Wahrscheinlich würde man dazu nicht einmal eine Forschungsabteilung brauchen, nur eine kompetente Abteilung im sächsischen Finanzministerium, die jedes Jahr die realen Investitionsbedarfe der Kommunen erfasst. Dann könnte die Regierung nämlich vorsorgen und steuern. Und hätte auch schon vor ein paar Jahren wissen können, auf welchen gewaltigen Investitionsstau die Kommunen im Freistaat zusteuern.

Der kommunale Investitionsbedarf im Freistaat Sachsen liegt bis zum Jahr 2022 einer neuen Studie der Universität Leipzig zufolge bei 7,73 Milliarden Euro. Hinzu kommt ein kommunaler Instandhaltungsbedarf in Höhe von 1,63 Milliarden Euro. Investiert werden muss demnach vor allem in die Straßen- und Bildungsinfrastruktur sowie in den Breitbandausbau. Der Erhalt der vorhandenen Infrastruktur hat hierbei eine wesentlich größere Bedeutung als klassische Neuinvestitionen.

Zu diesen Ergebnissen kommt das an der Universität Leipzig angesiedelte Kompetenzzentrum für kommunale Infrastruktur Sachsen (KOMKIS) auf Grundlage einer eigenen Datenerhebung.

In der vorangegangenen Studie des KOMKIS aus dem Jahr 2016 konnte der Investitionsbedarf noch auf 6,48 Milliarden Euro beziffert werden. In der jetzt veröffentlichten Studie „Kommunaler Investitionsbedarf im Freistaat Sachsen – Kommunalbefragung 2018“ wurden einer schriftlichen Befragung von März bis April 2018 das kommunale Ausgabeverhalten sowie der gegenwärtige Investitions- und Instandhaltungsbedarf der Kommunen im Freistaat Sachsen abgefragt und ausgewertet.

Dazu führt das Kompetenzzentrum für kommunale Infrastruktur Sachsen im regelmäßigen Abstand von zwei Jahren eine flächendeckende Kommunalbefragung in Sachsen durch, in der die Kommunen zu ihrer gegenwärtigen Finanzlage, ihrem wahrgenommenen Investitions- und Instandhaltungsbedarf sowie ihrem tatsächlichen Investitions- und Ausgabeverhalten in ausgewählten Aufgabenbereichen befragt werden.

Der wachsende Investitionsstau in deutschen Gemeinden. Grafik: Universität Leipzig / KOMKIS
Der wachsende Investitionsstau in deutschen Gemeinden. Grafik: Universität Leipzig / KOMKIS

Die Investitionen der sächsischen Kommunen, die in der Vergangenheit deutlich über dem Bundesdurchschnitt lagen, sind seit 2013 darunter gesunken. Sie lagen 2017 fast unverändert gegenüber 2012 bei rund 300 Euro je Einwohner, während sie bundesweit von 260 auf 320 Euro je Einwohner gestiegen sind.

„Die Investitionen reichen nicht mehr aus, um die Abnutzung der kommunalen Infrastruktur voll auszugleichen. Aus diesem unzureichenden Investitions- und Ausgabeverhalten resultiert auch in Sachsen ein wachsender Investitionsrückstand. Deshalb müssen ausgebliebene, nicht getätigte Investitionen aus der Vergangenheit in der Zukunft nachgeholt werden“, erklärt der Autor der Studie, Dr. Mario Hesse vom Kompetenzzentrum für kommunale Infrastruktur Sachsen.

Zusätzlich macht die Untersuchung darauf aufmerksam, dass die derzeitigen sowie geplanten Baumaßnahmen aufgrund der häufig angespannten Finanzlage vieler Kommunen in starkem Maß von den aktuell verfügbaren Fördermitteln abhängig sind. Für die Kommunen besteht häufig die Herausforderung, zusätzliche eigene Deckungsmittel für jene Baumaßnahmen und insbesondere für den Erhalt der vorhandenen Infrastruktur bereitzustellen.

Das Problem dahinter: Programme wie das Konjunkturpaket der Bundesregierung oder das Programm „Brücken in die Zukunft“ sind Ausnahmen – sie helfen kurzzeitig, einen Teil der wichtigsten Investitionen abzuarbeiten, aber sie sorgen kaum dafür, dass der Investitionsstau in den Kommunen tatsächlich abgebaut wird.

Oder noch deutlicher formuliert – weil das KOMKIS so gern von „eigenen Deckungsmitteln“ spricht: Die meisten sächsischen Kommunen (über 80 Prozent) haben zwar einen ausgeglichenen Haushalt, schaffen also das, was Finanzminister so gern die „Schwarze Null“ nennen.

Werverluste in deutschen Gemeinden - und damit neu entstehende Wellen im Investitionsstau. Grafik: Universität Leipzig / KOMKIS
Wertverluste in deutschen Gemeinden – und damit neu entstehende Wellen im Investitionsstau. Grafik: Universität Leipzig / KOMKIS

Aber die „Schwarze Null“ ist eine Fata Morgana. Denn wenn auch die Kommunen mit ausgeglichenem Haushalt nicht die Gelder erwirtschaften, um alle nötigen Investitionen zu tätigen, entsteht – trotz „Schwarzer Null“ – ein gigantischer Berg von Investitionen, die einfach nicht zeitgerecht umgesetzt werden. Dass der Stau binnen eines Jahres um 1 Milliarde Euro anwuchs, hat allein mit einer Investitionsschiene zu tun – den dringend nötigen Schulneubauten in den Großstädten.

Das KOMKIS schreibt dazu: „Dies ist primär in dem Bereich ‚Schule/ Bildungseinrichtung‘ zu erkennen. Der Investitionsbedarf hat sich in diesem Bereich innerhalb der zwei Jahre mehr als verdoppelt. Mit etwa 2,1 Mrd. Euro beträgt der Anteil inzwischen fast ein Drittel des gesamten kommunalen Investitionsbedarfs im Freistaat Sachsen.“

Mittlerweile zeichnet sich auch ab, dass bei Verkehrsinvestitionen derselbe Stau entsteht. Leipzig ist das typische Beispiel dafür: Aufgrund der jahrelangen Austeritätspolitik ist die Stadt in sämtlichen Investitionsfeldern fünf Jahre zu spät in Planungen und Bau eingestiegen.

Deshalb ist das Jahr 2013 nicht ganz unwichtig in dieser Studie. Es war das Jahr, in dem die sächsische Staatsregierung die Kommunalfinanzierung hätte korrigieren müssen – das Thema Schulbau lag längst auf dem Tisch. Stattdessen knauserte man weiter. Wohl wissend, dass die Kommunen zu wenig Geld zum Investieren haben. Man feilschte bei Schulbaugeldern und bei ÖPNV-Finanzierungen. Mittlerweile gibt es dasselbe Theater beim sozialen Wohnungsbau.

Die Studie zeigt im Grunde auf, in welche Sackgasse die ideologisch grundierte Diskussion um „Schwarze Null“ und „Neuverschuldungsverbot“ führt: Sie sorgt mittelfristig schlicht dafür, dass die Kommunen über Jahre in ein viel zu geringes Investitionsbudget rutschen, dass wichtige Bauprojekte über Jahre verschoben werden, oft auch in der Fördergeldantragsstellung hängenbleiben und damit auch gleich noch deutlich teurer werden. Und dazu kommt: Die oft in den 1990er Jahren gebauten Strukturen verschleißen ja auch, müssten also oft schon wieder saniert werden.

Sie sind auch längst abgeschrieben, was sich dann in der Bilanz der Kommunen als realer Wertverlust darstellt. Und es ist kein Zufall, dass ausgerechnet die Regierungszeit von Angela Merkel dafür steht, dass die deutschen Kommunen über 70 Milliarden Euro an Wertverlust in ihren Infrastrukturen erlitten haben. Nicht nur die Deutsche Bahn erlebt jetzt auf die harte Tour, was passiert wenn man jahrelang glaubt, beim Erhalt der Infrastrukturen sparen zu können und Ausweichgleise und Puffer „einspart“.

Es ist dasselbe falsche Denken, das auch die deutsche Steuer- und Investitionspolitik bestimmt. Denn all die Brücken, Straßen, Schulen und kommunalen Wohnhäuser, die man auf Jahre hin nicht saniert oder nicht baut, stauen sich irgendwann zu einem riesigen Berg. Denn jedes Jahr kommt ja wieder ein notwendiges Bauprojekt hinzu.

Deswegen war das Jahr 2017 auch so alarmierend, als der geschätzte Investitionsbedarf der deutschen Kommunen von 130 auf 159 Milliarden Euro hinaufschnellte. Da hatte Deutschland 12 Jahre Eiertanz um die „Schwarze Null“ hinter sich und die Bürger in West und Ost merkten, was es heißt, wenn eifrig Steuern gesenkt werden, aber in der eigenen Gemeinde das Geld für die Straßensanierung oder die Kita fehlt.

Der Leipziger Stadtkonzern LVV will übrigens bis 2022 insgesamt 1,5 Milliarden Euro in wichtige Infrastrukturen investieren wie in das Klärwerk Rosental, LVB-Straßenbahnen und Gleise, eine neue Gasturbunie, Kanäle usw.. Dazu kommen allein in den Planungen der Stadt noch einmal rund 1,3 Milliarden Euro vor allem für Schulen, Straßen, Brücken …  rund 260 Millionen Euro pro Jahr. Allein an Bedarf. Ob es gebaut wird, ist eine andere Frage bei einem bis zum Anschlag ausgereizten Baumarkt.

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