Wasch mir den Pelz – aber mach mich nicht nass. So versucht die Bundesrepublik seit 2015 irgendwie mit den Flüchtlingen umzugehen, die man damals im Sommer noch so herzlich in Deutschland begrüßte. Aber aus dem „Wir schaffen das“ ist eine Menge bürokratischer Paragraphenreiterei geworden, die eher darauf abzielte, die Ankömmlinge von einer echten Ankunft in Deutschland abzuhalten. Selbst in Leipzig hat man jetzt gemerkt, dass das nicht funktioniert.

Denn laut Vorlage der Stadtverwaltung sollen die sogenannten „Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen“ nach gerade einmal einem Jahr zum Jahresende 2017 eingestellt werden.

„Ihre Einführung war sowohl auf Bundesebene wie auch in der Kommune umstritten. Die Linke hatte auf beiden Ebenen gegen diese Maßnahmen gestimmt, weil sie eben nicht integrativ wirken und eher geneigt sind, Geflüchtete noch weiter an den Rand der Gesellschaft zu drängen“, erklärt dazu Stadträtin Juliane Nagel. „Vielmehr handelt es sich bei den sogenannten FIM um Zwangsbeschäftigung mit Hungerlöhnen. Anders als bei den sogenannten Ein-Euro-Jobs soll die Tätigkeit des Müllaufsammelns und Grünanlagen-Pflegens mit lediglich 80-Cent entschädigt werden. Dies ist nicht nur eine Ungleichbehandlung, auch der Effekt dieser Maßnahme für die Integration oder eine berufliche Perspektive der Geflüchteten geht gegen Null.“

Man durfte sich durchaus an ähnliche Konstrukte für SGB-II-Empfänger erinnert fühlen – wie etwa die 1-Euro-Jobs, die im Effekt den Betroffenen null Chancen brachten, in irgendeine Art regulärer Beschäftigung überwechseln zu können. Nur hat man dort viele Jahre gebraucht, um überhaupt einmal über die Erfolglosigkeit des Projekts zu reden.

Bei dem 80-Cent-Angebot für Flüchtlinge hat sich viel schneller gezeigt, dass es viel mehr Probleme schafft als löst. Denn damit werden die Menschen, die wahrscheinlich viele Jahre in Deutschland bleiben müssen, bis überhaupt an eine Rückkehr in ihre zerstörte Heimat gedacht werden kann, regelrecht an der Aufnahme regulärer Arbeit gehindert – und das, obwohl sie in immer mehr Branchen als Arbeitskräfte gesucht werden.

Die deutsche Bürokratie hat diese Menschen in Not einfach wieder behandelt, als wären es Leibeigene, die zu gehorchen haben.

Juliane Nagel: „Nicht nur die Entschädigung für die FIM ist geringer als bei den 1-Euro-Jobs, auch die Sanktionen gegen die, die die Maßnahme nicht antreten, sind drastischer. Die Standard-Leistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz werden dann auf eine Minimal-Versorgung in Form von Sachleistungen gekürzt (Unterkunft, Nahrung, Gesundheits- und Körperpflege, gesundheitliche Basisversorgung).“

Wer eine solche Bürokratiemaschine entwickelt und vor allem daran denkt, wie man die Betroffenen bestraft, betrachtet Menschen nicht mehr als ebenbürtig. Der degradiert Hilfsbedürftige zu Humankapital, das nur noch parieren muss.

„Während in Leipzig zahlreiche FIM nicht zustande kamen, weil ein großer Teil der potentiellen TeilnehmerInnen in anderen Bildungs-, Sprachkurs oder Arbeitsmaßnahmen steckten (insgesamt 98 Personen), bereits in den Rechtskreis des SGB II gewechselt waren (20) oder aus anderen Gründen nicht mehr teilnahmeberechtigt waren – wie Krankheit, Ablehnung des Asylantrags oder Duldung – (44), ist grundsätzlich zu konstatieren, dass die Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen ein Flop sind“, geht die Linke-Stadträtin auf die Gesamtbilanz nach anderthalb Jahren ein.

Bereits im April dieses Jahres gab das Bundesarbeitsministerium bekannt, die bundesweit geplanten 100.000 Hilfsjobs für Geflüchtete drastisch einzukürzen. Das Projekt funktioniert nirgendwo wirklich.

„Das Interesse an der Einrichtung solcher Hungerlohn-Stellen war gering: Nicht mal ein Viertel der Zielgröße, nämlich 25.000 von 100.000, wurden geschaffen. Auch im Freistaat Sachsen ist die Bilanz ernüchternd, wie die Antwort auf meine Landtagsanfrage ergab: Von 4.558 Sachsen zustehenden Plätzen waren im 1. Quartal 2017 nur 1.209 geschaffen, das sind ca. 26 %.“

Die Vorlage der Stadtverwaltung macht vor allem die Menschen für das Scheitern des Projekts verantwortlich, die dadurch in solche Maßnahmen gebracht werden sollten. Aber tatsächlich zeigt die Vorlage nur eines: Dass die deutsche Bürokratie bis heute nicht begriffen hat, wie verschieden die Lebenslagen von Menschen sind. Die meisten stehen für das miserable Job-Angebot schlicht nicht zur Verfügung. Und die Jobs funktionieren einfach nicht, stellen nicht einmal das her, was jeder Familienvater schnellstmöglich zu schaffen versucht: eine solide Einkommensgrundlage für die Familie.

Auch die Menschen aus den Flüchtlingsländern wollen nicht auf lebenslanges Gnadenbrot angewiesen sein. Die meisten haben sich auf den Weg gemacht, um sich in Deutschland eine vollwertige Existenz aufzubauen. Dabei müsste ein sorgender Staat helfen. Aber das neoliberale Denken, das (arbeitslose) Menschen regelrecht verachtet und glaubt, sie mit Zwangsmaßnahmen in Billig-Jobs drücken zu müssen, hat sich so tief eingebrannt, dass selbst die Verwalter dieser Programme nicht einmal mehr merken, wie viel Menschenverachtung darin steckt.

„Den Geflüchteten die Schuld für das Scheitern des FIM-Projekts beim KEE in Leipzig zu geben ist unlauter“, sagt Juliane Nagel. „Die Linke bleibt der Meinung: Statt marginalisierenden Sonderprogrammen, in denen Geflüchtete unter sich bleiben, Hungerlöhne beziehen und keine berufliche Perspektive finden, braucht es bessere Zugänge in die Regelsysteme von Ausbildung und Arbeit.“

Und weil die LVZ meinte, die Geschichte wieder mit einem fremdenfeindlichen Touch versehen zu müssen, gehen wir auf diese Pirouette, die den Fremdenhassern von der AfD natürlich gefiel, hier auch noch ein.

Die Begründung der Vorlage der Leipziger Verwaltung.

Die Anfrage von Juliane Nagel an die Sächsische Regierung.

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Einverstanden, was die völlig sinnlosen Maßnahmen 1 Euro -Job und noch schlimmer 80 Cent-Jobs zur “Integration” betrifft. Aber Anmerkung zu: Zitat: “was jeder Familienvater schnellstmöglich zu schaffen versucht: eine solide Einkommensgrundlage für die Familie.” Ich dachte, beim Familienbild ist die LIZ schon weiter.

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