Die Corona-Pandemie hat ja auch das Drama einer Mitmenschengruppe wieder stärker in den Fokus gerückt, die man sonst viel zu oft übersieht: die Obdachlosen in der Stadt, die zunehmend auch Probleme hatten, die Gebühr für die Übernachtungshäuser aufzubringen. Es lag also auf der Hand, dass die Linksfraktionen einen Antrag mit dem Titel „Hürden beim Zugang zu Notunterkünften für Wohnungslose senken - Menschenrecht auf Wohnen in den Mittelpunkt stellen“, schrieb, der am 8. Dezember in der Ratsversammlung behandelt wurde.

Eingebracht wurde der Antrag von Linke-Stadträtin Juliane Nagel, die sich auch ein wenig enttäuscht darüber zeigte, dass der Antrag im Sozialausschuss nicht wirklich umfassend besprochen wurde.

Aber andererseits hatte das Sozialamt für das Dezernat Soziales, Gesundheit und Vielfalt auch eine sehr umfassende Stellungnahme geschrieben, die einerseits als Alternativvorschlag die Anregungen der Linksfraktion aufnahm, andererseits aber auch darauf hinwies, dass das Meiste ja doch schon mit Stadtratsbeschlüssen geregelt ist, die in die gleiche Richtung zielten.

Etwa den Erlass von Gebühren, wenn die um Unterbringung Bittenden das Geld nicht aufbringen können. Hierfür gibt es schon eine Härtefallregelung, worauf auch Grünen-Stadträtin Katharina Krefft in ihrer Rede hinwies.

Die Regelung des Sozialamtes

Das Sozialamt formulierte es so: „Für die Benutzung der Notunterkünfte für unfreiwillig wohnungslose Personen werden Gebühren nach der ‚Satzung über die Benutzung und die Gebühren in Unterkünften für Wohnungslose, Asylbewerber und Spätaussiedler sowie andere ausländische Personen in Leipzig’ (‘Benutzungs- und Gebührensatzung‘; VI-DS-05626 vom 20.06.2018) erhoben. Nach dieser Satzung kann im Einzelfall bei Vorliegen einer besonderen Härte von der Gebührenerhebung abgesehen werden.

Eine besondere Härte liegt beispielsweise regelmäßig vor, wenn eine mittellose wohnungslose Person erstmals bis zum nächsten Werktag notuntergebracht werden muss und in dieser Zeit keine Möglichkeit zur Klärung von Sozialleistungsansprüchen besteht. Von dieser Härtefallregelung wird in den Notunterkünften der Stadt Leipzig regelmäßig Gebrauch gemacht und in besonders spezifischen Einzelfällen (z.B. schwere Erkrankung) bis zur Klärung der möglichen Ansprüche verlängert. Dies entspricht der üblichen Praxis in Kommunen. So gibt es beispielsweise auch in Dresden, Chemnitz, Magdeburg und Erfurt entsprechende Regelungen.  

In eine mögliche Gebührenaussetzung sind auch wohnungslose asylberechtigte Personen, die nach der Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aus eigener Initiative ihren Lebensmittelpunkt nach Leipzig verlegt haben, und in den Notunterkünften der Wohnungsnotfallhilfe oder in den Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete ordnungsrechtlich notuntergebracht wurden, eingeschlossen.
 
Die Unterbringung von obdachlosen EU-Bürger/-innen ist im Fachplan Wohnungsnotfallhilfe (VI-DS-06434-NF-02) geregelt. Gemäß der ‚Benutzungs- und Gebührensatzung‘ werden obdachlose EU-Bürger/-innen in den Notunterkünften der Wohnungsnotfallhilfe notuntergebracht und werden unter Berücksichtigung der o.a. Ausführungen ebenfalls von einer möglichen Gebührenaussetzung umfasst.“

Das Problem ist ein anderes

Ein „Systemwechsel bei der Gebührenerhebung“, wie es Juliane Nagel, formulierte, war aus dieser Perspektive also nicht nötig. Eher geht es um die Anwendung der 2018 vom Stadtrat beschlossenen Möglichkeiten.

Und gerade nach der folgenden Rede von SPD-Stadtrat Christopher Zenker wurde dann deutlich, dass im Antrag eigentlich ein viel wichtigeres Problem steckt: die Personalausstattung der Obdachlosenunterkünfte mit Sozialarbeiter/-innen.

Das ist auf den ersten Blick gar nicht ersichtlich, steckte aber im Antragspunkt Nr. 5 der Linksfraktion: „Im Rahmen einer neuen Strategiekonferenz zur Fortschreibung des Fachplans – Wohnungsnotfallhilfe in Leipzig – gemeinsam mit den freien Trägern der Wohnungslosenhilfe sowie Selbstvertretungen wohnungs- und obdachloser Personen, auch Maßnahmen zu diskutieren und zu erarbeiten, wie die in der ‚Erklärung von Lissabon‘ festgehaltenen Ziele zur Beendigung von Obdachlosigkeit umgesetzt werden können – insofern diese nicht bereits umgesetzt werden.“

Sozialarbeiter als Ansprechpartner

Denn zu der Erklärung bekennt sich auch Leipzig. Und da geht es vorrangig darum, wie obdachlos gewordenen Menschen wirklich geholfen werden kann – sowohl bei der Lösung ihrer konkreten sozialen Probleme als auch bei der Suche nach einer eigenen Wohnung. 2021 ist ja in Leipzig auch endlich das „Housing first“-Programm angelaufen. Sozialarbeiter/-innen sind nun einmal die kompetenten Ansprechpartner/-innen, an die sich die Obdachsuchenden wenden können.

Nur sind sie meist in der Nacht, wenn die Unterkünfte geöffnet haben, nicht vor Ort. Es fehle also eindeutig an Personal in dieser Hinsicht, wie Zenker betonte.

Das müsste geklärt werden.

Hoffnung Strategiekonferenz

Und Ort der Klärung könnte die von der Linksfraktion erwähnte Strategiekonferenz sein, deren Stattfinden Katharina Krefft für 2022 unbedingt wünscht. Das Sozialdezernat kündigte zumindest an, dass das auch passieren soll: „Die nächste Strategiekonferenz soll spätestens im zweiten Quartal 2022 stattfinden.“

Da Grüne und SPD schon angekündigt hatten, dass sie dem Linke-Antrag auch in der Neufassung nicht komplett zustimmen könnten – hier ging es vor allem um die beiden ersten Antragspunkte zur Gebührenbefreiung – wurde dann auf Antrag von Katharina Krefft der Verwaltungsstandpunkt abgestimmt. Der wiederum hatte ja Teile des Linke-Antrags schon übernommen.

Und das Ergebnis war dann nicht überraschend: 50 Stadträt/-innen stimmten für den Verwaltungsvorschlag, die 17 Stadträt/-innen der Linken enthielten sich der Stimme.

Jetzt kann man gespannt sein, zu welchen Entscheidungen die Strategiekonferenz im nächsten Jahr kommt und ob es dann im Doppelhaushalt 2023 / 2024 auch Geld für weitere Sozialarbeiter-Stellen gibt.

Die Debatte vom 8. Dezember 2021 im Stadtrat

Video: Livestream Stadt Leipzig

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