Eigentlich ist es für die Mitglieder der SPD die große Chance, mit ihrer Stimme klar zu machen, wie weit sie bereit sind zu gehen, um politisch gestalten zu können. Bis zum 12. Dezember dürfen sie darüber abstimmen, ob die SPD in Berlin mit CDU/CSU koaliert - oder nicht. Und das in Kenntnis der Ergebnisse der Koalitionsgespräche. Ein mutiger Schritt, den SPD-Chef Sigmar Gabriel da gegangen ist. Das "Jawollo" der SPD Leipzig-Süd kam postwendend.

Am 27. November hatten CDU, CSU und SPD nach langem zähen Ringen ihren Koalitionsvertrag in Sack und Tüten. Jeder hat Kompromisse eingehen müssen. Wie stark sie ausgefallen sind, darüber gingen die Bewertungen schon am selben Tag meilenweit auseinander – Verbände wie der BDI (in deutschen Medien gern als “die Wirtschaft” bezeichnet) wetterten über die Zugeständnisse an die SPD, die Opposition sah zu viele Zugeständnisse an CDU und CSU. Erstaunlich leise blieben die Verbände der Autofahrer und der Transportunternehmen, denn mit Maut für Pkw und Lkw soll ja künftig kräftig zugelangt werden.

Jetzt sind die Spitzenvertreter der SPD im Land unterwegs, um für den Kompromiss zu werben und bis zum 12. Dezember ein “Ja” von der Basis zu bekommen. Dort ist die Stimmungslage ebenfalls gemischt. Ganz kurz und knapp machte es am Donnerstag, 28. November, die SPD-Gruppe Leipzig Süd. Sie meldete: “Auf der ordentlichen Mitgliederversammlung der SPD Leipzig-Süd am 28.11.2013 haben sich die anwesenden Mitglieder nach einer leidenschaftlichen und intensiven Diskussion mit großer Mehrheit für eine Zustimmung zum vorliegenden Koalitionsvertrag ausgesprochen. Von den 28 anwesenden Mitgliedern haben lediglich zwei eine ablehnende Haltung formuliert, zwei weitere waren unentschlossen.”

Am Folgetag, Freitag, 29. November, meldeten zwar auch die Leipziger Jusos, dass sie für die Teilnahme am Mitgliederentscheid werben. Aber sie sehen das Koalitionspapier deutlich kritischer und sehr skeptisch. Bei ihrer Diskussionsrunde am Donnerstag, 28. November, haben die Leipziger Jusos den Koalitionsvertrag aus ihrer Sicht etwas genauer unter die Lupe genommen. Das Ergebnis: Die Mehrheit der etwa 20 Anwesenden konnte dem Papier am Donnerstag nicht zustimmen.

Hauptsächlich betrachtet wurden dabei die Punkte Bildung und Hochschule, Arbeit, Europa und Internationales, Migration sowie Gleichstellung.

“Uns Jusos ist es wichtig, dass der Vertrag komplett gelesen wird. Er enthält gute Regelungen aber auch Themen, die weit hinter einem sozialdemokratischen Politikbild zurückstehen. Andere Themen, die den Jusos wichtig sind, werden nicht behandelt”, erklärt dazu Frank Franke, Vorsitzender der Jusos Leipzig.Für die Jusos Leipzig ist die späte Einführung eines Mindestlohns nicht ausreichend, um die Situation junger Beschäftigter in Leipzig schnell und deutlich zu verbessern. Denn eingeführt werden soll der Mindestlohn von 8,50 Euro ja nicht sofort, sondern erst bis Ende 2016. Dass darüber hinaus keine Regelung zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung im Vertrag vereinbart wurde, enttäuscht die Jusos.

Im Bereich der Hochschulpolitik gehe es über ein Bekenntnis zur Finanzierung und einem Weiter so mit Projekt- und Paktfinanzierungen nicht hinaus. Es gab keine Einigung beim sogenannten “Kooperationsverbot”, was auch die Frage der Finanzierung einer guten Bildungs- und Hochschullandschaft erschwert, kritisieren die Jusos. Aussagen zu einer überfälligen Bafög-Reform fehlen völlig. Ebenso wurden keine Verbesserungen bei der Anzahl von Masterstudienplätzen vereinbart. Aus Sicht der jungen SPD-Mitglieder also in Sachen Hochschulpolitik ein komplettes Wegducken. Es ist ja nicht so, dass sich diese Probleme erst in den letzten Monaten aufgebaut haben. Sie verschärfen sich seit der Quasi-Einführung der Bologna-Reform 2008 von Jahr zu Jahr. Und seinerzeit waren die maßgeblichen Politiker auch noch irgendwie der Meinung, sie könnten mit “Bologna” auch noch Geld und Lehrkräfte einsparen – allein schon durch die Hoffnung, die meisten Studierenden würden mit dem Bachelor zufrieden sein. Aber nicht einmal die Wirtschaft braucht Bachelor-Absolventen.

Aber wie in Sachsen so in Berlin: Die Parteispitzen scheinen nicht einmal zu sehen, welche brisante Mischung da mittlerweile entstanden ist. Noch vier Jahre Weiterwursteln? – Den jungen Sozialdemokraten graust es zu recht.

Gleichzeitig ist den Verhandlern in Berlin ein anderes Thema augenscheinlich viel wichtiger gewesen: Dass die Bundeswehr an Schulen und Hochschulen werben darf, gleichzeitig aber Friedensinitiativen diese Möglichkeit jedoch nicht bekommen, betrachten die Jusos Leipzig mit großer Sorge.

Im Bereich der Migrationspolitik sei die Abschaffung der Optionspflicht ein erster richtiger Schritt, schätzen die Leipziger Jusos ein. Mutig wäre aber die tatsächliche Einführung eines Doppelpasses gewesen.

Mit Blick auf die Gleichstellung halten die Jusos Leipzig fest, dass für die Gleichstellung von Frauen und Männern einiges verabredet werden konnte. Allerdings bleibe die Gleichstellung homosexueller Paare weit hinter den Erwartungen zurück.

Doch in der Europapolitik fehle es an einem klaren Kurswechsel zur bisherigen Politik. Dieser sei aus Sicht der Jusos allerdings dringend geboten, um die Stabilisierung der Europäischen Union zu gewährleisten.

Die Leipziger Jusos danken Martin Dulig, Barbara Ludwig und Wolfgang Tiefensee, die für die SPD Sachsen an den Koalitionsverhandlungen teilgenommen haben. Einige Verbesserungen für die Neuen Bundesländer konnten aus Sicht der Jusos erzielt werden.

“In den nächsten Tagen werden wir noch einmal über den Vertrag schauen und bei weiteren Veranstaltungen das Pro und Contra zur geplanten Koalition erörtern. Viele Fragen sind noch offen und warten auf eine Konkretisierung. Doch die Skepsis der Mitglieder ist groß”, schätzt Frank Franke ein.

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