Wenn es nach Union und SPD geht, befindet sich die Regierungsbildung nun auf der Zielgeraden. Die drei Parteien haben sich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt – mehrere Monate nach der Bundestagswahl und mehrere Wochen nach dem Scheitern der „Jamaika“-Sondierungen. Nachdem in den vergangenen Tagen vor allem Personalfragen im Mittelpunkt standen – Horst Seehofer als Heimatminister, Olaf Scholz als Vizekanzler und Martin Schulz nun doch nicht als Außenminister (Stand: Freitagabend) –, geht es nun darum, dass sich die SPD-Mitglieder für oder gegen den Koalitionsvertrag entscheiden müssen. Der Juso-Chef Kevin Kühnert ist deshalb auf Debatten-Tour, am 9. Februar 2018 war Station in der Leipziger Galerie KUB.

Die Jusos, die sich zuvor erfolglos gegen Koalitionsverhandlungen ausgesprochen hatten, sind seit heute mit ihrem Bundesvorsitzenden Kevin Kühnert auf Deutschlandtour. Nach der ersten Station in Pirna diskutierte der 28-Jährige am Abend in Leipzig mit Katja Pähle in einem zu klein dimensionierten Raum. Mit Durchlauf waren sicher 250 Menschen gekommen, mancher hörte lieber gleich vor dem Fenster am Smartphone den Livestream, statt sich auch noch hineinzuquetschen.

Eine Debatte auf Augenhöhe

Mit Katja Pähle hatte Kühnert eine GroKo-Befürworterin gegenüber, die immerhin die SPD-Fraktionsvorsitzende im Landtag von Sachsen-Anhalt und zudem seit Dezember 2017 Mitglied im 45-köpfigen Parteivorstand ist. Die Moderation übernahm Irena Rudolph-Kokot vom linken Parteiflügel.

Pähle sollte zunächst erklären, warum sich die Union im Bereich Migration mit Obergrenze, Aufnahmelagern und dem Automatismus bei sicheren Herkunftsländern nahezu vollständig durchgesetzt habe. Sie verwies dabei auf eine Einschätzung des Verhandlungsteilnehmers Ralf Stegner: „Das war der einzige Bereich, in dem die SPD nicht gestalten konnte, sondern Schlimmeres verhindern musste.“ Pähle ergänzte: „Wir haben mehr erreicht, als FDP und Grüne erreicht hätten. Ja, es stößt uns Sozialdemokraten sauer auf, aber ich glaube, es ist das Maximum, das wir erreichen konnten.“

Pro GroKo und NoGroKo gleichberechtigt auf dem Podium. Katja Pähle, Irena Rudolph-Kokot (Moderation) und Kevin Kühnert. Foto: Michael Freitag
Pro GroKo und NoGroKo gleichberechtigt auf dem Podium. Katja Pähle, Irena Rudolph-Kokot (Moderation) und Kevin Kühnert. Foto: Michael Freitag

Anschließend kam Kokot auf den immer wieder genannten und geforderten Erneuerungsprozess in der SPD zu sprechen. „Das, was wir in der Partei machen müssen, hat nichts damit zu tun, ob wir regieren“, antwortete Pähle. Kühnert wies darauf hin, dass es keinen Automatismus gebe – weder für die Erneuerung in der Opposition noch für die Selbstzerstörung in der Regierung. Er kritisierte, dass die Personaldiskussionen bislang die Debatte über den Koalitionsvertrag überlagern würden und der Parteivorstand zu sehr mit Regierungs- und Fraktionsmitgliedern verflochten sei.

Anschließend eröffnete Kokot die Fragerunde. Unter den etwa 150 anwesenden Personen (plus X) befanden sich neben SPD-Mitgliedern auch Mitglieder anderer Parteien. Ein Gast rügte die Kommunikation seitens des Parteivorstandes via E-Mail und WhatsApp als zu einseitig und nicht fair. „Kommunikation ist in der SPD nicht immer Kernkompetenz“, bestätigte Pähle. Immer wiederkehrende Themen waren die Glaubwürdigkeit der SPD und die ungenauen Formulierungen im Koalitionsvertrag mit Prüfaufträgen und Absichtserklärungen. Pähle dazu: „Ich weiß, dass solche Wörter das Herz nicht zum Schwingen bringen.“

Kühnert kritisierte, dass die SPD nicht mit Themen wie Netzausbau und Klimawandel assoziiert werde. Als konkretes Beispiel für verspieltes Vertrauen nannte er Rüstungsexporte. Entgegen der Ankündigung zu Beginn der vergangenen Großen Koalition, diese zu senken, stiegen die Zahlen. Auch der Sozialabbau im Zuge der Hartz-Reform war ein strittiges Thema. An manchen Stellen wurde es emotional, ein Mann aus dem Publikum rief zu Recht dazwischen, dass schließlich die SPD Hartz IV eingeführt hätte.

Moderatorin Kokot musste darum bitten, die Podiumsgäste ausreden zu lassen. Später dann durchaus das allgemeine Eingeständnis Pähles, dass Fehler passiert seien, aber man diese eben auch korrigieren könne – in der Regierung.

Auch die AfD spielte eine große Rolle an diesem Abend, schließlich ist die Partei in Umfragen nur noch wenige Prozentpunkte von der SPD entfernt und könnte mit sozialen Themen weitere Wähler von der einstigen Volkspartei abwerben. So stellt sich für SPD-Mitglieder auch die Frage, was die AfD eher stärken würde – eine Große Koalition oder Neuwahlen.

Die Leipziger Jusos mit Kevin Kühnert in der Galerie KUB. Foto: Michael Freitag
Die Leipziger Jusos mit Kevin Kühnert in der Galerie KUB. Foto: Michael Freitag

Am Ende der Diskussion lobte Kühnert: „Wir haben den Streit heute in vorbildlicher Weise ausgetragen.“ Für diese Sichtweise spricht auch, dass weder er noch Pähle aggressiv für Zustimmung oder Ablehnung geworben oder die Mitglieder zu einem bestimmten Votum aufgefordert haben. Kühnert betonte nochmals den Erfolg, etwa 25.000 neue Mitglieder innerhalb weniger Wochen für die SPD gewonnen zu haben – und hofft darauf, dass etwa 90 Prozent von ihnen dauerhaft in der Partei bleiben.

Nach der Diskussion

Am Rande der Diskussion lobte auch die Leipziger Bundestagsabgeordnete Daniela Kolbe die Juso-Tour. Der L-IZ sagte sie: „Mir fällt vor allem auf, dass hier sachlich diskutiert wurde und eine Befürworterin der Großen Koalition mit auf dem Podium saß.“ Sie sei weiterhin gegen ein Bündnis mit der Union, doch die Freude über die rege Mitgliederbeteiligung in der Galerie KUB war ihr förmlich anzusehen.

Moderatorin Kokot sagte der L-IZ nach der Debatte, dass die Parteispitze derzeit massiv versuche, mit Telefonanrufen bei den Mitgliedern für die Große Koalition zu werben. Wie die Abstimmung ausgeht, könne sie nicht abschätzen. „Ich bin aber der festen Überzeugung, dass vor allem unter den aktiven SPD-Mitgliedern locker 75 Prozent gegen die Große Koalition stimmen werden.“ Sie selbst bleibt auch weiterhin bei ihrem Nein zur GroKo.

Das Hauptproblem aus ihrer Sicht: Kein Vertrauen mehr in die CDU-Politik und auch die handelnden Personen auf der anderen Seite des Verhandlungstisches. „Der Koalitionsvertrag wimmelt von Prüfungen, Kommissionen und dann natürlich Finanzierungsvorbehalten.“ Alles letztlich viel man könnte und würde, das Misstrauen, letztlich erneut nichts Wegweisendes vor allem in der Sozialpolitik durchsetzen zu können, konnte bei ihr bislang noch nicht einmal das Finanzministerium unter Parteikollegen Olaf Schulz beseitigen.

Zumindest in einem Punkt waren sich viele der anwesenden SPD-Mitglieder einig: Die aktuellen Vorgänge in der Parteispitze mit dem Rückzug des ehemaligen Kanzlerkandidaten Martin Schulz als vorläufigem Tiefpunkt sind für die Basis kaum noch nachzuvollziehen. Was Kühnert demnach bereits in der Debatte mit einer besseren Struktur der Partei und einer stärkeren Trennung von Parteivorstand, Mitgliedschaften im Bundestag und weiteren Aufgaben anmahnte, ist wohl vor allem eines – mehr Mitglieder der Partei in die Arbeit bis an die Spitze einzubinden, Vorgänge durchschaubarer für die Mitglieder zu gestalten und am Ende politische Vorgänge wieder stärker von der Basis aus zu gestalten.

Man könnte es auch den Kern einer wirklichen Erneuerung nennen.

Information: Vom 20. Februar bis 2. März, 24 Uhr müssen sich die rund 460.000 SPD-Mitglieder per Briefwahl und rund 2.000 SPD-Mitglieder im Ausland online entscheiden, ob sie dem Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD zustimmen.

Zum aktuellen Koalitionsvertrag, der nun zur Debatte steht zum Download.

Zum CDU/CSU & SPD-Koalitionsvertrag vom Jahr 2013 im Netz. 

Der Livestream von der Veranstaltung im Mitschnitt (Jusos Leipzig auf Facebook)

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Es gibt 6 Kommentare

Sicher wird die SPD bei der nächsten Bundestagswahl (noch) die 5 %-Marke erreichen, aber gerade so, denn die Zahl der Nichtwähler wird rapide ansteigen. Abgestraft wird gewiss auch die FDP für ihr Taktieren. Profitieren werden wohl ein wenig die Grünen und DIE LINKE, die ihre Wähler zu mobilisieren verstehen. Aber der Gewinner eine nächsten Bundestagswahl 2018 wird AfD heißen. Deshalb muss die SPD jetzt die Koalition eingehen und mit CDU/CSU ab März einen politischen Frühling beginnen, der hoffentlich trotz Gegenwind bis 2021 anhält und dabei hilft die akuten sozialen Unterschiede zu lindern und die politischen nicht noch mehr zu verschärfen. (korr.)

Sicher erreicht die SPD bei der nächsten Bundestagswahl (noch) die 5 %-Marke erreichen, aber gerade so, denn die Zahl der Nichtwähler wird rapide ansteigen. Abgestraft wird gewiss auch die FDP für ihr Taktieren. Profitieren werden wohl ein wenig die Grünen und DIE LINKE, die ihre Wähler zu mobilisieren verstehen. Aber der Gewinner eine nächsten Bundestagswahl 2018 wird AfD heißen. Deshalb muss die SPD jetzt die Koalition eingehen und mit CDU/CSU ab März einen politischen Frühling beginnen, der hoffentlich trotz Gegenwind bis 2021 anhält und dabei hilft die akuten sozialen Unterschiede zu lindern und die politischen nicht noch mehr zu verschärfen.

Der erste kleine Schritt auf dem, zugegeben sehr sehr langen, Weg zur Wählbarkeit der SPD wäre die Ablehnung der GroKo mit anschließendem Rücktritt des gesamten Spitzenpersonals. Aber das wird wohl wieder ein Traum bleiben, es winken viele warme Sessel!

…. aber wohl wirklich erst die nächste SPD-Generation!

Genau dort sehe ich das Problem – auch wenn das hier immer nicht gern gelesen wird!
Wer in der Politik (oder auch sonst im Leben) die Glaubwürdigkeit verspielt hat, der soll plötzlich und über Nacht wieder Vertrauen genießen!?

Wer hat denn diese ganze neo-liberale Politik im Land etabliert – mit Volldampf “Rot-Grün”, unter Herrn Schröder (“Genosse der Bosse”).
Das alles hatte noch gar nichts mit “Flüchtlingen” oder anderen “Krisen” zu tun!
Es wurden in dieser Zeit maßgeblich eingeführt und ermöglicht: befristete Arbeitsverhältnisse; Leiharbeit (Lohndrückerei); Absenkung des Rentenniveaus; Ausbreitung von Hedgefonds (welche mittlerweile mit Allem spekulieren); Kriegseinsätze der Bundeswehr; stetig steigende Waffenexporte; allmähliches Verschwinden des sozialen Wohnungsbaus … u.s.w.

Viele Personen, welche damals schon in Spitzenpositionen der SPD waren (oder noch dort hin wollten – zum Beispiel hier in Sachsen), haben das alles schön mitgetragen, weil sich ja innerparteiliche Kritik nicht gut macht, wenn man die Karriere im Blick hat.

Von denen wird mir nun erklärt, dass man das alles erkannt hat und anders machen will – nein, danke!
Das glaube, wer will – ich keinesfalls mehr!

Diese Damen und Herren, sind für mich unglaubwürdig und denen werde ich weder nochmals Vertrauen schenken, noch diese wählen!

Eine neue Generation mag es vielleicht anders machen, dann würde ich gern mal wieder darüber nachdenken, die SPD zu wählen.

Ach, das ist doch echt ne blöde Geschichte. Ich bin eigentlich aus vollem Herzen gegen die GroKo, aber ob der Zeitpunkt zum Absprung nicht schon lang vorbei ist? Wär ein Nein jetzt nicht schlimmer als alles andere? Andererseits – was kann noch schlimmeres kommen? Die AfD? Ich glaub nicht, die haben ihre Wähler ja noch mehr verarscht als die SPD, noch dazu ganz offen (bleibt nur der Zweifel, ob die das überhaupt gemerkt haben in ihrem Wahn).
Ne. Ich bin mir mit mir selbst zwar nicht 100% einig bei dem Thema, aber ich bleib bei meiner Ablehnung. Auch wenns nix nützt, ich bin kein SPD-Mitglied. Aber SPD-Wähler war ich mal – damals, als das S im Kürzel noch eine Bedeutung hatte. Aber ich hab so das Gefühl, dass die nächste SPD-Generation tatsächlich wieder wählbar werden könnte.

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