Die Neuversiegelung hat in den vergangenen Jahren trotz anderslautender Ziele in Bund und Freistaat Sachsen weiter dramatisch zugenommen, stellt die Grünen-Fraktion jetzt zu einem neuen Antrag im Leipziger Stadtrat fest. Leipzig nimmt hierbei als in den vergangenen Jahren stark wachsende Stadt mit großer Sicherheit einen Spitzenplatz ein, vermuten sie. Konkret lasse sich dies jedoch nicht in Zahlen fassen, da die Neuversiegelung wie auch die Entsiegelung nicht systematisch erfasst werden.

Das stimmt nur zum Teil. Besser sollte man sagen: Es gibt keine detaillierten Angaben, weil Gebäudebesitzer nicht auf den Quadratmeter genau angeben, welche Teile rund ums Haus versiegelt sind und welche nicht. Aber eine Vorstellung davon, dass Leipzig eigentlich darauf pfeift, die Neuversiegelung im Stadtgebiet in irgendeiner Weise zu bremsen, zeigen die im Jahrbuch der Stadt veröffentlichten Flächennutzungsarten. Und am heftigsten leidet die landwirtschaftlich genutzte Fläche, die immer wieder für Gewerbeansiedlungen, Straßenbau oder Bergbau umgewidmet wird.Betrug der Anteil der landwirtschaftlichen Fläche am Leipziger Stadtgebiet im Jahr 2000 noch 44,3 Prozent, so schmolz er bis 2020 auf 33,2 Prozent zusammen, von einstmals 13.176 Hektar auf 9.878 Hektar. Das sind ungefähr 4.700 Fußballfelder, die da in den letzten 20 Jahren in Leipzig zugebaut und versiegelt wurden. Aus ihnen wurde vor allem „Gebäudefläche“. Ohne Ausgleich, denn den gibt es in Leipzig nirgendwo.

Und da ist eben noch nicht erfasst, was an versiegelten Stellplätzen in Innenhöfen, an Parkplätzen an Supermärkten oder überbauten Brachflächen verloren ging. Alles Räume, auf denen Regenwasser nicht mehr versickern kann, also auch nicht aufgehalten wird. Es wird zwar derzeit heftig über die Vorwarnzeiten an den Flüssen in der Eifel diskutiert, die man nicht genutzt hat, um die Menschen zu warnen.

Aber diese Diskussion überlagert die noch viel drängendere Diskussion über die kranken Wälder auch in der Eifel, die nicht mehr in der Lage sind, Wasser zurückzuhalten, und die massiven Versiegelungen auch in den Flusstälern. So richtig will der Gedanke nicht in den Wahrnehmungshorizont der verantwortlichen Politiker vordringen, dass die gedankenlosen Versiegelungen der vergangenen Jahrzehnte die Lage im Starkregenfall für sämtliche dicht besiedelten Gebiete in Deutschland brisanter gemacht haben.

Das trifft genau so auch auf Leipzig zu.

Die Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen im Leipziger Stadtrat hat nun einen Antrag ins Ratsverfahren eingereicht, der zum Ziel hat, Strategien und Maßnahmen gegen den zunehmenden Flächenverbrauch und die damit einhergehenden Neuversiegelungen zu entwickeln.

„Mit dem Konzept der doppelten Innenentwicklung, dem INSEK und der angestrebten Mehrfachnutzung bei Bauvorhaben verfolgt die Stadt ambitionierte Ziele, die bisher leider unzureichend umgesetzt werden. Vielerorts verschwinden Brachen und Grünflächen durch Bauten, mit denen Flächen nicht optimal ausgenutzt oder unnötig versiegelt werden“, kommentiert Dr. Tobias Peter, Fraktionsvorsitzender und wohnungspolitischer Sprecher der Fraktion, den Antrag.

„In der Folge steigt die Anfälligkeit für Starkregenereignisse und Hitzesommer. Damit möglichst viel Wasser versickern kann und Abkühlung im Sommer ermöglicht wird, muss die Errichtung der notwendigen Gebäude für Wohnen, Gewerbe und Infrastruktur endlich mit einer Strategie für umfassende Entsiegelungen verbunden werden.“

Als Voraussetzung dafür fordert die Fraktion eine systematische Erfassung von Ver- und Entsiegelungen, um Potenziale in einem sogenannten Entsiegelungskataster abzubilden.

„In diesen und weiteren Bereichen gibt es Potenziale zu heben, um einerseits die wachsende Versiegelung einzudämmen und andererseits bei der Entsiegelung voranzukommen. Hierfür sind konkrete und ambitionierte Ziele wie die Netto-Nullversiegelung festzuschreiben“, sagt Peter.

Konkret fordert die Grünen-Fraktion die Einführung eines Katasters zur Erfassung von Ver- und Entsiegelungen, dabei sind auch Kleinstflächen wie z. B. überflüssige Versiegelungen auf Plätzen, Wegen oder im Straßenrandbereich einzubeziehen, und die Entwicklung einer Strategie mit dem Ziel einer Netto-Null-Versiegelung im Stadtgebiet in 2030 mit schrittweisen Zielvorgaben und Maßnahmeplänen für eine sinkende Neuversiegelung und steigende Entsiegelung von Flächen innerhalb des Stadtgebiets.

Und dazu gehört aus Sicht der Grünen auch die Festlegung von sogenannten „Tabuflächen“, für die eine besondere Schutzbedürftigkeit aufgrund der Grundwasserneubildung, der Frisch- und Kaltluftentstehung sowie der Minderung des Aufheizeffektes in Überwärmungsgebieten und hohe klimatische Entlastungsfunktion besteht.

Und in den Fokus rückt nun auch eine Evaluation und Überarbeitung des von der Stadtverwaltung angewandten Kompensationsmodells zur Bilanzierung von Eingriffen und Ausgleichen, bei der insbesondere die Festlegung bzw. Einführung von Biotopflächenfaktoren (naturhaushaltswirksame Fläche pro Grundstücksfläche in Abhängigkeit von jeweiliger Art der baulichen Nutzung nach dem Vorbild von Berlin) zu berücksichtigen sei, sowie die Berücksichtigung einer vorrangigen Kompensation im Rahmen der zu erarbeitenden Biotopverbundplanung als Biotopvernetzungsinstrument mit Tabuflächen und Flächen für die Schaffung grüner Verbindungsstrukturen.

„Ziel muss sein, die aktuell deutlich sichtbaren Folgekosten von Starkregenereignissen und Aufheizung, die durch Versiegelung entstehen zu minimieren. Dafür müssen genau diese Kosten auch bei Bauvorhaben bereits bei der Entstehung abgebildet werden“, so Tobias Peter.

Aber der Verweis auf das Kompensationsmodell der Stadt sagt eigentlich genug: Es ist ein zahnloser Tiger, auch da, wo die Verantwortungsträger so gern über die wichtige Rolle der „blau-grünen Infrastruktur“ reden. Und auf das ebenfalls von den Grünen vorgetragene Thema Schwammstadt hat die Verwaltung ebenso zurückhaltend reagiert.

Obwohl beides zusammengehört, denn in der Regel sind die versiegelten Flächen nicht nur für Regenwasser undurchlässig und verhindern deren Versickerung, sie sind gleichzeitig auch die Flächen, die sich besonders stark aufheizen. Sie haben also einen doppelt negativen Klimaeffekt für Leipzig. Das jetzt von den Grünen geforderte Kataster würde wohl nur sehr deutlich sichtbar machen, wie hochgradig versiegelt die Stadt ist und dass es bislang keine Strategie gibt, das zu drehen.

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Keine Kommentare bisher

Dass soviel Fläche verlorengegangen ist, hätte ich auch nicht vermutet.

Dieser Antrag wird den klientelhörigen Entscheidern im Rathaus nicht schmecken.

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