Die Migrations- und Asylpolitik des Bundes ist Thema eines Gipfeltreffens mit den Ländern, zu dem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) für den Mittwoch in Berlin geladen hat. Im Vorfeld scheinen die Fronten festgefahren, wie auf die steigende Zahl an Einreisen und Asylanträgen zu reagieren ist. Auch Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) forderte zuletzt vom Bund Maßnahmen zur Begrenzung der Migration. Wir geben ein paar wichtige Fragen und Antworten.

Was ist der Hintergrund des Gipfels?

Es ist ein Termin, der nach Ansicht vieler Kritiker deutlich zu spät kommt: Bundeskanzler Olaf Scholz sowie die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten der Länder beraten sich morgen im Kanzleramt über den weiteren Umgang mit den stark gestiegenen Zuwanderungszahlen. Besonders aus Ländern wie Syrien, dem Iran, dem Irak und Afghanistan suchen immer mehr Menschen Zuflucht in Deutschland.

Doch viele Kommunen melden eine Aus- oder gar Überlastung ihrer Kapazitäten, der freie Wohnungsmarkt ist oft ohnehin angespannt und die Erstaufnahmeeinrichtungen sind voll. Viele Städte müssen mittlerweile auf schnell aktivierbare Wohncontainer zurückgreifen, um die Menschen überhaupt noch unterzubringen.

Erste Beratungen mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte es bereits Mitte Februar gegeben – das Resultat hatte jedoch bei kommunalen Vertretern für Zorn und Ernüchterung gesorgt. Trotz der prekären Unterbringungssituation und dem Personalmangel im integrationsrelevanten Bereich von Schulen, Kitas, Sprachkursen und so weiter, auf den die Gemeinden eindringlich hinwiesen, wurde lediglich die Bildung von vier Arbeitsgruppen festgelegt, die sich die Probleme anschauen sollten. Zusagen für mehr Geld an die Kommunen blieben dagegen aus.

Wo liegen voraussichtlich die morgigen Streitpunkte beim Gipfel?

Das Thema Geld ist der erste Punkt, bei dem sich schon im Vorfeld Konflikte abzeichnen. Zuletzt hatten die Kommunen und die Länder ihre Forderung nach mehr Geld für Geflüchtete seitens des Bundes bekräftigt, sich damit aber eine harsche Abfuhr aus Berlin geholt: Man reiche bereits Mittel über die Verpflichtungen heraus aus, argumentiert der Bund, während sich Länder und Gemeinden alleingelassen fühlen.

So veranschlagte Uwe Brandl, Präsident des bayerischen Städte- und Gemeindebunds, rund fünf Milliarden Euro an Kosten, die aus Berlin zugesagten 2,75 Milliarden Euro reichten nicht annähernd zur Deckung des Finanzbedarfs. Der Bund dagegen verweist darauf, neben den Geldern auch weitere Posten zu übernehmen, zum Beispiel die Sozialleistungen für ukrainische Geflüchtete.

Zudem könne der Bund den Kommunen nur bedingt helfen, weil es rechtlich keine direkten Finanzbeziehungen zwischen Bundes- und Kommunalebene gäbe, dämpfte Regierungssprecher Steffen Hebestreit schon im Vorfeld die Erwartungen. Die Schlacht mit verschiedenen Zahlen und Rechenmodellen ist bisher nicht ausgestanden. Die Länder haben inzwischen für morgen einen einheitlichen Forderungskatalog der Kostenübernahme vorbereitet.

Zweitens ist viel Reibungspotenzial bei der Frage zu erwarten, wie ein weiterer Zuzug in die Bundesrepublik eingedämmt werden kann. Auch hier gab es immer wieder Hilferufe der Kommunen, Maßnahmen zur Begrenzung der Einreisen zu ergreifen. Dies allerdings ist allein Bundeskompetenz und keine Aufgabe der Kommunen, die gleichwohl „an der Basis“ dafür Sorge tragen, angekommene Menschen zu versorgen und einzuquartieren. Die Kommunen selbst sind morgen in Berlin nicht direkt vertreten, sondern nur mittelbar durch die Länder.

Wie sieht die Position Sachsens aus und wie stellen sich die aktuellen Zuwanderungszahlen dar?

Sachsens Innenminister Armin Schuster brachte am Montag eine „flexible Begrenzung“ der Migration nach Deutschland ins Spiel, die sich an der Weltlage orientieren sollte. „Das ziellose Aufnehmen, wie es derzeit passiert, ist nicht durchzuhalten“, so der CDU-Politiker, der auch für stationäre Grenzkontrollen plädiert, im MDR. Bereits in den ersten Monaten des Jahres 2023 habe es etwa 4.000 neue Asylanträge in Sachsen gegeben, ca. 1.500 mehr als im Vorjahreszeitraum.

Mit der Hardliner-Position dürfte Schuster auf einer Linie mit Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) liegen, der sich im März ebenfalls für eine Abschottung ausgesprochen hatte. Doch aus den Reihen der Koalition in Dresden kommt Widerspruch.

Insgesamt nahm der Freistaat 2022 rund 80.000 Menschen auf und damit etwa 10.000 mehr als 2015, dem Jahr der großen Fluchtbewegungen Richtung Europa und Bundesrepublik. 2022 kamen dabei etwa drei Viertel der Schutzsuchenden in Sachsen aus der von Russland angegriffenen Ukraine. Mittlerweile treffen wieder verstärkt Menschen aus anderen Krisen- und Kriegsgebieten der Welt in Sachsen ein. Regelmäßig sind Berichte zu lesen, dass die Polizei im Grenzgebiet des Freistaats eingeschleuste Personen aufgreift, die dann nach Äußerung eines Schutzersuchens meist direkt an Erstaufnahmestellen weitergeleitet werden.

Notunterkunft für Geflüchtete.
Notunterkunft für Geflüchtete in Leipzig-Stötteritz, März 2023. Foto: Sabine Eicker

Für Schuster geht es nicht allein um Geld und Logistik, sondern auch um die gesellschaftliche Akzeptanz der Aufnahme, die geringer als zu Zeiten der verbreiteten Willkommenskultur 2015 sei. Andere Politiker und Flüchtlingsorganisationen widersprechen: Deutschland sei verpflichtet, jeden Asylantrag zu prüfen, bei vielen Ländern gäbe es eine hohe Schutzquote. Obergrenzen-Diskussionen würden nicht weiterhelfen.

Welche Ergebnisse sind morgen zu erwarten?

Eine Antwort darauf wäre natürlich der berühmte Blick in die Glaskugel. Fest steht allerdings, dass die Fronten zwischen Bund und Ländern beim Finanzierungskrach bisher verhärtet sind und sich kein Einlenken aus Berlin abzeichnet. Auch innerhalb der Regierungskoalition könnte es Dissens geben: So schlug sich die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang zuletzt auf die Seite der Kommunen und unterstützte deren Forderung nach mehr Geld.

Vorab sind die Erwartungen an den Gipfel hoch, er dürfe nicht scheitern, mahnen Fachleute. Doch die Verhandlungen stehen unter keinem guten Zeichen.

Sofern auch die Frage der Entlastung der Kommunen durch Zuzugs-Begrenzung nach Deutschland morgen diskutiert wird, dürfte der Bund dagegen laufende Verhandlungen auf EU-Ebene ins Feld führen. Bundesinnenministerin Faeser hatte angekündigt, im Verbund mit anderen EU-Staaten teils beschleunigte Asylverfahren bereits an den Außengrenzen zu vollziehen und abgelehnte Bewerber sofort zurückzuweisen.

Gab es diese Idee nicht bereits?

Ja, neu sind diese Konzepte nicht: Mit einer ähnlichen Idee war Faesers Vorgänger, CSU-Hardliner Horst Seehofer, bereits im Sommer 2018 gescheitert und hätte damals fast den Bruch der Großen Koalition unter Angela Merkel verantwortet. Der Politrentner hat sich über die Pläne seiner Nachfolgerin übrigens lobend geäußert.

Es könnte sich also eine grundlegende Revision der merkelschen Asylpolitik abzeichnen, die darauf zielt, die Einwanderung zu bremsen. Ob es dazu kommt, ist ungewiss: Unter anderem die Kooperation von Herkunftsländern bei der Rücknahme abgelehnter Asylbewerber gilt bisher als eher mau. Doch ohne deren Unterstützung funktioniert das ganze Konzept nicht, sagen Migrationsexperten. Auch ist keineswegs klar, ob die EU-Staaten an der Peripherie mitziehen werden, wenn es um die Errichtung von Aufnahmezentren für Flüchtlinge geht.

Politische Unterstützung für den verschärften Kurs kommt von der FDP; CDU und CSU geht der Ansatz nicht weit genug, während Linke und Grüne ihn ebenso wie Hilfsorganisationen vielfach ablehnen: Grenzverfahren, schnellere Abschiebungen und Konzepte sicherer Drittstaaten unterminierten den Schutzbedarf von Menschen, so die Kritik.

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