Paul M. Schröder vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) ist ja ein bisschen listig. Er nimmt sich einfach die offiziellen Zahlen von Arbeitsagentur, Bundesregierung oder dem Bundesamt für Statistik und stellt sie nebeneinander. Und meistens stellt man dann verblüfft fest, wie in der Bundesrepublik immer wieder mit zweierlei Maß gemessen wird. Gerade wenn es um die Bedürftigsten geht.

Das hat er jetzt mal mit den Zahlen zum Regelbedarf (Hartz IV) und zur Armutsgefährdungsschwelle getan. Die erste Zahl wird jedes Jahr neu vom Gesetzgeber festgelegt. Wie sich die Regierung diesen Regelsatz zusammenrechnet und zusammenstreicht, kann man im unten verlinkten Wikipedia-Beitrag nachlesen.

Mit wirklich „existenzsichernd“ hat der Regelsatz, den der Gesetzgeber als „regelbedarfsrelevant“ bezeichnet, nichts zu tun. Um wirklich die simpelsten Bedarfe zu decken, brauche ein Ein-Personenhaushalt 535,33 Euro im Monat, hat die Hans-Böckler-Stiftung ausgerechnet. Und da sind die „Kosten für die Unterkunft“ (KdU) noch ausgeklammert.

Da der Gesetzgeber aber immer nur die „unteren 15 % der Einpersonen- und die unteren 20 % der Mehrpersonenhaushalte in die Auswertung“ einbezieht, mit der sie die Regelbedarfe ermittelt, schleicht sich natürlich ein systematischer Fehler ein. Denn diese Haushalte verzichten ja in der Regel auch schon auf viele Dinge, ohne die eine echte Teilhabe in Deutschland gar nicht möglich ist.

Man nimmt also die Ärmsten der Armen und ihr reduziertes Konsumverhalten zum Maßstab – und streicht davon noch Ausgaben, die die Politik meint, dass sie nicht regelbedarfsrelevant sind.

Ergebnis: Eine Kluft, die Jahr für Jahr wächst. Denn da der Gesetzgeber auch nur die Einkommen der niedrigsten Einkommensgruppe zugrunde legt, die seit Jahren stagnieren und kaum am Anstieg des Lohnniveaus teilhaben, haben auch „Hartz IV“-Empfänger daran so gut wie keinen Anteil.

Weshalb auch die Kluft zwischen den „Hartz IV“-Sätzen und der offiziellen Armutsgefährdungsschwelle seit 2006 unaufhörlich wächst.

Die Armutsgefährdungsschwelle wird statistisch berechnet aus dem Median aller Einkommen. Alle Menschen, die maximal 60 Prozent dieses Mittelwertes erreichen, gelten als armutsgefährdet.

„2006, im ersten Kalenderjahr mit einer im ganzen Kalenderjahr bundeseinheitlichen monatlichen ‚Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts‘ (inzwischen ‚Regelbedarf‘) in Höhe von 345 Euro (Hartz IV), lag dieser ‚Regelbedarf‘ (ohne Kosten der Unterkunft und Heizung) rechnerisch um 401 Euro (absolut) bzw. 53,8 Prozent (relativ) unter der amtlichen Armutsgefährdungsschwelle für Einpersonenhaushalte in Höhe von 746 Euro“, hat Paul M. Schröder ausgerechnet.

Aber die willkürliche Verknappung dessen, was der Gesetzgeber als „regelbedarfsrelevant“ zugesteht, hat dazu geführt, dass die „Hartz IV“-Sätze in den zehn Jahren immer deutlich langsamer wuchsen als die Armutsgefährdungsschwelle.

Mit dem Ergebnis, so Schröder: „Allein bei einem unveränderten relativen Abstand des Regelbedarfs von der Armutsgefährdungsschwelle auf dem Niveau des Jahres 2006 (53,75 Prozent) hätte der Regelbedarf in der ‚Regelbedarfsstufe 1‘ bis 2016 rechnerisch auf 448 Euro statt lediglich auf 404 Euro steigen müssen (46,25 Prozent von 969 Euro).“

Das sind dann einfach 44 Euro, die dem Leistungsbezieher im Monat fehlen. Egal, ob das Geld für Mobilität fehlt oder für etwas gesündere Ernährung oder Miete. Denn bei den Kosten für die Unterkunft setzen dann ja die Kommunen die Daumenschraube an. Auch hier in Leipzig. Thema für eine weitere Geschichte.

Das Fazit, das Paul M. Schröder zieht: „Die wachsende absolute und relative Lücke zwischen Regelbedarf und Armutsgefährdungsschwelle fördert die Armut (bzw. amtlich, die Armutsgefährdung).“

Die neue LZ Nr. 48 ist da: Zwischen Weiterso, Mut zum Wolf und der Frage nach der Zukunft der Demokratie

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