Man staunt doch immer wieder. Dass die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) den Solidaritätszuschlag nicht mag, hat sie ja schon mehrfach verlautbart. Jetzt hat sie die im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD verankerte Absicht, den Soli für einen Teil der Steuerzahler abzuschaffen, von einem Finanzrechtler untersuchen lasen. Und das Ergebnis ist verblüffend.

Im aktuellen Koalitionsvertrag haben Union und SPD vereinbart, den Solidaritätszuschlag im Jahr 2021 nur für einen Teil der Steuerzahler abzuschaffen. Ab einem zu versteuernden Jahreseinkommen von schätzungsweise 61.000 Euro soll der „Soli“ dagegen weiterhin erhoben werden. Wann die verbleibenden Steuerpflichtigen von der Ergänzungsabgabe entlastet werden sollen, haben die Regierungsfraktionen bisher nicht angekündigt.

Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) hält den Plan der Bundesregierung, den Solidaritätszuschlag ab 2021 nur teilweise abzuschaffen, für verspätet, ungerecht und falsch, teilt der neoliberale Thinktank, der so gern in voller Rüstung für das Wohlergehen der Besserverdienenden kämpft, mit. Der Direktor des Instituts für Finanz- und Steuerrecht der Universität Heidelberg, Prof. Dr. Hanno Kube, hält das im Koalitionsvertrag vereinbarte Vorgehen sogar für verfassungswidrig. In einem Rechtsgutachten für die INSM hat Kube im Koalitionsvertrag gleich mehrere Punkte gefunden, die nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sind.

Bereits die Tatsache, dass die Entlastung erst für 2021 geplant ist, sieht Kube kritisch, weil die Abschaffung des „Soli“ bereits ab dem Auslaufen des Solidarpakts II Ende 2019 verfassungsrechtlich geboten sei. Darüber hinaus hält Kube die einkommensabhängig gestaffelte Entlastung vom Solidaritätszuschlag für verfassungswidrig, da der „Soli“ als Ergänzungsabgabe nur durch einen besonderen Mittelbedarf des Bundes zu rechtfertigen sei – und nicht als Umverteilungsinstrument genutzt werden dürfe. Für Umverteilung sei der Einkommensteuertarif da.

Zusammenfassend stellt Kube daher fest: „In der Gesamtschau muss der Solidaritätszuschlag aus verfassungsrechtlichen Gründen zum Beginn des Jahres 2020 abgeschafft oder ab diesem Zeitpunkt zügig und für alle Steuerpflichtigen gleichmäßig abgeschmolzen werden. Die sozial gestaffelte Entlastung vom Solidaritätszuschlag ist verfassungswidrig. Soweit ein stärkerer sozialer Ausgleich über das Steuerrecht erreicht werden soll, ist auf die verfassungsgemäßen Instrumente zur Herstellung dieses Ausgleichs zu verweisen, an erster Stelle auf den allgemeinen Einkommensteuertarif.“

Der Finanzrechtler trifft also eine eindeutige Aussage: Wenn der Staat seine Einnahmen steuern will, dann darf er das nicht über den Soli tun, sondern muss es über die Steuer machen – ganz konkret die Einkommenssteuer. Wenn er also die niedrigen Einkommen entlasten und die höheren mehr belasten will, muss er die Steuersätze ändern. Das Gutachten ist also ein ziemlich klares Statement für eine Anhebung des Spitzensteuersatzes – und eigentlich auch für die Grenze des Steuerfreibetrags.

Dass der Geschäftsführer der INSM, Hubertus Pellengahr, gerade diese Aussage überlesen hat, überrascht nicht. Er ist ja Chef des Lobbyverbandes der Großverdiener.

Und als solcher fordert er im Namen der Reichen: „Die Steuerzahler haben im Lauf der Jahre deutlich über 300 Milliarden Euro ‚Soli‘ gezahlt. Das Projekt ‚Wiedervereinigung‘ ist nach dreißig Jahren zum Glück aus finanzieller Sicht abgeschlossen. Darin sind sich auch die Bundesländer in Ost und West einig, weshalb sie den Solidarpakt 2019 ersatzlos auslaufen lassen.

Die aktuellen und künftigen Überschüsse im Bundeshaushalt machen es der Bundesregierung möglich, den ‚Soli‘ ab 2020 ersatzlos abzuschaffen und alle Steuerzahler gleichermaßen zu entlasten. Das Versprechen, den ‚Soli‘ nur so lange zu erheben, wie er zur Finanzierung der Wiedervereinigung gebraucht wird, muss die Bundesregierung einhalten – und die Verfassung sowieso.“

Was Pellengahr ausblendet, ist die Tatsache, dass zwar die Wiedervereinigung scheinbar ausfinanziert ist – dafür sind längst ganz andere Teile des Staates unterfinanziert – von der Bildung bis zu den Infrastrukturen. Eigentlich gibt es keine finanziellen Spielräume. Und die „Überschüsse“ im Haushalt sind auch nur Fiktion.

Sie dienen zum Teil zur Senkung der riesigen Schuldenlast von 2 Billionen Euro, die die Bundesrepublik zum größten Teil seit 1990 aufgebaut hat. Und sie fließen vor allem in dringend notwendige Investitionsprogramme. Wer den „Soli“ abschafft, muss eine alternative Finanzierung dafür finden.

Der Ratschlag des Finanzrechtlers liegt auf dem Tisch: Die Einkommensteuer muss reformiert werden. Und wenn CDU/CSU und SPD schon der Meinung sind, dass Einkommen ab 61.000 Euro im Jahr höhere Belastungen vertragen, dann muss der Spitzensteuersatz in diesen Regionen angehoben werden.

Aber wie wir die INSM kennen, wird sie auch dagegen zu Felde ziehen.

Übrigens plädiert Hanno Kube in seiner ersten von acht Thesen für eine Alternative für ein allgemeines Abschmelzen des Solidaritätszuschlags ab 2020: „Nach Auslaufen des Solidarpakts II zum Ende des Jahres 2019 ist eine weitere Erhebung des Solidaritätszuschlags verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. Angesichts des graduellen Wegfalls des Erhebungsgrundes und der fiskalischen Auswirkungen der Streichung erscheint allerdings eine zügige, Anfang 2020 einsetzende Abschmelzung des Solidaritätszuschlags – an Stelle seiner sofortigen vollständigen Abschaffung – verfassungsrechtlich tragbar.“

In These acht aber betont er dann, dass ein sozialer Ausgleich über das Einkommensteuerrecht passieren muss: „In der Gesamtschau muss der Solidaritätszuschlag deshalb aus verfassungsrechtlichen Gründen zum Beginn des Jahres 2020 abgeschafft oder ab diesem Zeitpunkt zügig und für alle Steuerpflichtigen gleichmäßig abgeschmolzen werden. Soweit ein stärkerer sozialer Ausgleich über das Steuerrecht erreicht werden soll, ist auf die verfassungsgemäßen Instrumente zur Herstellung dieses Ausgleichs zu verweisen, an erster Stelle auf den allgemeinen Einkommensteuertarif.“

Das wäre dann mal eine echte Erleuchtung, wenn die INSM anfangen würde, für einen sozialen Ausgleich über das Steuerrecht zu kämpfen. Das wäre dann tatsächlich mal eine Soziale Marktwirtschaft.

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Aller 3 Tage gibt es Meldungen zu Überschüssen und jeder überlegt sich während der Halbwertszeit einer Meldung, was man alles mit dem vielen Geld tun kann…

Ganz klein auf Seite 2 einer Leipziger Zeitung konnte man gestern – wenn man sie sah – eine Meldung wahrnehmen: ca. 5 Millionen Bundesbürger ab 16 konnten sich 2016 nur jeden zweiten Tag eine warme Mahlzeit leisten, knapp 13 Millionen Bürger sahen sich nicht in der Lage, eine Woche Urlaub außerhalb ihres Zuhauses zu finanzieren.
Wohlgemerkt basierend auf Daten des Statistischen Bundesamtes, ganz offiziell!
In Zeiten von Überschüssen!
In Zeiten, wo es der Wirtschaft gut geht.

Wie wird es sein, wenn der Wirtschaftsmotor mal etwas langsamer dreht?

Eine gerechtere und sinnvolle Besteuerung der Einkommen ist – eigentlich seit Jahren bekannt – dringend geboten!

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