Dass die Leipziger Sozialkosten aus dem Ruder laufen, hat auch mit der 2023 in Kraft getretenen Wohngeldreform zu tun, die deutlich mehr Haushalten ein Wohngeld zugesteht. Das Sozialamt der Stadt hat dafür extra die Bearbeiter-Stellen von 35 auf 70 verdoppelt. Was trotzdem nicht half, die Zeiträume zwischen Beantragung und Bewilligung der Wohngeldanträge deutlich zu verkürzen, wie eine Anfrage der Linksfraktion im Stadtrat ergab. Und die Zahlen blieben weit unter den Erwartungen.
„Seit dem 1.1.2023 ist die Wohngeldreform in Kraft. Damit erweiterte sich der Kreis der Wohngeldberechtigten auch in Leipzig, außerdem erhöhte sich das Wohngeld weiter, auch um eine Heizkostenkomponente. In Leipzig wurde ein Zuwachs von rund 15.000 Wohngeldhaushalten auf insgesamt rund 21.350 Wohngeldhaushalte erwartet. Es drohten nichtsdestotrotz massive Verzögerungen bei der Bearbeitung der Wohngeldanträge“, stellte die Linksfraktion in ihrer Anfrage fest.
„Laut § 26a Wohngeldgesetz (WoGG) ist die Zahlung eines vorläufigen Wohngeldes möglich. Die Mietentwicklung zeigt weiterhin nach oben, was ggf. auf die Erweiterung des Kreises der Anspruchsberechtigten schließen lässt.“
Schätzungen aber sind das eine. Ob berechtigte Haushalte dann tatsächlich auch einen Antrag stellen, ist etwas völlig anderes. Die Antragszahlen blieben in Leipzig dann doch deutlich hinter den zuvor erwarteten Zahlen zurück. Die Zahl der wohngeldbeziehenden Haushalte stieg zwar deutlich an – von 5.679 im Januar 2023 auf zwischenzeitlich über 12.000.
Aber ganz offensichtlich wollten sich über 10.000 potenzielle Wohngeldberechtigte die Antragstellung nicht antun und verzichteten darauf, bei der Stadt Wohngeld zu beantragen. Tatsächlich sank die Zahl der Wohngeld beziehenden Haushalte zuletzt sogar in Richtung 10.000, weit von den erwarteten 21.350 entfernt.
Woran es liegt, konnte das Sozialamt freilich nicht genauer aufschlüsseln. Aber es wird wie mit so vielen Sozialausgaben sein, für welche die Zahl der Antragsberechtigten deutlich höher liegt, als dann tatsächlich Haushalte einen Antrag stellen. Das kann auch mit schlichten Erwägungen zu tun haben, ob sich die Antragstellung und das lange Warten auf eine Befürwortung überhaupt lohnt.
Denn dieses Warten beträgt in Leipzig fast ein halbes Jahr, wie das Sozialamt mitteilt: „Derzeit beträgt die durchschnittliche Bearbeitungszeit bei Erstanträgen 186 Tage und bei Weiterleistungsanträgen 142 Tage (Quelle: gemeldete Laufzeiten durch KISA). Die reine durchschnittliche Bearbeitungszeit beträgt 158 Tage.“
Lieber verzichten, als beim Amt vorstellig werden
Auch die durchschnittlich monatlich gewährten Zuschüsse sind nicht wirklich gestiegen und schwanken seit 2023 zwischen 300 und 400 Euro pro Haushalt.
Letztlich könnte auch diese Statistik belegen, dass die meisten Antragsberechtigten gar nicht zu Empfängern sozialer Leistungen werden wollen und selbst Zuschüsse nicht beantragen, die ihnen nach Gesetz tatsächlich zustünden.
Die Bürgerumfrage 2023 könnte zumindest einen kleinen Einblick in die Motive der befragten Haushalte geben, auf eine Beantragung von Wohngeld lieber zu verzichten: „Bei den Bewältigungsstrategien, wie Haushalte, die eine Erhöhung der Kaltmiete um 15 Prozent nicht problemlos bezahlen können, mit der Mieterhöhung umgehen, stehen nach wie vor der Verzicht auf andere Ausgaben (46 Prozent) sowie die Beantragung eines Mietzuschusses (41 Prozent) an oberster Stelle.
Hier ist ein deutlicher Unterschied zwischen Haushalten mit Kind(ern) und ohne Kind festzustellen: Erstere geben deutlich häufiger (+24 Prozentpunkte) an, einen Mietzuschuss beantragen zu wollen als die Vergleichsgruppe. Deutlich seltener (-15 Prozentpunkte) können oder möchten sie auf andere Ausgaben verzichten.“
Die 46 Prozent könnten darauf hindeuten, dass das jene Haushalte sind, wo dann lieber bei den täglichen Ausgaben gekürzt und gespart wird, als den – am Ende eben doch erniedrigenden – Gang zum Amt anzutreten.
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Es gibt 2 Kommentare
Ich frage mich, welche Funktion als Steuerungsinstrument der Stadt eigentlich die LWB einnimmt. Seit einigen Jahren wird jedes Jahr die Kaltmiete bei mir um den möglichen gesetzlichen Satz erhöht. Weil sie es dürfen. Und im Musikviertel bieten sie an der Robert-Schumann-Straße für 15 € kalt den Quadratmeter an. Klar, so kann man den Mietspiegel im eigenen Quartier natürlich auch nach oben bringen. Mir fehlt da so langsam der Widerspruch, ehrlich gesagt. Im selben Brief steht dann noch drin, dass man auf Zustimmung verklagt wird, wenn man selbige nicht erteilt. Herrlich, so ein Mieter-Vermieter-Verhältnis.
Danke für diesen Bericht, lieber Autor, und daß ggw. “nur” um die zehntausend Haushalte Wohngeld beziehen (u.U. beantragen auch etliche Haushalte vergeblich?) überrascht mich; ich hätte mehr vermutet. Allerdings halte ich es für etwas verwegen, anhand der Bürgerumfrage von 2023 mit gerade mal 345 Antworten zur o.g. hypothetischen Frage aus den 46% (gerade auch wegen der Mehrfachnennungen), die mit einer Verzichtsstrategie vorgehen würden, anstelle Wohngeld zu beantragen, mit Gewißheit darauf zu schließen, daß die Zahl der Wohngeldbezieher im Grunde doppelt so hoch sein müßte, als diese gerade ist. Ganz bestimmt gibt es etliche, die es von vorherein lassen, das Sozialamt zu betreten. Aber tatsächlich weitere Zehntausend? Wo könnten denn noch weitere geeigneten Zahlen für eine solche Mutmaßung zu finden sein, als “bloß” anhand er Bürgerumfrage? Ich meine, die Einkommensverteilung, die in diesem Medium ja vor einiger Zeit vertieft betrachtet wurde, bezog sich ebenfalls auf Bürgerumfragen, und diese sind bestimmt nützlich. Allerdings gäbe es gerade zum Einkommen amtliche(re) Zahlen, als die von Umfragen, die per se ein Grund-Unschärfe mitbringen.
Wie lautet denn die Faustformel, mit der man eine Wohngeldbezugsberechtigung abschätzen könnte?
Ach so, wenn wir also gerade nur ca. die Hälfte an Wohngeldbeziehern hätten, wie es oben vermutet wird, und auch noch annehmen, daß die andere Hälfte denselben mittleren Bezugssatz “verursachen” würde, dann kämen monatlich nicht nur ca. 4M€, sondern eben 8M€ zusammen, das entspräche schlappen 48M€ mehr p.a. …