In den vergangenen Jahren hat Leipzigs Amt für Statistik und Wahlen auch regelmäßig Wahlanalysen vorgelegt. Aber zur OBM-Wahl im Januar und März hat sie mal ein neues Instrument eingesetzt und Wähler/-innen direkt nach ihrer Wahl befragt. Nicht nur nach Wahlpräferenz und den Gründen ihrer Wahl. Die Ergebnisse legte das Amt am Dienstag, 16. Juni, vor. Sie erklären zum Teil sehr deutlich, warum die OBM-Wahl so ausging, wie sie ausging.

Bis heute rätseln ja auch seriöse Kollegen, wie das passieren konnte, dass der Champion aus der ersten Runde der Leipziger OBM-Wahl, Sebastian Gemkow (CDU), in der zweiten Runde nur Zweiter wurde und die Wechselstimmung, die auch im Rathaus spürbar war, nicht zum Wahlsieg reichte.

Aber man darf auch nicht vergessen, dass in der ersten Runde mit acht Kandidat/-innen praktisch das komplette politische Spektrum aus dem Stadtrat zur Wahl angetreten war. Und diese Runde war eindeutig von Sachthemen bestimmt, wie auch Dr. Christian Schmidt, Leiter des Amtes für Statistik und Wahlen feststellte.

Das zeigte sich auch bei der Befragung der rund 1.700 Wähler/-innen, die sich bereitfanden, gleich nach dem Besuch des Wahllokals den Fragebogen auszufüllen, den das Institut für Parlamentarismusforschung (IParl) ausgearbeitet hatte. Die Frage war da durchaus, „welche Sachthemen sind eigentlich relevant“, so Schmidt.

Die Frage war im Fragebogen offen formuliert, aber es zeichnete sich schon die eigentliche Kontroverse ab, denn nach dem 1. Wahlgang nannten 23 Prozent der Befragten ein Thema aus der Sozialpolitik, 20 Prozent eins aus der Sicherheitspolitik.

Die Gründe für die Wahlentscheidung in der ersten Runde der OBM-Wahl. Grafik: Stadt Leipzig, Amt für Statistik und Wahlen
Die Gründe für die Wahlentscheidung in der ersten Runde der OBM-Wahl. Grafik: Stadt Leipzig, Amt für Statistik und Wahlen

Denn vor der Wahl war nicht wirklich klar, welches wirklich die großen Streitthemen werden würden. Nach den Silvesterereignissen am Connewitzer Kreuz freilich setzten gerade die beiden konservativen Kandidaten Sebastian Gemkow (CDU) und Christoph Neuman (AfD) voll auf die Karte Sicherheit, mobilisierten damit auch vor allem die ältere Wählerschaft.

Dass auch Themen wie Infrastruktur (19 Prozent) und Umwelt und Klima (15 Prozent) sehr häufig genannt wurden, half der Grünen-Kandidatin Katharina Krefft ganz und gar nicht: Mit 12 Prozent der Stimmen landete sie nur auf Platz drei nach dem ersten Wahlgang und auch Franziska Riekewald (Die Linke) kam nur auf 13,5 Prozent. Obwohl Sachthemen die Wahlentscheidung der meisten Wähler/-innen im ersten Wahlgang bestimmt hatten, stand als Ergebnis doch wieder ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den Bewerbern von CDU und SPD.

Und noch etwas wurde schon im ersten Wahlgang sichtbar: Tendenzen einer altersspezifischen Ausdifferenzierung. Während bei jungen Erwachsenen eine Mehrheit das politische Spektrum Mitte-Links wählte, lag bei den älteren Erwachsenen das Wahlverhalten häufiger im konservativen Spektrum beziehungsweise in der politisch rechten Richtung.

Und es deutete sich schon an, dass diese Wahl sehr volatil war, was auch daran liegt, dass sich allein durch das starke Bevölkerungswachstum die Zusammensetzung der Leipziger Wählerschaft seit der letzten OBM-Wahl im Jahr 2013 spürbar verändert hat.

Vor allem junge Menschen und Bürger mit geringem Interesse an Kommunalpolitik tendieren zu kurzfristigen Wahlentscheidungen, schätzt das Amt für Statistik und Wahlen ein. Wobei man den Topos durchaus hinterfragen kann. Zwar äußern gerade Rentner/-innen mit 73 Prozent ein überdurchschnittliches Interesse an Kommunalpolitik und die jüngeren Wähler/-innen (18 bis 34 Jahre) mit 37 Prozent ein deutlich niedrigeres. Aber parallel klaffen die Einschätzungen zum Einfluss auf die Kommunalpolitik drastisch auseinander.

Interesse an Kommunalpolitik und Einschätzung der eigenen Einflussmöglichkeiten. Grafik: Stadt Leipzig, Amt für Statistik und Wahlen
Interesse an Kommunalpolitik und Einschätzung der eigenen Einflussmöglichkeiten. Grafik: Stadt Leipzig, Amt für Statistik und Wahlen

Ich finde diesen Befund gravierend, denn er erzählt auch von einem Missverständnis, das augenscheinlich gerade Senioren hegen, die sich gern als gut informiert über Kommunalpolitik bezeichnen, obwohl sie es oft nicht sind. Und die oft auch nur ihre Themen wahrnehmen (jede Bürgerumfrage erzählt davon), die Themen der jüngeren Generation aber nicht (mehr) ernst nehmen.

Die logische Folge: Es wurde eine Wahl, in der sich die Älteren und Jüngeren gegenüberstanden und auch die jungen Themen gegen die Besorgnisse der Älteren zur Personifikation wurden. Und da der CDU-Kandidat die Sicherheitsthemen der Alten bevorzugte, wurde der eigentlich ältere Amtsinhaber Burkhard Jung auf einmal zum einzig aussichtsreichen Kandidaten für die jungen Themen.

Und so waren im ersten Wahlgang in erster Linie Sachthemen wie Sozial- und Sicherheitspolitik entscheidend für die Stimmabgabe. Im zweiten Wahlgang orientierten sich die Wählerinnen und Wähler mehr an den Personen und wählten mehr nach strategischem Ermessen.

Und zu dieser Strategie gehörte nun einmal auch die Frage: Wer setzt eigentlich welche Agenda um?

Und spätestens mit den Absichtserklärungen, die SPD-Kandidat Burkhard Jung gegenüber den Kandidatinnen von Linken und Grünen abgab, war klar, dass die Themen der jüngeren Generation mit Burkhard Jung auf dem Wahlzettel standen.

Im zweiten Wahlgang profitierte Burkhard Jung so folgerichtig vom Rückzug einiger Kandidatinnen und Kandidaten und der daraus resultierenden Wählerwanderung – insbesondere vormalige Wähler von Krefft und Riekewald setzten nun ihr Kreuz beim Amtsinhaber.

Was nicht heißt, dass er unlädiert aus dieser Wahl hervorging. Das zeigt auch die Wählerwanderung seit 2013. Sämtliche Gegenkandidat/-innen profitierten 2020 von Wählerstimmen, die 2013 noch Burkhard Jung bekommen hatte. Und das war auch im zweiten Wahlgang so, als 38 Prozent der Stimmen von Sebastian Gemkow von einstigen Jung-Wählern kamen.

Eine gewisse Enttäuschung über den Amtsinhaber und seine Politik in den vergangenen sieben Jahren war da unübersehbar. Aber gleichzeitig wurde auch deutlich, dass gerade die jüngeren Leipziger von CDU-Kandidat Sebastian Gemkow nicht wirklich erwarteten, dass er die Zukunftsthemen der Stadt bespielen würde.

Die Wanderung der Jung-Wähler von 2013 zu Sebastian Gemkow und Ute Elisabeth Gabelmann in der zweiten OBM-Wahlrunde. Grafik: Stadt Leipzig, Amt für Statistik und Wahlen
Die Wanderung der Jung-Wähler von 2013 zu Sebastian Gemkow und Ute Elisabeth Gabelmann in der zweiten OBM-Wahlrunde. Grafik: Stadt Leipzig, Amt für Statistik und Wahlen

Das heißt: Das scheinbar geringere Interesse an Kommunalpolitik bedeutet eben nicht, dass die jungen Leute nicht wissen, welche Themen in der Stadt verhandelt werden und wer sie bespielt. Und während auch die konservativen Medien der Stadt wochenlang das Thema (Un-)Sicherheit bedienten, wurde bei den Wahlforen unübersehbar, dass es in Leipzig nicht um die vermeintlich gestiegene Kriminalität geht, sondern um Schulen, Kitas, ÖPNV, Umwelt und Klimanotstand.

Logische Folge: Burkhard Jung erreichte seine besten Wahlergebnisse gerade in der zweiten Runde bei den 18- bis 34-Jährigen – nämlich 66 bis 67 Prozent), während Gemkow bei den über 65-Jährigen die besten Werte holte (65 bis 70 Prozent).

In der Befragung am 2.Wahltag freilich verschwanden die Sachthemen hinter den Kandidaten, spitzte sich die Wahl auf das zu, was man eigentlich von einem zweiten Wahlgang auch erwartet: eine Kandidatenentscheidung. Den Wähler/-innen war sehr wohl bewusst, dass sie jetzt strategisch wählten. Das traf besonders auf Jung-Wähler zu.

Wer aber strategisch wählt, wählt eben den Kandidaten, der am ehesten für die Inhalte steht, die den Wählenden wichtig sind. Was nicht heißt, dass alle Linke- und Grünen-Wähler/-innen auch zu Jung wechselten – aber eben doch genug, um den Wahlausgang zu bestimmen. So kamen die 3.000 Stimmen Vorsprung zustande, die Burkhard Jung seinen dritten Wahlsieg seit 2006 ermöglichten.

Für die Untersuchung wurden erstmals an beiden Wahltagen jeweils in 15 der insgesamt 349 allgemeinen Wahlbezirke Leipzigerinnen und Leipziger nach dem Verlassen des Wahllokals gebeten, einen zweiseitigen Fragebogen auszufüllen. Darin gaben sie unter anderem Auskunft zu ihrer Wahlentscheidung, zu früherem Wahlverhalten und den eigenen sozio-demographischen Merkmalen. Zum ersten Wahlgang am 2. Februar konnten so insgesamt 1.786 anonymisierte Fragebögen ausgewertet werden, nach dem zweiten Wahlgang am 1. März 1.713.

„Diese Methode liefert deutlich mehr Informationen darüber, was die Wählerinnen und Wähler bewegt und wie Wahlentscheidungen zustande kommen als die üblicherweise bei Wahlen auf Bundes- und Landesebene durchgeführte repräsentative Wahlstatistik“, erklärt Dr. Christian Schmitt, Leiter des Amtes für Statistik und Wahlen.

Der Bericht steht online zum Download bereit unter www.leipzig.de/statistik.

Was trennt eigentlich die Ortsteile am Stadtrand von der Innenstadt, wo Burkhard Jung seinen Sieg einfuhr?

Was trennt eigentlich die Ortsteile am Stadtrand von der Innenstadt, wo Burkhard Jung seinen Sieg einfuhr?

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