Wahrscheinlich liegt man gar nicht so falsch, wenn man das Gefühl hat, dass auch die wirtschaftsverliebte Politik so langsam beginnt umzudenken. Auf einmal kritisiert selbst ein Konservativer wie Wolfgang Schäuble (CDU) die Ostsee-Pipeline „Nordstream II“. Zwar nicht aus Naturschutzgründen. Aber immerhin. Aber auch der geplante Ostseetunnel zur Insel Fehmarn trifft auf fundamentale Kritik. Hier ist es der NABU, der zeigt, welche Umweltschäden der Tunnel in der Ostsee anrichten würde.

Was einen doch sehr an Sachsen und die hiesige Behördenpraxis erinnert, Umweltbelange einfach zu ignorieren, wenn sich Amtsinhaber in den Kopf gesetzt haben, irgendetwas Tolles für den „Wirtschaftsstandort“ tun zu wollen. Da wird selbst bei Begründungen getrickst, warum man auf Umweltprüfungen aus fadenscheinigen Gründen verzichten durfte. Das bekannteste Beispiel ist die Waldschlößchenbrücke in Dresden.

Es geht nie wirklich um all die Dinge, die den Bürgern versprochen werden. Und keins dieser Riesenprojekte ist alternativlos. Aber nicht nur in Deutschland hat sich eine Unart bei politischen Verantwortungsträgern eingeschlichen, Konzerninteressen immer über Umweltschutzbelange zu stellen, weil ihnen das Mantra von „Standort“ und „Arbeitsplätzen“ im Kopf sitzt. Sie trauen sich gar nicht mehr, Alternativen zu denken.

Den Druck, solche zu denken, brauchen sie mittlerweile immer wieder von unten, von den Bürgern selbst. Man denke an die Bürgerinitiativen, die sich gegen die gigantomanischen Ausbaupläne für die B 87 gewehrt haben und ein Beteiligungsverfahren erst erzwungen haben. Das Projekt wird zwei Nummern kleiner. Dasselbe beim Mittleren Ring Ost/Südost in Leipzig, auch wenn beratungsresistente Amtswalter einfach nicht loslassen wollen, egal, wie viel Schaden so ein Bauwerk anrichten würde.

Beim Fehmarnbelt ist seit Donnerstag, 5. September, klar, dass auch hier die Bauherren getrickst und getürkt haben, um dieses Milliardenprojekt voranzutreiben. Im April hat der NABU schon Klage eingereicht. Seit Juli belegt ein Gutachten, dass der Tunnel unter der Ostsee für das wahrscheinliche Verkehrsaufkommen gar nicht gebraucht wird. Auch diesen Trick kennt man von Verkehrsprojektemachern: Sie zaubern gigantisch wachsende Verkehrszahlen in der nächsten Zukunft aus dem Hut und begründen damit den Bedarf gigantischer Bauwerke.

Im Juli begann auch die Verhandlung vorm Bundesverwaltungsgericht und die Bürgerinitiative der BELTRETTER kam extra nach Leipzig, um hier phantasievoll gegen die Umweltzerstörung durch den Tunnel zu demonstrieren.

Seit Donnerstag ist freilich auch klar, dass im Planfeststellungsverfahren die wichtigsten Naturschätze im Plangebiet einfach verschwiegen wurden.

Der NABU hat am 5. September eigene Biotopkartierungen entlang der Trasse des geplanten Fehmarnbelttunnels in den schleswig-holsteinischen Küstengewässern vorgestellt. Diese waren zwingend nötig, weil sich in den Unterlagen und Gutachten des dänischen Vorhabenträgers Femern A/S Ungereimtheiten fanden, die der NABU überprüfen lassen wollte.

Darüber berichtete auch der Europaticker: „Die Ergebnisse der Tauchgänge sind so überraschend wie eindeutig. Obwohl der Meeresgrund laut Umweltverträglichkeitsstudie nur aus Schlick und Sand bestehen soll, zeigen die neuen Untersuchungen gut ausgeprägte und artenreiche Riffe. ,Das sind streng geschützte Lebensräume, die im Verfahren nicht berücksichtigt wurden‘, sagt NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller. ,Was das für die Tunnelgenehmigung bedeutet, wird im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zu klären sein. Fakt ist: Der Tunnel hat jetzt ein weiteres großes Problem.‘“

Neben dem fehlenden Bedarf und überholten Verkehrsprognosen kritisiert der NABU seit Jahren die zu erwartenden Umweltschäden durch den geplanten Absenktunnel. Dazu zählen Gefahren für Deutschlands einzigen heimischen Wal, den Schweinswal, für den hier ein Schutzgebiet ausgewiesen wurde, und auch Zerstörungen am Meeresboden durch den 60 Meter breiten, 20 Meter tiefen und 18 Kilometer langen Graben.

„Wir haben es hier mit einem einzigartigen Lebensraum zu tun: Große Findlinge und ausgedehnte Geröllfelder sind dicht mit bunten Schwämmen, buschartig verzweigten Moostierchen und Tang bewachsen. Es gibt hier eine Dichte an Plattfischen, die in der Ostsee ihresgleichen sucht. Der ökologische Schaden im Fall eines Tunnelbaus muss neu bewertet werden“, zitiert der Europaticker Dr. Kim Detloff, NABU-Leiter Meeresschutz.

Und die folgende Kritik wird noch deutlicher, denn da wird auf einmal sichtbar, dass auch die Bundespolitik ihren Anteil hat an den Umweltzerstörungen in der Ostsee: „Riffe sind durch das Bundesnaturschutzgesetz und die europäische FFH-Richtlinie streng geschützt. Deutschland und auch das Land Schleswig-Holstein haben bisher zu wenig für den Erhalt dieser Oasen der Meere getan. Auch deshalb hat die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik eröffnet. Die neuen Biotopkartierungen, die das renommierte Kieler Forschungstaucher-Unternehmen Submaris durchgeführt hat, sind Gegenstand der Klagebegründung des NABU gegen den Planfeststellungsbeschluss und liegen aktuell beim Bundesverwaltungsgericht. Die Leipziger Richter sind nun gefragt, die Vollständigkeit und Rechtmäßigkeit der Genehmigung zu überprüfen.“

Und für den NABU haben die „verschwundenen Riffe“ einen seltsamen Beigeschmack, da Vorhabenträger alle maßgeblichen Umwelt-Gutachten selbst in Auftrag geben und entsprechend Einfluss auf Ergebnisberichte nehmen können.

Damit sind dem Tricksen bei der Erstellung der Planunterlagen Tür und Tor geöffnet. Der NABU will diese Verbindung von Bauvorhabenträger und Naturschutzgutachten entkoppelt sehen. Und ein weiteres Problem seien natürlich politisch protegierte Vorhaben.

„Um bewusste oder unbewusste Täuschungen zu vermeiden, muss politische Einflussnahme auf Genehmigungsbehörden ausgeschlossen werden“, erklärt laut Europaticker Malte Siegert, Infrastrukturexperte des NABU. Dumm nur, dass noch immer viel zu viele Politiker sich mit solchen Prestigeobjekten ein Foto im Geschichtsbuch verdienen möchten und dafür auch bereit sind, wertvolle Naturräume preiszugeben.

Für den Graben durch den Fehmarnbelt, in den die riesigen Betonelemente des Absenktunnels abgesenkt würden, würde der Ostseegrund auf einer Länge von 18 Kilometern bis zu 200 Meter breit und 16 Meter tief aufgerissen werden. Würde das riskante Mega-Projekt realisiert werden, entstünde die größte Baustelle Nordeuropas – mitten in der Ostsee. Die Natur würde ebenso geschädigt werden wie der Tourismus und die ruhigen Heimatorte sowie Existenzen vieler Menschen.

Sediments-Aufwirbelungen bedrohen Laichgebiete

Durch die Baggerarbeiten würden über Jahre im großen Stil Sedimente aufgewirbelt und sich über die Strömung in der Ostsee verteilen – auch Laichgebiete von Ostseefischen wären bedroht. „In einer Zeit, in der durch den Klimawandel die Nachwuchsproduktion des Heringsbestandes ohnehin stark reduziert ist, sollten solche zusätzlichen Störungen vermieden werden“, empfiehlt Dr. Christopher Zimmermann vom Thünen-Institut. Die Beltretter warnen seit Jahren davor, dass der Tunnelbau der Umwelt, der Ostsee und der gesamten Region massiv schaden würde. Die Bauarbeiten im Fehmarnbelt würden auch eine große Bedeutung für die Laichgebiete von Heringen und Dorschen haben. Der Hering der westlichen Ostsee laicht im Frühjahr in den flachen Küstengewässern.

Solche Gebiete gibt es auch in der Nähe des geplanten Tunnels südlich der Insel Lolland. Sollte es in unmittelbarer Nähe der Heringslaichgebiete und zur Laichzeit zu Bauarbeiten kommen, kann durch die starke Trübung und Sedimentation des Wassers das Wachstum der Wasserpflanzen, auf denen der Hering die Eier ablegt, beeinträchtigt werden. Zudem kann sich der Laich nicht richtig entwickeln und absterben.

Die Umweltverträglichkeitsstudie bestätigt außerdem, dass insbesondere die tiefen Bereiche des Fehmarnbelts eine hohe Bedeutung als Laichgebiet für den beliebten Ostseefisch Dorsch haben. Auch dieses würde durch die Bauarbeiten des größten Absenktunnels der Welt beeinträchtigt und könnte sich somit auf die Dorschpopulation im Fehmarnbelt negativ auswirken. Die massiven Auswirkungen des drohenden Tunnelbaus auf Natur und Umwelt sind einer der Gründe, weshalb derzeit 10 Klagen gegen den Bau beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig vorliegen. Unter anderem gehören große Umweltschutzorganisationen zu den Klägern.

Fischer fürchten um ihre Existenz

Gunnar Gerth-Hansen, Fischwirtschaftsmeister auf der Ostseeinsel Fehmarn und seit 40 Jahren in der Fischerei tätig, befürchtet, dass der Tunnelbau seine und die Existenzen vieler anderer Fischer bedrohen könnte. Denn die Fischpopulation würde durch den Bau stark beeinträchtigt werden, das bestätigt auch eine Umweltverträglichkeitsstudie.

„Bis zur Wiederherstellung des Gleichgewichts werden inklusive der Bauzeit mindestens 10 Jahre vergehen. Ohne Ausgleichszahlungen ist selbst eine wesentlich kürzere Zeit nicht zu kompensieren“, so Gerth-Hansen. „Der Tunnelbau würde einen schweren Eingriff in die natürlichen Lebenszyklen von Fischbeständen bedeuten. Dadurch könnten ganze Fischjahrgänge im Fehmarnbelt ausbleiben, was uns Fischern hohe Einkommensverluste bringen würde. Die Schäden an der marinen Umwelt werden von der Umweltverträglichkeitsstudie auf 30 Millionen beziffert.“

Karin Neumann, Pressesprecherin des Beltretter e. V., bezweifelt sogar, dass es bei der prognostizierten Schadenssumme bleibt: „Wir glauben, dass der Schaden viel höher sein wird. Zudem stellt sich heute generell die Frage, ob sich Schäden an Umwelt und Natur überhaupt in Euro bemessen lassen.“

Die Beltretter demonstrieren heute vorm Bundesverwaltungsgericht gegen den Mega-Tunnel unter der Ostsee

Die Beltretter demonstrieren heute vorm Bundesverwaltungsgericht gegen den Mega-Tunnel unter der Ostsee

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Warum in die Ferne schweifen, wenn das Schechte liegt so nah….

Z. Bsp. der Ausbau der Pleiße mit “Störstellenbeseitigung” (“Störstellen” für Motorboote), der Bau des Harth-Kanals oder der Bau des Elster-Saale-Kanals.
Für den Fehmarnbelt-Tunnel gibt es wenigstens eine wirtschaftliche Begründung. Auch wenn diese vorne und hinten nicht stimmt, falsch ist, bestenfalls Verkehr induziert, der ansonsten gar nicht entstehen würde und regionale Wirtschaft und vor allem Natur und Umwelt sowie Lebensqualität zerstört.
Weder für die sogenannte Störstellenbeseitigung in der Pleiße, noch den Bau des Harth-Kanals oder des Elster-Saale-Kanals gibt es eine solche notwendige Begründung.
Genau so wenig, wie für die Schiffbarkeit der Tagebaurestlöcher und die sie verbindenden Kanäle. Schiffbarkeit, die nichts anderes ist, als die Umwidmung von Gewässern in Straßen.
Es gibt schlicht keine Begründung. Keine rechtlich akzeptierte. Die handelnden Personen haben für sich persönlich sicher eine oder für die Partikularinteressen die sie vertreten.

Dies im Hinterkopf Forderungen von Köpping & Co. der Verwaltung bei solchen Projekten freie Hand zu geben und von den Folgen ihres Handelns vorab zu befreien, macht fassungslos.
Köpping, Lantzsch, Zabojnik, übrigens alles Frauen, die gemeinsam mit Männern wie Rosenthal, Jung, Steinbach, Graichen, Berkner diese naturzerstörende Politik machen.

Keine Ahnung, was sich Frank Richter gedacht hat diesen Schwachsinn zu unterstützen.

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