Manchmal braucht es erst wieder so einen Sozialreport, wie ihn Leipzig regelmäßig vorlegt, damit man sieht, wo Leipzig eigentlich seine Probleme hat. Denn alles Wachstum und alle wirtschaftliche Entwicklung nutzen nichts, wenn die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer wird. Denn auch in Leipzig reißt die Kluft immer weiter auf.

Klipp und klar heißt es jetzt aus dem Leipziger Sozialdezernat: „Das durchschnittliche Haushaltsnettoeinkommen lag 2014 mit 1.662 Euro um 113 Euro höher als im Jahr 2013. Das durchschnittliche persönliche Nettoeinkommen (Median) betrug im Jahr 2014 insgesamt 1.207 Euro und lag damit um 55 Euro höher als im Jahr 2013.“ Aber die Kluft zwischen Armen und Reichen reißt weiter auf: „Die Einkommensunterschiede zwischen den einkommensschwächsten und einkommensstärksten 20 Prozent haben sich im Jahr 2014 absolut weiter erhöht, obwohl die Einkommen der einkommensschwächsten 20 Prozent um 7,1 % anstiegen, während die Einkommen der einkommensstärksten 20 Prozent um 4,6 % zulegten. Der Einkommensunterschied zwischen Männern und Frauen hat sich von 283 Euro (2013) auf 216 Euro (2014) verringert.“

Der Sozialreport informiert zu ausgewählten Daten zu Lebenslagen der Leipziger Bevölkerung sowie zu kommunalen Leistungen der Stadt im Bereich der Sozialpolitik. Aber er macht eben auch sichtbar, wie sich die sozialen Gemengelagen in der Stadt entwickeln. Und Leipzig hat seine jahrelang manifesten sozialen Probleme noch nicht gelöst, wächst aber mittlerweile in einem Tempo, das die Verwaltung an die Grenze der Möglichkeiten bringt.

„Geburtenzuwachs und wachsende Zuzüge haben auch höhere Ausgaben für Kindertagesstätten und den Schulbau zur Folge“, betont das Sozialdezernat. „Im Vergleich zu 2014 stiegen die Zuschüsse der Stadt Leipzig für Kindertagesstätten um 15 Millionen Euro auf 147 Millionen Euro im Jahr 2015. Für den Schulbau stiegen die Investitionsmittel 2015 leicht bei gleichzeitig deutlich steigenden Eigenmitteln der Stadt Leipzig.“

Mit den Worten von Sozialbürgermeister Thomas Fabian klingt das so: „Leipzig befindet sich im Aufschwung. Die Stadt wird vielfältiger, verjüngt sich und mehr Menschen haben Arbeit. Teilhabe für alle bleibt weiterhin unser oberstes sozialpolitisches Ziel. Denn trotz der positiven Entwicklung zeigt der Sozialreport 2015 auch, dass noch viel zu tun bleibt.“

Denn wirkliche Entspannung gibt es im Sozialbereich nicht, auch wenn die Zahl der Menschen in Bedarfsgemeinschaften leicht sinkt. Das Sozialdezernat dazu:

„Der Anteil der Menschen, die von Leistungen der sozialen Mindestsicherung leben, ging 2014 noch weiter zurück, er betrug 14,3 Prozent. Die Zahl der Leistungsempfänger nach SGB II hat sich auch im Jahr 2014 auf den bisher niedrigsten Jahreswert verringert. Insgesamt erhielten 69.355 Personen derartige Leistungen, das waren 16,6 Prozent aller Einwohner unter 65 Jahre. Auch wurde 2014 mit 9,4 Prozent die niedrigste Arbeitslosenquote seit 2001 gemessen. Diese Entwicklung verringert auch die Kinderarmut. 2014 lebten 26,3 Prozent der Kinder unter 15 Jahre von Sozialgeld, 2010 waren es 30,1 Prozent gewesen.“

Die Zahl der Leistungsempfänger/-innen nach SGB II hat sich im Jahr 2014 zwar auf den bisher niedrigsten Jahreswert verringert.

Aber wenn es dann um staatliche Unterstützungsleistungen geht, wird deutlich, dass sich die Lage für einen wesentlichen Teil der Stadtbevölkerung gar nicht entspannt hat. Im Gegenteil: Insgesamt 1.467 Personen erhielten 2014 Hilfe zum Lebensunterhalt, das sind 27,3 % mehr als im Vorjahr (1.152). Die Zahl der Empfänger/-innen von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ist auf 4.037 angestiegen (2013: 3.818).

Und bei den jungen Bewohnern setzt sich die finanzielle Situation fort: Mindestens ein Antrag auf Bildung und Teilhabe wurde 2014 für 19.553 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene gestellt, etwa so viele wie 2013 (19.389). Im Vergleich zu 2013 wurden mehr Leistungen bewilligt. Besonders stark ist der Anstieg bei der Schülerbeförderung, hier haben sich die Leistungen verdoppelt. Und: 26,3 % aller Kinder unter 15 Jahren bezogen im Jahr 2014 Sozialgeld (Vorjahr: 27,0 %).

Und wo sich die hohe Politik über eine wirtschaftliche Entspannung freut, rutschen immer mehr Leipziger ab in die Zahlungsunfähigkeit: Die Anzahl der Schuldnerberatungen hat sich von 2007 bis 2014 mehr als verdoppelt. Die kommunalen Ausgaben haben sich jedoch 2014 gegenüber dem Vorjahr um 8 % verringert. Ursache ist der Anstieg der Grundberatungen vor allem zum Pfändungsschutzkonto, so das Sozialdezernat dazu. Insgesamt 62.520 Personen nutzten 2015 den Leipzig-Pass (2014: 61.221). Das waren 11,0 % (2014: 11,1 %) der Leipziger/-innen

Aber während die Fallzahl im Jobcenter leicht sinkt, kommt ein anderes Problem jetzt spürbar auf Leipzig zu: Immer mehr Ältere leiden unter viel zu geringen Renten und werden zum Versorgungsfall: „Der Anteil der Menschen, die von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung leben, steigt seit Jahren kontinuierlich an, wie auch die Zahl der Personen, die Hilfe zur Pflege in Anspruch nehmen.“

Man ahnt, wie die Stadt gebeutelt ist von einer ganzen Reihe ungeklärter politischer Aufgaben. Sichtbar wird das auch im Bildungsbereich, wo sich sächsische Politik nun seit Jahren einer echten Reform verweigert. Ergebnis: „Der Anteil der Schüler, welcher die Schule ohne Abschluss verlässt, ist hoch, auch wenn der Wert 2014 mit 12,4  Prozent etwas niedriger ausfiel als 2013.“

Aber 12,4 Prozent sind eine Katastrophe, weil dieser hohe Wert vor allem durch die Abschlüsse der Schüler in den sozial benachteiligten Stadtteilen zustande kommt. Dahinter stecken auch die fehlenden Angebote für die Kinder mit Migrationshintergrund, die vom sächsischen Schulsystem besonders schnell „aussortiert“ werden. Oder im Detail: „Der Anteil der Schüler/-innen, welche die allgemeinbildende Schule ohne mindestens einen Hauptschulabschluss verließen, lag 2014 mit 12,4 % unter dem Vorjahreswert. Mehr als die Hälfte von ihnen stammte von Förderschulen. Weiterhin lag der Anteil von Abgänger/-innen ohne Abschluss an Oberschulen bei 10,1 % und damit doppelt so hoch wie der Vergleichswert auf Landesebene. An einigen Oberschulen in den innenstadtnahen Gebieten im Osten und Westen der Stadt sowie in Grünau fiel die Quote mit 20 % und mehr deutlich höher aus.“

Das ist ein Alarmsignal.

Und hier wächst jetzt eigentlich die wichtigste Aufgabe der Stadt für die nächsten Jahre heran. Denn wenn junge Migranten in Leipzig ihren Schulabschluss nicht schaffen, dann droht Migration von Anfang an zu scheitern.

Die kurz zusammengefassten Zahlen:

„In Leipzig lebten 2014 fast 60.000 Personen mit Migrationshintergrund. Das sind 10,8 % aller Leipziger. Davon waren 37.391 Ausländer/-innen und 22.347 Deutsche mit Migrationshintergrund. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der Einwohner/-innen mit Migrationshintergrund um 5.962 Personen bzw. 11,1 % gestiegen. Fast jedes fünfte Kind in Leipzig, 18,3 % der unter 15-Jährigen, hat ausländische Wurzeln.“

Und: „Die räumliche Verteilung der Leipziger/-innen mit Migrationshintergrund ist verschieden. Der Anteil an der Gesamtbevölkerung reicht von 35,5 % in Volkmarsdorf, 34, 5 % in Zentrum-Südost und 33,5 % in Neustadt- Neuschönefeld bis zu 1,6 % in Baalsdorf, und 2,6 % in Burghausen-Rückmarsdorf, Knautkleeberg-Knauthain und Liebertwolkwitz.“

Da liegt ein Berg von Arbeit, den aber die Stadt allein nicht bewältigen kann. Das braucht auch eine andere und besser ausgestattete Bildungspolitik. Denn Nicht-Integration kann sich auch Leipzig nicht leisten.

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Es gibt 3 Kommentare

Die Auswirkungen der jahrelangen Hofierung der Unternehmer, der Zurverfügungstellung billigsten Menschenmaterials durch Zwang durchs Jobcenter, der damit erreichten Subvention der Unternehmen, wird uns noch sehr viel mehr auf die Füße fallen, jedes Jahr mit Hunderten Menschen mehr, die von ihrer Rente, erwirtschaftet von Löhnen weit unter 7€, im Alter nicht leben können und eben Sozialhilfe brauchen werden.
Viel Vergnügen, all ihr Wirtschaftsförderer und Versprecher von billigem Land für Investitionen und billigen Arbeitskräften. Eure Provisionen und Pensionen sind sicher und entsprechend hoch, die Lebenslage der Betroffenen leider nicht. Aber das kann euch ja nicht mehr jucken, ihr seid ja nur Politiker, für nix verantwortlich. Schade eigentlich, denn es wäre mal schön zu sehen, wie Politiker ihre Verantwortung wahrnehmen, wenn sie persönlich haften müssten für den Mist, den sie so verzapfen.

Hallo Christian,
da dieses Thema tatsächlich brennt, ja. Danke auch, dass Sie nachfragen, hiermit also: Sie können den Text gern teilen.

Grüße Michael Freitag

Eine Frage an den Verfasser bzw. die Redaktion: Darf ich den Text auf unserer Homepage und Facebook-Seite “SALE – Soziale Arbeit Leipzig” teilen? Natürlich mit Quellenangabe.

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