränderungssperre für die Innere Westvorstadt. Die Zeit drängte, denn ein Investor hatte seine Absicht bekundet, an der Ecke Bosestraße/Gottschedstraße Wohnbebauung zu errichten, gleich neben dem Denkmal für die 1938 von den Nazis zerstörte Synagoge. Die Sperre brauchte das Baudezernat, um endlich einen Bebauungsplan für die Innere Westvorstadt vorzulegen. Der liegt jetzt vor. Die Öffentlichkeitsbeteiligung wurde eröffnet. Zu der meldet sich jetzt auch der Pro Leipzig e.V. zu Wort.
Nicht einmal schwerpunktmäßig zur Ecke Bosestraße/Gottschedstraße. Denn dass die Stadt hier plant, eine öffentliche Grünanlage zu schaffen, findet der Verein Pro Leipzig gut. In der Begründung des Dezernats für Stadtentwicklung und Bau zum Bebauungsplan heißt es dazu: „Da insbesondere der nördliche und zentrale Teil des Plangebietes einen Mangel an nutzbaren öffentlichen Grünflächen aufweist, sollen hier neue Grünflächen entwickelt werden.
Zusätzlich zu den be stehenden Freiflächen soll entlang der Gottschedstraße auf den Flurstücken 3304/1 und 2188/8 (Gemarkung Leipzig) eine derzeitig durch Stellplatzflächen versiegelte Fläche zu einer attraktiven öffentlichen Freifläche mit Spielmöglichkeiten in dem stark versiegelten nördlichen Teil des Quartiers entwickelt werden.“

Es ist nicht die einzige Fläche in der Westvorstadt, die das Interesse von Investoren erweckt hat. Auch für den sogenannten Plastikgarten gibt es immer wieder Interessenbekundungen. Das ist jene kleine Parkanlage, durch die der Radweg vom Johannapark zum Neuen Rathaus verläuft. „Der ‚Plastikgarten‘ als öffentlich nutzbare Grünanlage soll zwingend erhalten werden, da dieser als Element im Biotop- und Grünflächenverbund eine Verbindung zwischen Innenstadt und Auwald herstellt und zudem eine wichtige Funktion als Luftleitbahn erfüllt“, heißt es in der Vorlage.
Dass es hie immer wieder Bauinteresse gibt, hat mit der Vorgeschichte dieses Areals zu tun. Bis zu den Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg lagen hier Villengrundstücke an der einstigen Weststraße (der heutigen Friedrich-Ebert-Straße), die hier in Richtung Neues Rathaus abbog. Die Weststraße in diesem Abschnitt wurde aufgelöst, die Friedrich-Ebert-Straße in die Tauchnitzstraße eingefädelt. Es entstand ein kleiner Park, in dem im Lauf der Zeit mehrere Skulpturen ihren Platz fanden, was der Grünfläche ihren Namen gab.
Bausünden am Nikischplatz
Die Westvorstadt gehört z den von Hitze besonders stark betroffene Leipziger Quartieren. Weshalb die Stadt hier auch noch weitere Grünflächen erhalten bzw. ausbauen will. Zum Beispiel den Nikischplatz, der kaum noch daran erinnert, dass er einmal ein Schmuckplatz in einem architektonisch hochwertigen Gebiet war. „Die bestehenden öffentlichen Freiflächen im Quartier (Nikischplatz, Dorotheenplatz) sollen erhalten und qualifiziert (zusätzliche Begrünung, blaugrüne Elemente, Aufenthaltsqualität) werden“, heißt es in der Vorlage der Stadt.
„In diesem Zusammenhang sollen Maßnahmen zur Verbesserung des Stadtklimas und damit zu einer Erhöhung der Aufenthaltsqualität umgesetzt werden. Um das bestehende Spielplatzdefizit zu beheben, sollen öffentliche Freiflächen entsprechend qualifiziert und umgestaltet werden.“

Weshalb der Nikischplatz in der Plankarte nicht nur innerhalb des Rondells mit den beiden Skulpturen grün eingezeichnet ist, sondern komplett grün. Welche zusätzlichen Elemente für die Aufenthaltsqualität die Stadt hier plant, muss man sehen. Aber der Platz gehört gleichzeitig zu einer der Achsen, mit denen das Quartier durchwegt wird. Und hier wird es spannend.
Denn während das einstige Märchenhaus am Nikischplatz Kriegsverlust ist und heute ein gesichtsloser Neubaublock an dieser Stelle steht, wurde zwar auch das Künstlerhaus auf der gegenüberliegenden Seite Opfer der Bomben. Aber das Portal erinnert noch heute an dieses markante Gebäude an dieser Stelle. Und ein Gedenkstein dahinter erinnert an die im 1. Weltkrieg getöteten Leipziger Künstler. Zwei Tafeln am Portal erzählen die Geschichte des Künstlerhauses.
Die Möglichkeit zum Lückenschluss erhalten
Und hier meldet sich der Pro Leipzig e.V. zu Wort, der die Chance erhalten sehen möchte, dass an der Stelle des einstigen Künstlerhauses vielleicht doch wieder ein repräsentatives Gebäude entsteht.
„Der Architekt Fritz Drechsler sah im Jahr 1900 in dieser nur 8,5 Meter breiten Baulücke, die überdies mit einem öffentlichen Durchgang zur Zentralstraße belastet war, eine große architektonische Herausforderung. Als Sieger des Wettbewerbs für das Haus des Leipziger Künstlervereins gelang ihm mit der Gesamtgestalt sowie der bildkünstlerischen Ausstattung, an der namhafte Leipziger Künstler beteiligt waren, ein Meisterwerk des Jugendstils, das in individueller Weise auf den Nikischplatz ausstrahlte, der bis 1922 ‚Platz am Künstlerhaus‘ hieß.
Das Künstlerhaus gilt als Gesamtkunstwerk und war mit seinen Ateliers und seinen Kostümbällen, Konzerten und Ausstellungen zweifellos ein bedeutender Ort der Leipziger Kulturgeschichte“, geht Heinz-Jürgen Böhme für den Pro Leipzig e.V. auf die Geschichte des Künstlerhauses ein.
„Nach Kriegszerstörung des Künstlerhauses und des bau- und bildkünstlerisch ebenso bemerkenswerten Märchenhauses, dem Abbruch des Baudenkmals Thomasiusstraße 26a sowie der teilweisen Schließung der Lücken mit WBS-70-Plattenbauten ist ein erhebliches Defizit des architektonischen Erscheinungsbildes des Nikischplatzes zu konstatieren.“
Und so wünscht sich der Pro Leipzig e.V. in seiner Stellungnahme: „Für den ehemals bebauten Bereich des Künstlerhauses auf dem Grundstück 4866 sollte keine Festschreibung der bestehenden Grünfläche erfolgen.
Auch wenn sich gegenwärtig kein Projekt abzeichnet, sollte die Chance, an gleicher Stelle eine zeitgemäße bauliche Lösung mit adäquater architektonischer und funktionaler Qualität zu realisieren, unbedingt erhalten bleiben.
Fragen des Grundstücks, der Baugestalt und des vermutlich mit behördlicher Genehmigung perforierten Brandgiebels des Hauses Nikischplatz 1 sind zu gegebener Zeit zu klären.“
In der Planzeichnung des Baudezernats ist das gesamte Grundstück des einstigen Künstlerhauses olivgrün eingefärbt, soll also als Platzfläche festgeschrieben werden. Jetzt muss der Stadtrat klären, ob man die Grünfläche dauerhaft festschreibt oder die Möglichkeit offen lässt, dass hier doch noch einmal ein Gebäude entstehen kann, das den architektonischen Ansprüchen des einstigen Künstlerhauses entspricht.
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