Leipzig ist eine wachsende Stadt. Diese Feststellung ist so richtig, wie sie banal ist. In der wachsenden Stadt werden Freiräume Mangelware. Unter dem Leitbild der doppelten Innenverdichtung werden Baulücken geschlossen und eine Blockrandbebauung hergestellt. Auch weil eine geschlossene Bauweise energetisch sinnvoller ist, als einzelnstehende Bauten und das Ausgreifen der Stadt in die Fläche Folgeprobleme, wie längere Wege, zusätzliche Bodenversiegelung und weiteres bringt. Die Folge davon ist der Verlust an Grün in der Stadt.

Der Naturschutzbund Leipzig (NaBu) spricht deswegen bereits von der schrumpfenden Stadt, da jedes Jahr Grünflächen verschwinden und nach Schätzungen des NaBu pro Jahr ein negatives Saldo von bis zu 10.000 Bäumen steht. Auch das Amt für Stadtgrün und Gewässer räumte auf Anfrage der Stadtratsfraktion der Grünen einen Verlust ein, allerdings nur bezogen auf Straßenbäume und Parkbäume.

Die Anzahl an Straßenbäumen wächst zwar langsam, erreicht aber kein Plus an 1.000 pro Jahr, wie es eigentlich im Straßenbaumkonzept festgehalten wurde. Und auch der Beschluss zum „Sofortmaßnahmeprogramm Klimaschutz“ mit weiteren zusätzlichen 5.000 Bäumen wird nicht erreicht. Hinzu kommt: Bei den Parkbäumen verliert die Stadt pro Jahr mehr als 1.000.  Wesentlich dafür ist auch das Wetter der letzten Jahre und damit Extremwetterereignisse, deren Wahrscheinlichkeit aufgrund des Klimawandels zunimmt.

Der Verlust von Naturräumen wird für heimische Arten zunehmend zu einem Problem, ohne dass die Masse der Gesellschaft davon Notiz nimmt.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Fridays for Future hat es geschafft, das Thema Klimaschutz zentral im Bewusstsein zu verankern. Am Klimaschutz kommt niemand vorbei. Reiner Natur- und Umweltschutz genießt demgegenüber weit weniger Aufmerksamkeit.

Der dramatische Verlust an Biomasse bei Insekten in den letzten Jahren, der Verlust von Vögeln geht weitgehend unbemerkt an der breiten Öffentlichkeit vorbei.

Konkrete Entscheidungen gegen Stadtbäume und Grün

Stadtrat Jürgen Kasek (Grüne). Foto: LZ
Stadtrat Jürgen Kasek (Grüne). Foto: LZ

Dies wird auch an Entscheidungen des Stadtrates und von Stadtplanern deutlich. Bis heute werden Baugebiete zunächst plan gemacht, dass heißt umfassend beräumt. Dann wird gebaut und erst am Ende neue Pflanzungen eingesetzt. Dass diese neuen Pflanzungen kaum die Funktion von bestehenden Flächen erreichen können, wird außer Acht gelassen.

Die Investoren denken dabei nicht nachhaltig. Es geht um möglichst kostensparendes Bauen und hohe Renditeerwartungen. Der zum Teil kostspielige Erhalt der bestehenden Natur wird dort nur nachrangig betrachtet, wenn überhaupt. Die Bedeutung eines bestehenden Baumes für die Natur ist nicht vorhanden. Anders ist nicht zu erklären, dass selbst die Stadtverwaltung mit negativem Beispiel vorangeht und sich Sonderfällgenehmigungen für Baumschnitt- und Fällarbeiten in der Brutsaison und damit entgegen der Regelungen des Naturschutzgesetzes ausstellt. 

Ebenso musste der Umweltbürgermeister bei der März-Ratsversammlung einräumen, dass im Stadtgebiet faktisch keine Ausgleichsflächen oder Flächen für Waldmehrung vorhanden sind. Die Stadt verliert Grünräume und zwar ersatzlos. Dies wiederum wirkt sich nicht nur auf die Arten aus sondern auch auf das Mikroklima innerhalb der Stadt. Grünflächen und auch kleinere Waldgebiete oder Haine sind Kaltluftentstehungsgebiete.

Wie inzwischen bekannt sein dürfte, verändert sich unser Klima aufgrund der Klimakatastrophe deutlich. Mehr Hitzetage, weniger Niederschlag bei einer Gesamterhöhung der Temperatur, was sich wiederum auf die Vegetation auswirkt, werden einige der Folgen sein.

Wenn man dies weiß, muss man aber zwingend alles versuchen, um Grünflächen und Bäume zu erhalten. Bäume, die Schatten spenden, als Lebensraum dienen und insgesamt einen effektiven Beitrag zur Kühlung der Betonwüste Stadt leisten.

Auch sollte man in die Erwägung mit einbeziehen, dass Jungbäume aufgrund des fehlenden Niederschlagswasser Schwierigkeiten haben anzuwachsen. Das Angießen von Bäumen ist zwar nett gedacht und bisweilen hilfreich, führt aber dazu, dass ein Baum ggf. weniger Tiefwurzeln ausbildet, die er bräuchte um an tieferliegende Bodenschichten, die Wasser führen, heranzukommen.

Dass dieses Wissen überhaupt eine Rolle spielt, ist derzeit nicht feststellbar.

Tradition und Sport vor Natur

Die Lage der Natur scheint auch im Stadtrat nachrangig zu sein. Im letzten Stadtrat hätten die Rät/-innen die Weichen stellen können, dass etwa an der Hans-Driesch Straße im Landschaftsschutzgebiet Leipziger Auwald die Entscheidung getroffen wird, den dort ansässigen Schießkeller zu verlagern. Die Mehrheit wollte es nicht.

Die Mehrheit des Stadtrates interessiert sich für diese Fragestellungen nicht. Sport hat demgegenüber eine deutlich bessere Lobby. Anders ist es auch nicht zu erklären, dass man selbst am Motodrom mitten im Auwald festhalten will, statt wenigstens den Versuch zu unternehmen, einen anderen Standort zu finden und dafür zu sorgen, dass diese Flächen wieder in den Wald integriert werden.

Tradition seit 1975 scheint eben einigen Vertretern wichtiger zu sein als der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen. Wenn es aber schon im Stadtrat Leipzigs keine Mehrheit gibt, Flächen im Wald an den Wald zurückzugeben und damit wenigstens den Auwald zu stärken, wo dann?

Man will es halt einfach auch nicht verstehen. Der Auwald, dem es nicht gut geht, täuscht über den massiven Verlust von Grünflächen, von Biotopen und Arten in der Stadt hinweg, ohne dass die gewählten Vertreter davon Notiz nehmen.

Das Händeschütteln mit erfolgreichen Sportler/-innen verspricht allemal mehr Aufmerksamkeit als der Einsatz für Käfer, Vögel, Bäume und das Klima. Politik orientiert sich stärker an Wahlerwartungen und weniger an langfristigen Lösungen. Der Einsatz für einen Sportverein verspricht halt mehr potentielle Wähler/-innen als der Einsatz für Insekten. Man darf Zweifel haben, dass diese Art des Politikverständnisses, wie es derzeit im Stadtrat gelebt wird, einen Beitrag zur Problemlösung liefern kann.

Die Zeche dafür werden absehbar die kommenden Generationen mit bitterer Münze bezahlen. Ein Umdenken, um auch dieses Problem anzugehen, ist derzeit nicht feststellbar.

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Es gibt 4 Kommentare

Wenn es immer mehr Zuzug gibt, muss immer mehr gebaut werden, denn Menschen wollen (günstig!) wohnen.
Wo kann neu gebaut werden? Auf freien Plätzen, worauf sich die letzten Jahre sicherlich Natur angesiedelt hat.
Diese Feststellungen sind so richtig, wie sie banal sind.

Mir fehlen die korrekten Schlussfolgerungen.
Wenn keine weiteren Flächen versiegelt werden sollen, “Naturecken” erhalten bleiben sollen, dann bleit für zusätzlichen Wohnraum nur noch, vorhandene Gebäude zu sanieren und es muss nachverdichtet werden (Dachbodenausbau, neues Geschoss, Mehrfamilienhäuser, statt Einfamilienhäuser).
Mehr Menschen heißt aber auch mehr Nutzungsdruck in den Parks, Grünanlagen und Wäldern.
Also muss schlussendlich der Zuzug nach Leipzig gestoppt werden. Unangenehme Wahrheit, weil es ja immer “mehr Wachstum” heißt.

Nebenbei: Selbst einsehen, dass die Erhaltung von Grün beim Neu-Bauen mehr Geld kosten würde, aber gleichzeitig preiswertes Wohnen fordern, passt auch nicht wirklich zusammen. Das Firmen Gewinn machen wollen (eher: müssen) und es dabei kein “Zuviel” gibt, sollte jedem klar sein. Leider wurde versäumt, die LWB für diese Aufgaben fit zu machen. Da herrscht Mangelverwaltung.

Ist dieser Gastbeitrag jetzt so zu verstehen, dass Herr Kasek endlich begriffen hat, dass seine Fraktion der Grünen und er als umweltpolitischer Sprecher völlig versagt haben? Oder will er den Leser/-innen einfach ein bißchen Sand in die Augen streuen unter dem Motto “Wir sind die Guten”, was wir wirklich anstreben versteht sowieso niemand (Stichwort Die Grünen als neoliberale Partei der Besserverdienenden mit grünem Mäntelchen). So stimmt die Fraktion der Grünen (fast) immer allen Planungen zu, die mit massiver Naturzerstörung verbunden sind. So z.B. die Komplettfällungen aller Bäume auf dem Leuschnerplatz, eine Planung, die die Grünen auch noch als ökologisches Leuchtturmprojekt bejubeln. Offensichtlich sind die Grünen auch bestrebt, 8 ha Wald auf der ehemaligen Deponie Seehausen roden zu lassen, um Photovoltaik zu installieren (nichts gegen PV, aber die gehören in die riesigen Industriegebiete usw., nicht in Hotspots der Biodiversität…). Danach kommt dann ein Antrag, den man nur als Heuchelei bezeichnen kann, zur Waldmehrung… Und soweit ich weiß spricht sich Herr Kasek als sog. Freund des Stadtwaldes auch stets für alle Maßnahmen aus, die das städtische Forstamt so vorschlägt, auch wenn das Waldökosystem dadurch stark in Mitleidenschaft gezogen wird. Es ist ja auch mehr als bekannt, dass Herrn Kasek andere Dinge viel mehr interessieren als Natur und Umwelt… Aber wenn er jetzt hier sogar richtige Dinge ausspricht, sollte er dann nicht die Konsequenz ziehen, als umweltpolitischer Sprecher zurück zu treten, weil das eigene Versagen überdeutlich ist? Nur so als Gedanke….

Danke Jürgen für diesen tollen Beitrag, der es genau auf den Punkt bringt. Nur in einem stimme ich dir nicht zu: …” das Angießen von Bäumen ist zwar nett gedacht und bisweilen hilfreich, führt aber dazu, dass ein Baum ggf. weniger Tiefwurzeln ausbildet…”. Stimmt so nicht, denn das Gießen von Jungbäumen ist bitter nötig. Weil, wenn sie an Wassermangel eingehen haben sie ebenfalls keine Gelegenheit, Tiefwurzeln auszubilden 😉 Aber es stimmt schon, dass es ein Wahnsinn ist, an einer Stelle gesunde Altbäume zu fällen und an anderer Stelle Jungbäume zu pflanzen, die man päppeln muss damit sie nicht sofort wieder eingehen.

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