Schon vor Ostern, als in einigen Medien die Debatten um eine Lockerung der Ausgangssperren angefeuert wurden, regten sich die Ostdeutschen und wurden zusehends mobiler. Nach vier Wochen Zuhausebleiben fiel vielen die Decke auf den Kopf. Sie wollten raus, haben aber in Sachsen das Problem, dass ein Ausflug in die schöne Landschaft eigentlich untersagt ist. Eine Petition will jetzt versuchen, diese Haltung der Staatsregierung zu ändern.

In dieser Onlinepetition kritisieren sachsenweit Bürgerinnen und Bürger das Krisenmanagement der Sozialministerin Petra Köpping (SPD), die die Allgemeinverfügung vom 31. März aufgrund ihres Amtes unterzeichnet hat. Dass die ganzen Regeln alle von ihr so entschieden wurden, darf man bezweifeln.

Aber in § 2, Punkt 14 der Sächsischen Allgemeinverfügung heißt es eindeutig: „Sport und Bewegung im Freien vorrangig im Umfeld des Wohnbereichs sowie Besuch des eigenen Kleingartens oder Grundstücks, allerdings ausschließlich alleine oder in Begleitung des Lebenspartners bzw. mit Angehörigen des eigenen Hausstandes oder im Ausnahmefall mit einer weiteren nicht im Hausstand lebenden Person“ sind erlaubt. Nach dem Erlass entbrannte ja die Diskussion, wie groß dieses Umfeld des Wohnbereiches eigentlich zu denken ist. Darf man den Ort überhaupt verlassen? Oder gar das Wohnquartier?

Das Oberverwaltungsgericht in Bautzen definierte dann endlich am 7. April: Es sind 15 Kilometer im Umkreis. Einerseits war das deutlich mehr, als die Polizeistreifen vorher so manchem Ausflügler zugestanden hatten. Andererseits bedeutete es trotzdem: Die großen sächsischen Ausflugsgebiete waren für die Großstadtbewohner unerreichbar.

Die Initiatoren der Petition mahnen nun an, dass die im bundesweiten Vergleich besonders drastischen Grundrechtseingriffe zu übermäßigem Leid und Gefahren für die Demokratie führten. Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner fordern ein Anpassen der sächsischen Allgemeinverfügung auf die milderen Leitlinien, die Bund und Länder zuvor vereinbart hatten. Außerdem werden Regelungen gefordert, die auf ständiger wissenschaftlicher Neubewertung beruhen.

In der Petition, die bislang mehr als 1.100 Menschen unterschrieben haben, wird besonders die Sinnhaftigkeit hinterfragt, Naherholungsgebiete für Großstädter zu sperren und den Umgang mit Menschen jenseits des eigenen Haushalts nahezu zu verbieten.

Mitinitiator der Petition, der Leipziger Konfliktrainer Markus Wutzler, sagt dazu: „Es gibt viele nachvollziehbare und fundierte Regeln – wie etwa Abstand zu halten und auf Hygiene zu achten. Doch einen Spaziergang mit Freunden unter Strafe zu stellen, während man sich auf der Arbeit die Toilette teilt? Solch einseitigen und überzogenen Einschränkungen gehen am Ziel vorbei und führen zu vermeidbaren Konflikten zwischen Bürgern und Polizei.“

Die Sozialministerin solle Gesundheit zudem nicht nur nach Infektionsraten bemessen. Auch zunehmende psychische Belastungen, häusliche Gewalt und fehlende Bewegungsmöglichkeiten für Kinder seien ernstzunehmende Gefahren. Zwei Unterzeichnerinnen formulieren es so: Es „drängen sich tausende Dresdner an den Elbwiesen, anstelle sich teilweise über deutlich weitläufigere Naherholungsgebiete wie die sächsische Schweiz zu verteilen. Aus Infektionsschutzgründen ist das einfach nur extrem kontraproduktiv.“

Und: „Ich unterschreibe, weil ich niemanden anstecke, wenn ich mit meinen Kindern zu Hause ins Auto steige, an einem Waldparkplatz aussteige und einen Tag lang durch den Wald wandere. Stattdessen stärke ich mein Immunsystem und das meiner Kinder und sorge dafür, dass wir zu Hause nicht verrückt werden.“

Andere Unterzeichnerinnen und Unterzeichner sorgen sich um Demokratie und Freiheitsrechte. Die Interpretation der Auflagen liege bei der „Laune des Beamten“. Die Pandemie dürfe „kein Deckmantel sein für die Verstärkung und Normalisierung von Willkür und Repression“. Denn: „Demokratische Grundwerte und persönliche Freiheitsrechte sind systemrelevant und müssen geschützt werden.“

Andererseits fühlen sich viele Menschen nach Wochen des Zuhausebleibens auch zunehmend psychisch belastet. Was tun? Dass auch sächsische Behörden befürchten, dass sie dann gerade in den beliebten Ausflugszielen bei Lockerung der Beschränkungen mit unkontrollierbaren Situationen rechnen müssen, ist nachvollziehbar. Wo ist also die Grenze, die wirklich zumutbar ist und den Menschen nicht das Gefühl gibt, auf Dauer in ihrem Leben eingeschränkt zu bleiben?

Den Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern gehe es bei ihrer Kritik nicht darum, die Maßnahmen gegen SARS-CoV-2 generell zu hinterfragen, betont auch Markus Wutzler: „Selbstverständlich müssen alle dazu beitragen, Infektionsketten zu unterbinden. Doch die Lage ist vielschichtig. Verantwortung für Sachsen muss auch heißen, verletzliche Gruppen wie Kinder und Alleinwohnende besser in den Blick zu nehmen und demokratische Grundwerte zu schützen. Und das fordern wir von unserer Sozialministerin!“

Die meiste Unterstützung findet die Petition logischerweise in den Großstädten Leipzig und Dresden. Die aktuelle Allgemeinverfügung der sächsischen Landesregierung gilt bis einschließlich 19. April.

Vorsicht, ein ganz langer Text! Wie man über Ausgangsbeschränkungen und Grundrechtseingriffe wirklich diskutieren kann

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