Manchmal kann man ja staunen über diesen Verein, der sich da Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) nennt und der nun schon wieder seit Wochen für atypische Beschäftigungsverhältnisse und gegen den Mindestlohn trommelt. Denn manchmal rutscht der INSM ein Stück Realität dazwischen, die so recht nicht passt in die Kampagnen für ein prekäre Beschäftigung. Denn irgendwie braucht die Wirtschaft ja doch gut ausgebildete Fachkräfte und kann mit Leuten ohne Abschluss wenig bis nichts anfangen.

Und so gab’s denn am Donnerstag, 20. November, in Berlin ein Pressefrühstück mit Vorstellung der Kurzstudie “Bildungsverlierer”. Schon das Wort ist hübsch. Die Erkenntnisse der Studie sind es auch.

Auch wenn das, was die INSM meldet, auf den ersten Blick erst einmal sehr dramatisch klingt: In Deutschland haben 1,3 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 29 keinen berufsqualifizierenden Abschluss. Das sind zwar rund 300.000 weniger als 2005, aber immer noch zu viele. Denn aus Sicht der Wirtschaft sind das alles Menschen, die man im modernen Arbeitsmarkt eigentlich nicht mehr einsetzen kann.

“Nur der Schulabschluss und der anschließende berufsqualifizierende Abschluss ermöglichen die langfristige Teilhabe am Arbeitsmarkt. Und Arbeit ist und bleibt – das wusste schon Ludwig Erhard – die Grundlage unseres Wohlstandes”, sagte denn Wolfgang Clement, Kuratoriumsvorsitzender der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM).

Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) hat im Auftrag der INSM untersucht, warum es in Deutschland immer noch so viele sogenannte “Bildungsverlierer” gibt. Die Wissenschaftler haben sich in ihrer Analyse auf Personen zwischen 20 und 29 Jahren konzentriert, die nach Beendigung ihrer Bildungslaufbahn keinen “berufsqualifizierenden Abschluss” erreicht haben.

Im Bundesländervergleich zeigt sich, dass der Anteil der Personen ohne berufsqualifizierenden Abschluss mit 18,4 Prozent im Saarland am höchsten und in Thüringen mit nur 7,5 Prozent am niedrigsten ist.

“Wir können einen starken Zusammenhang zwischen den Leistungen der Schüler und dem Anteil der Personen ohne berufsqualifizierenden Abschluss feststellen”, erklärt der Autor der Studie, Prof. Dr. Axel Plünnecke.Der Anteil junger Erwachsener ohne Berufsausbildung habe in den vergangenen Jahren auch durch die Anstrengungen der Wirtschaft gesenkt werden können. Hierzu trugen Maßnahmen wie Einstiegsqualifizierungen und Nachqualifizierungsangebote bei. Teilqualifizierungen würden helfen, schrittweise eine qualifizierte Ausbildung zu erwerben. Ansätze der Assistierten Ausbildung ermöglichten eine reguläre betriebliche Berufsausbildung durch Vorbereitungs- und Unterstützungsangebote, so Plünnecke weiter. Am effizientesten sei es aber nach wie vor, junge Erwachsene erst gar nicht zu Bildungsverlierern werden zu lassen.

Dumm nur, dass das deutsche Bildungssystem “Bildungsverlierer” quasi systematisch produziert, indem leistungsschwächere Schüler im Lauf ihrer Schulkarriere regelrecht aussortiert werden.

Was freilich nicht heißt, dass sie dümmer sind als die anderen. Der Erfolg im stark auf Sortierung getrimmten deutschen Schulsystem hängt auch von der sozialen Herkunft der Jugendlichen ab.

Und so stellt auch die INSM fest: Um Schülern die notwendige Ausbildungsreife bereits während der Schulzeit zu vermitteln, ist neben der Qualität des Bildungssystems weiterhin der familiäre Hintergrund ein bestimmender Faktor. Interessant dabei sei, dass sich die materielle Situation der Familien, gemessen an Faktoren wie “alleinerziehend” oder “arbeitslos”, nicht signifikant auf die Ergebnisse der Kinder auswirken – sehr wohl aber das Bildungskapital der Eltern, gemessen an Faktoren wie “vorhandene Bücher im Elternhaus” oder “Bildungsabschluss der Eltern”.

Heißt ja wohl im Klartext: gebildete Eltern animieren ihre Kinder ganz selbstverständlich zum Lernen und Sich-Bilden.

Wolfgang Clement: “Kurz gesagt: Der Bildungsabschluss der Eltern scheint für die Bildungswege der Kinder wichtiger zu sein als der Kontostand.”

Was die INSM dann freilich nicht zu der Empfehlung verleitet, die Eltern besser zu bezahlen. Lieber soll der Staat etwas mehr Geld ausgeben: “Die Politik solle daher weiter mit Hochdruck daran arbeiten, die Quantität, vor allem aber die Qualität in der frühkindlichen Förderung voranzubringen.”Die Präsentation selbst zeigte dann noch ein bisschen mehr, was eben auch mit Bildung zu tun hat. Zum Beispiel die Sache mit der “Teilhabe am Arbeitsmarkt”. Junge Menschen ohne Berufsschulabschluss sind nur zu 61,5 Prozent (Männer) bzw. 42,1 Prozent (Frauen) erwerbstätig, sind also deutlich häufiger arbeitslos und ganz und gar nichterwerbstätig als junge Männer mit Berufs- oder Hochschulabschluss, die zu 91,3 Prozent in Erwerbstätigkeit stehen, oder Frauen mit Abschluss, wo es ebenfalls erstaunliche 85,9 Prozent sind. Und das wird noch verstärkt durch die Frage nach Vollzeit-, Teilzeit- oder geringfügiger Beschäftigung. Auch da geraten junge Menschen mit Hochschul- oder Berufsabschluss seltener in die von der INSM so geliebten atypischen Beschäftigungsverhältnisse. Wobei das Wort “geliebt” hier natürlich etwas vorlaut ist. Die INSM preist diese Art Beschäftigung ja immer gern als Einstiegsszenario in feste Beschäftigung an.

Dumm nur, dass die vorgelegten Tabellen zeigen, dass davon wieder vor allem die Menschen mit gutem Abschluss profitieren, die anderen eher nicht.

Und das geht dann bei der Bezahlung weiter: Wer höhere Abschlüsse hat, bekommt ein besseres Gehalt, auch wenn selbst bei den jungen Menschen mit Abschluss 28 Prozent in Jobs landen, wo sie weniger als 10 Euro die Stunde bekommen. Bei jungen Menschen ohne qualifizierten Abschluss erwischt es freilich 61 Prozent, die weniger als 10 Euro die Stunde bekommen. Bei einer Messlatte bei 8,50 Euro wären die Unterschiede wahrscheinlich noch krasser.

Und dann ist da noch das schöne Lob für die Wirtschaft und ihre Anstrengungen für Einstiegsqualifizierungen und Nachqualifizierungsangebote. Das hat die INSM zwar nur in den Raum gestellt und nicht mit einer Erhebung unterlegt, sonst würde neben “der Wirtschaft” hier wohl auch die öffentliche Hand auftauchen, die sich – man denke nur an Leipzig – manchmal auch Mühe gibt, den Schulabgängern ohne Schulabschluss einen Weg in ein selbstbestimmtes Erwerbsleben zu ermöglichen. Die Defizite eines auf Sparflamme fahrenden Bildungssystems werden dann nachträglich und manchmal auch sehr zeitintensiv vor allem von Kommunen und der kleinteiligen regionalen Wirtschaft versucht zu reparieren.Das ist in der Grafik “Junge Menschen ohne Berufsabschluss im Ländervergleich” schön zu sehen, wenn man sich einfach daran erinnert, dass in Sachsen die Quote der Schulabgänger ohne echten Abschluss seit Jahren bei 10 Prozent liegt. Doch bei den 20- bis 29-Jährigen sieht man keine so hohe Quote ohne Schulabschluss mehr. Das heißt: Die meisten Betroffenen schaffen es dann über den weiteren, oft sehr individuellen Bildungsweg, doch noch einen ordentlichen Schulabschluss zu bekommen.

In Sachsen zum Beispiel sinkt so die Quote von 10 Prozent der Schulabgänger ohne Abschluss auf erstaunliche 1,1 Prozent. Besser ist tatsächlich nur noch Thüringen. Nur wird dieser Teil der nachgelagerten Bildungsarbeit selten bis nie beleuchtet – und die eigentlichen Akteure (regionale Wirtschaft und Kommunen) bleiben meist unerwähnt, obwohl sie an der Stelle den wichtigsten Reparaturbetrieb für das allgemeine deutsche Bildungssystem unterhalten.

Der nächste Schritt freilich ist ungleich schwerer, denn die eigentlich gefragten Berufe bekommt man heute nicht mehr mit einem simplen Hauptschulabschluss. Die Studie des IW Köln betont auch nicht ganz zufällig die Kompetenzen in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften (anhand der PISA-Ergebnisse der 15-Jährigen), ohne die man heute keinen attraktiven Berufsabschluss mehr bekommt.

Das Ergebnis sind dann eben auch in Sachsen 7,6 Prozent der 20- bis 29.Jährigen, die keinen berufsqualifizierenden Abschluss haben. Wobei man mindestens ein Sechstel aus dieser Gruppe ohne Probleme wieder streichen kann – denn das sind die jungen Leute, die tatsächlich noch studieren. Und auch bei den jungen Leuten mit Haupt- und Realschulabschluss sind einige auch noch jenseits des 20. Lebensjahrs in Ausbildung.

Am schwersten haben es eindeutig die jungen Leute ohne Schulabschluss auf dem Weg zu einer Berufsausbildung. Man muss gar nicht diese Tabellen lesen, um zu wissen, warum Eltern heutzutage solche Anstrengungen unternehmen, ihre Kinder zu möglichst hohen Schulabschlüssen zu bringen.

Das mit den Büchern und dem Bildungsstand der Eltern haben die Ersteller der Studie ebenfalls aus der PISA-Auswertung 2012. Und auch das mit der frühkindlichen Bildung haben die Studienautoren aus dem PISA-Test 2012. Denn nicht nur die Zahl der Bücher und der Bildungsgrad der Eltern bedingen die deutlich besseren Leistungen im PISA-Test, sondern auch der mindestens einjährige Besuch im Kindergarten, wo die Steppkes eben früh auch Dinge lernen, die sie zu Hause in der Regel nicht vorfinden.

Wer weiterlesen mag: www.insm.de/insm/Presse/Pressemeldungen/pressemeldung-iw-studie-bildungsverlierer.html

Die Kurzstudie als PDF zum Download.

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