Als vor vier Wochen der ukrainische Präsident Selenskyi im Deutschen Bundestag sprach, gab es viel Kritik daran, dass letzterer nach der Rede zur „Tagesordnung“ übergegangen war. Der Leipziger Stadtrat hat es am Mittwoch, dem 13. April 2022, besser gelöst. Nach einer Liveschalte zu Vitali Klitschko, dem Bürgermeister von Leipzigs Partnerstadt Kiew, gab es eine Schweigeminute und eine Unterbrechung – und anschließend eine einstündige Debatte zu einem am Ende beschlossenen neuen Demokratiepreis.

Mit dem Leipziger Robert-Blum-Demokratiepreis möchte die Stadt ab 2024 unterstreichen, dass „hohe Güter unserer Demokratie, wie beispielsweise die Rede- und Versammlungsfreiheit oder freie und geheime Wahlen nicht als hingegebene Selbstverständlichkeiten aufzufassen sind, sondern dauerhaft und wiederholend mit Leben erfüllt werden müssen“, wie es in der entsprechenden Vorlage heißt.

Robert Blum war Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung, die als erstes demokratisch gewähltes Parlament in Deutschland gilt. In Leipzig hielt er mehrere wichtige Reden. Er forderte hier unter anderem die sächsische Regierung zum Rücktritt auf und sprach sich gegen den Marsch einer wütenden Menge nach Dresden aus, weil er Gewalt befürchtete. Er selbst kämpfte wenige Monate später an der Seite der Revolutionäre und wurde kurz darauf hingerichtet.

Jene Hinrichtung fand am 9. November 1848 statt – einem Schicksalstag der deutschen Geschichte. Auf den 9. November fallen unter anderem auch die Reichspogromnacht und die Wiedervereinigung. In der Ratsdebatte zogen daher viele Redner/-innen eine Linie von 1848 über 1989 bis hin zu den aktuellen Angriffen auf die Demokratie in der Ukraine.

Neben der Würdigung von Blum wurde auch über einige Änderungsanträge diskutiert. So forderte die AfD, in das geplante Kuratorium auch Vertreter/-innen der Fraktionen zu entsenden und auf eine Frauenquote von 67 Prozent für „drei weitere natürliche Persönlichkeiten“ zu verzichten. Letzteres sei „Ausdruck einer radikalfeministischen Ideologie“, erklärte AfD-Stadtrat Marius Beyer. Die anderen Fraktionen stimmten jedoch geschlossen gegen diesen Änderungsantrag.

Die CDU-Fraktion wollte den Preis bereits 2022 verleihen – an die „putinkritische russische Zivilgesellschaft“. Während sich die SPD dafür offen zeigte, lehnte Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke (Linke) das Vorhaben als „Vorgriff“ auf die Entscheidungen der Jury ab. Da die Verwaltung aber in Aussicht gestellt hatte, das Thema beim jährlichen Gedenken am 9. Oktober aufzugreifen, zog die CDU den Antrag zurück.

Mit Ausnahme der AfD stimmten die anwesenden Stadträt/-innen für den Leipziger Robert-Blum-Demokratiepreis ab 2024.

Zuvor hatte Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko in einer Liveschalte zur Ratsversammlung und den Leipziger Bürger/-innen gesprochen. Er bedankte sich für die humanitäre Hilfe und die politische Unterstützung, die unter anderem Leipzig leiste. „In diesen schwierigen Zeiten sehen wir, wer unsere wirklichen Freunde sind.“

Klitschko schilderte das Ausmaß der Zerstörungen in der Ukraine. Allein in Kiew seien mehr als 100 Gebäude zerstört und mehr als 100 Zivilist/-innen getötet worden, darunter mehrere Kinder. In anderen Städten sei die Infrastruktur komplett zusammengebrochen. Wie viele Menschen bislang insgesamt gestorben sind, ließe sich nicht feststellen.

Um Putin aufzuhalten, gebe es zwei Wege: Sanktionen und Waffengewalt. Dabei ergänzte Klitschko: „Wir als Ukraine haben keinen anderen Weg, als zu kämpfen.“ Er ging vor allem auf die medial betriebene Propaganda der russischen Führung ein, die noch wichtiger sei als Panzer und Waffen. Dass die Mehrheit von 70 Prozent so Klitschko der russischen Bevölkerung dem Krieg zustimme, sei das Werk von Propagandamedien.

Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) sagte im Anschluss: „Wir versichern Dir, dass wir mit der Ukraine und insbesondere mit unserer Partnerstadt Kiew solidarisch sind. Wir wissen genau, wer der Aggressor ist. Putin ist ein Mörder.“ Im Rahmen der Möglichkeiten wolle man weiterhin Unterstützung leisten. Dazu zähle auch die Unterbringung von mittlerweile 8.000 geflohenen Ukrainer/-innen in Leipzig.

Später, nach einer kurzen Pause und in Abwesenheit von Klitschko, ergänzte Jung: „Wir hatten in den vergangenen Wochen schon mehrere Videokonferenzen mit Vitali. So ernst, so müde und so knapp an der Hoffnungslosigkeit habe ich ihn noch nicht erlebt.“

Die Ansprache von Vitali Klitschko und Reaktionen von OB Jung am 13.04.2022

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