Im Rathaus mรผssen die Uhren sowieso ganz anders ticken als hier drauรen in der Welt, in der die Klimakrise sich zuspitzt und die Artenverluste immer spรผrbarer werden. Oder eher: nicht mehr sichtbar, weil es immer stiller und leerer wird in der Restnatur, die wir noch haben. 2019 war das, als der NABU Leipzig die Petition โBauen und Natur erhaltenโ initiierte, die dann am 14. Oktober 2020 in einen Ratsbeschluss mรผndete. Jetzt legt die Verwaltung endlich einen Zeitplan vor.
Artenschutz: viel รrger, wenig konkretes Handeln
โUm der Intension der Petition zu folgen, wird der OBM beauftragt, die Voraussetzungen fรผr die Erarbeitung einer Stadtbiotopkartierung und einer Biotopverbundplanung mit Unterstรผtzung der Umwelt- und Naturschutzverbรคnde als Grundlage fรผr den Arten- und Biotopschutz fรผr die Gesamtstadt zu prรผfen und auf Grundlage der Haushaltseckwerte dem Stadtrat eine Vorlage im IV. Quartal 2020 vorzulegenโ, hatte der Stadtrat 2020 beschlossen.
Und dann tat sich doch wieder lange nichts. Dafรผr gab es jede Menge รrger mit gefรคllten Bรคumen und abgerรคumten Biotopen und etliche Mahnwachen, die insbesondere der NABU organisierte. Denn es war รผberhaupt nicht ersichtlich, dass die Leipziger Verwaltung รผberhaupt verstanden hatte, dass das groรe Artensterben um Leipzig keinen Bogen macht und die Stadt schon vor Jahren hรคtte reagieren mรผssen, um in der sich verdichtenden Hรคuserlandschaft so viel wie mรถglich Lebensrรคume fรผr Vรถgel, Sรคuger und Insekten zu bewahren.
Oder auch neu zu schaffen. Denn ein Problem der oft viel zu kleinen Biotope ist, dass der Abstand zur nรคchsten grรผnen Insel viel zu groร ist. Die Tiere und Insekten kรถnnen den Abstand nicht รผberbrรผcken, die Populationen werden zu klein und kรถnnen sich nicht mehr erhalten.
Erste Ergebnisse schon Ende 2022
Eigentlich rast die Zeit davon, was die Rettung der lebendigen Vielfalt auf unserem Planeten betrifft. Doch jetzt hat die Verwaltung tatsรคchlich endlich geschafft, eine Beschlussvorlage fรผr die โBiotopverbundplanung fรผr die Stadt Leipzigโ vorzulegen. Dass es so lange gedauert hat, liegt auch daran, dass sich hier gleich zwei Dezernate zusammenraufen mussten โ das Planungs- und das Umweltdezernat. Denn hier geht es nicht nur um ein paar schรถne Schilder. Hier muss sich Stadtplanung selbst verรคndern.
โDie Stadtverwaltung hat die Anforderungen an eine Biotopverbundplanung und Stadtbiotopkartierung geprรผft, vorhandene Datengrundlagen ausgewertet und in enger Abstimmung mit den Initiatoren der Petition (NABU, BUND, รkolรถwe und Ornithologischer Verein) zunรคchst ein Konzept fรผr eine Biotopverbundplanung mit selektiver Biotopkartierung erstelltโ, heiรt es in der Vorlage.
โDie Naturschutzverbรคnde legen groรen Wert darauf, dass mit der Biotopverbundplanung schnell eine Handlungsgrundlage geschaffen wird, mit der zu sichernde Flรคchen identifiziert werden. Dementsprechend soll noch im Jahr 2022 ein Rohentwurf zur Biotopverbundplanung erstellt werden, der in der weiteren Bearbeitung qualifiziert wird. Die Endfassung der Biotopverbundplanung soll 2024 vorgelegt werden. รber diese kurzfristig angestrebte Handlungsgrundlage hinaus soll die Erarbeitung einer flรคchendeckenden Stadtbiotopkartierung als gesamtrรคumlich wichtige Grundlage fรผr eine nachhaltige Stadtentwicklung erfolgen.โ
Biotopverbund bis jetzt kein Thema
Da ahnt man nur, wie beharrlich die Gesandten der Naturschutzverbรคnde auf die Verwaltung und ihre Mitarbeiter eingeredet haben, die Sache zu forcieren. Denn von โKaltluftschneisenโ, โruhigen Oasenโ und โgrรผnen Fingernโ ist in Leipzig schon seit Jahren die Rede. Aber es flieรt nicht zusammen.
Und etliche Nachfragen in der letzten Zeit haben gezeigt, dass die Verwaltung nicht wirklich viel weiร รผber die kleinteiligen Biotop-Strukturen in der Stadt. Stattdessen muss bei jedem einzelnen Neubau-Projekt um jedes Stรผckchen Grรผn und Artenschutz gerungen werden, egal, ob am GleisGrรผnZug Plagwitz, am Wilhelm-Leuschner-Platz oder in der Parkstadt Dรถsen.
Immer wieder zeigt sich, dass das veraltete Baurecht in Deutschland den Nรถten unserer Zeit รผberhaupt nicht genรผgt und der Schutz selbst jahrzehntealter Biotope selten mehr als ein Kompromiss wird. Oft genug werden die geschรผtzten Tierarten dann irgendwo anders hin umgesiedelt, ganz so, als dรผrfe der Mensch allein bestimmen, was wo leben darf und als brauche man ausgerechnet diese Tierarten und Biotope nicht auch mitten in der Stadt.
205.000 Euro soll jetzt die umfassende Biotop-Kartierung bis 2024 kosten.
Blinder Fleck: Klimakrise
Wobei die Vorlage zeigt, dass deren Ersteller nicht einmal eine Vorstellung davon haben, worum es geht. Denn reihenweise haben sie im Kasten โKlimawirkung durch den Beschluss der Vorlageโ das Kรคstchen โAussage nicht mรถglichโ angekreuzt. Als hรคtten sie nicht einmal eine Ahnung davon, wie sehr der Erhalt wertvoller Biotope auch mit Klimaschutz zu tun hat.
Denn natรผrlich speichern sie allesamt COโ, mindern schlichtweg durch ihre Existenz den Energie- und Ressourcenverbrauch, mindern damit auch โdie Auswirkungen des Klimaยญwandels (u. a. Entsiegelung, Regenยญwassermanagement)โ. Und nichts ist falscher als die Aussage, die Vorlage habe โkeine abschรคtzbare Klimawirkungโ. Doch, genau die hat sie.
Klimaschutz und Artenschutz gehen genau an dem Punkt ineinander รผber. Und sind damit eins. Denn Klimaschutz beginnt nicht erst mit neuen Stadtbรคumen, Hausbegrรผnung und Grรผndรคchern. Er beginnt beim Erhalt der Natur, die sich bis jetzt noch im Leipziger Stadtgebiet behauptet hat. Und mit dem Bewusstsein, dass eine Stadt nicht grรผn wird, wenn man geordnet Bรคume pflanzt, sondern indem man ihre lebendige Vielfalt erhรคlt und stรคrkt.
Oder noch deutlicher formuliert: Wir mรผssen lernen, mit der Natur zu leben. Und zwar nicht irgendwo drauรen vor den Toren der Stadt, sondern auch in ihr. Und zwar mit einem wirklich lebendigen Biotopverbund, der alle groรen und kleinen grรผnen Inseln miteinander vernetzt.
Es geht um mehr als ein โEntgegenwirkenโ
โDie Biotopverbundplanung dient dem dauerhaften Erhalt und der Vernetzung von Lebensrรคumen der zu schรผtzenden Tier- und Pflanzenarten im Stadtgebiet und soll dem weiteren Artenverlust entgegenwirkenโ, heiรt es in der Vorlage.
Was natรผrlich viel zu defensiv formuliert ist. Denn wenn die Erfassung ehrlich passiert, werden auch die Lรผcken sichtbar, die falsche Stadtplanung schon hinterlassen hat und die dringend repariert werden mรผssen. Da werden die Naturschutzverbรคnde ganz bestimmt noch ein Wรถrtchen mitreden.
Beauftragt werden soll mit der Entwicklung des Biotopverbunds ein qualifiziertes Planungsbรผro.
โDie Aufgabenstellung geht davon aus, dass fรผr die Naturschutzgebiete und die NATURA 2000 Gebiete ein guter Wissensstand zur Biotop- und Artenausstattung besteht. Daher ist eine vertiefte Betrachtung dieser Flรคchen nicht vorgesehen. Damit der Biotopverbund auf einer soliden fachlichen Grundlage steht, sollen Erfassungen im Gelรคnde auf ausgewรคhlten Flรคchen erfolgen. Dabei wird der Fokus auf Freiflรคchen im bebauten Bereich sowie Flรคchen mit hohem Entwicklungspotential in Stadtrandlagen liegenโ, heiรt es weiter.
Und als Ziel steht auch die โErarbeitung eines Maรnahmenkatalogs, der fรผr konkrete Flรคchen konkrete Maรnahmen fรผr die Entwicklung eines Zielzustandes benennt.โ
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