Vielleicht findet sich ja doch eine Fraktion, die den Mumm hat, einen Änderungsantrag einzureichen zur "Charta Leipziger Neuseenland 2030", die am 20. Mai im Leipziger Stadtrat beschlossen werden soll. Gleiches sollen ja auch die Kreistage in Nordsachsen und dem Landkreis Leipzig tun. Der Leipziger Ökolöwe hat am Dienstag, 28. April, schon mal erklärt, warum er die "Charta" für ein Feigenblatt hält.

Endgültig und öffentlichkeitswirksam unterschrieben werden soll die „Charta Leipziger Neuseenland 2030“ am 26. Mai auf der MS “Markkleeberg” auf dem Markkleeberger See. Das geht aber nur, wenn alle drei politischen Gremien auch zustimmen und vor allem dem Papier auch so zustimmen, wie es jetzt vorliegt. Das Papier beschreibt, wie sich die Stadt Leipzig und die Landkreise Leipzig und Nordsachsen die Entwicklung des Neuseenlandes vorstellen. Sie arbeiten in der Steuerungsgruppe Leipziger Neuseenland zusammen und haben nun in einem dreijährigen Beteiligungsprozess versucht, mit der “Charta” eine Art Selbstverpflichtung für die Zukunft zu definieren.

Doch der Ökolöwe zeigt sich – nachdem schon der NuKla e.V. mit dem Kopf geschüttelt hat – unzufrieden mit dem Papier. Ein zukunftsfähiges Konzept für die nachhaltige Entwicklung einer Seenregion sehe ganz anders aus, zieht der Verein sein Resümee.

„Selbstverständlich müssen ein sanfter Tourismus und eine vielfältige Freizeitnutzung der Seen möglich sein. Ein zukunftsweisendes Konzept legt deshalb von vornherein ganz klar fest, welche Seen für welche Freizeitnutzung entwickelt und welche der Natur vorbehalten werden sollen. Darauf hat der Ökolöwe in den vergangenen Jahren immer wieder hingewiesen“, sagt dazu Anja Werner vom Ökolöwen.

Stattdessen liege mit der Charta jetzt ein schwammiges Thesenpapier vor, das sich nicht zu den Zielen der übergeordneten Raumordnung und Naturschutzgesetze bekenne.

Auch der NuKla e.V. hatte kritisiert, dass zum Beispiel der Bezug zum FFH-Managementplan “Leipziger Auenwald” fehlt.

Für den Ökolöwen ist die “Charta” nur als Mittel der Öffentlichkeitsarbeit konzipiert und solle als Feigenblatt für eine massentouristische Erschließung des Leipziger Neuseenlandes herhalten – alles bleibe möglich und werde jetzt mit der Charta grün verpackt. Die Charta sei zwar rechtlich nicht verbindlich. Man werde sich dennoch bei jedem geplanten Großprojekt künftig darauf berufen, vermutet der Umweltverein. Als Legitimation werde ein Beteiligungsprozess vorgeschoben.

Dieser endete am 13. April mit der Vorstellung von Ergebnissen einer Bürgerumfrage in der Volkshochschule Leipzig. Eine Umfrage, die sehr deutlich zeigte, dass die Bewohner des Neuseenlandes recht konkrete Vorstellungen von dem haben, was sie in der entstehenden Gewässerlandschaft nicht wollen – und das sind vor allem Massentourismus,  Motorboote mit Verbrennungsmotor und eine Privatisierung und Verbauung der Ufer.

Und auch aus Sicht des Ökolöwen habe die Umfrage klar ergeben, dass sich die Leipziger vor allen Dingen Naherholung wünschen und Motorboote auf und Bauprojekte an den Seen deutlich ablehnen. Sie ziehen eine naturnahe Entwicklung einer auf den Tourismus ausgerichteten Entwicklung vor.

Die Autoren der Charta freilich interpretieren die Ergebnisse der Bürgerumfrage auf ihre spezielle, eigene Weise. So findet der Ökolöwe besonders bedenklich, das so ein Satz noch immer drin steht: “Das Leipziger Neuseenland entwickelt sich zu einer neuen touristischen Destination von internationaler Bedeutung”. Zu finden unter der These “Das wirtschaftliche Leipziger Neuseenland”.

„Das ist so ziemlich das Gegenteil von dem, was die Bürger vorgebracht haben. Und an welchen Seen und in welchem Umfang die ersehnten Touristenströme bald Platz finden sollen, wird verschwiegen“, kritisiert Anja Werner.

Und die Sichtweise wird auch durch das bestärkt, was nicht in der Charta steht, was im Klärungsprozess offen geblieben ist und als offene Frage in einen Bürgerkatalog aufgenommen werden soll.

Dazu gehört die bis heute ungeklärte Frage der Schiffbarkeit (zu der sich einige Kommunen im Neuseenland bis heute nicht öffentlich positioniert haben), die bestehenden Konflikte zwischen Leistungs- und Freizeitsport und das Thema Bauen am Wasser, das die Bürger in der Bürgerumfrage mit großer Mehrheit abgelehnt haben, das aber augenscheinlich für ein paar Interessenten trotzdem nicht vom Tisch ist. So wird der ganze Bürgerbeteiligungsprozess zu einer sehr merkwürdigen Sache, bei dem just das ausgespart wird am Ende, was den Bürgern die größten Bauchschmerzen macht.

Seit Dienstag beschäftigen sich die Fachausschüsse des Leipziger Stadtrats mit der “Charta”. Wenn sie es ernsthaft tun, dürfte das Papier am 20. Mai eigentlich nicht ohne Änderungen zum Beschluss kommen.

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Es gibt 5 Kommentare

Hi Sebastian, ich halte eine Durchfahrt aus der Stadt in die südlichen Seen mit “schnittigen Yachten” ebenfalls für eine unsinnige Forderung. Wer stellt diese denn auf?
Zu öffentlich nutzbaren Objekten an den Seen (dazu gehören gern auch Zeltplätze) hatte ich bereits geschrieben. Unbedingt machen. Gerade Themen wie (kostenlosen Zugang zu) Wasser/Abwass/Müllentsorgung sind essentiell (leider) um eine einigermaßen unverschmutzte Natur sicherzustellen.

Hallo Dirk, ich denke es muss unterschieden werden, zwischen einer Nutzung der Seen und des gesamten Gewässerverbundes inklusive der durch den Auwald fließenden Gewässer. Und ich denke niemand hat etwas gegen einen meiner Erfahrung nach leisen Hilfsmotor an einem Segelboot.

Doch wenn man Teile des Wassertouristischen Nutzungskonzeptes liest, bekommt man den Eindruck Verantwortliche träumten von schnittigen Sportbooten, die zwischen der Marina am Lindenauer Hafen durch den gesamten Auwald in die südlichen Seen fahren werden. Die Außenborder von Sportmotorbooten empfinde ich schon als lästig und auch die Belastung im Auwald stiege an. Ganz zu schweigen vom Aufwirbeln des Grundes in den Flachgewässern.
Dagegen hätte ich massiv etwas, da ich einen intakten Auwald als Gemeingut höherwertig empfinde, als das Recht einiger weniger, diesen mit Sportbooten zu durchfahren. Und ich schreibe dies nicht als Redakteur, sondern als Privatmensch.

Wie wenig ein Paddeltourismus bisher im Fokus steht, ist, dass ich von Seiten der Entscheider nie etwas von Zeltplätzen an den Seen gehört habe, die eine mehrtägige Paddeltour erst attraktiv machen können. Diese müssen nicht riesig sein, ein Vorbild wäre für kann man am Tankumsee in Niedersachsen sehen. Eine einfache Wiese nicht ganz so groß wie ein Fußballfeld, 40 Quadratmeter Sanitärhaus und gut ist. Es reicht auf jeden Fall als Anlaufstelle für Übernachtungen (dort allerdings mehr für Radfahrer mangels Gewässerverbund). Überlegungen in diese Richtung fände ich sympathischer als einen Sportboothafen in Lindenau.

@JG: Nein die Mehrheit liest L-IZ ja nicht. Wie bei jeder Umfrage kann eine Frage ethisch moralisch so gestellt werden, dass die Antwort eindeutig ausfällt.
Beispiel: “Sind sie gegen Lärmbelästigung aufgrund Motorbootverkehr auf Seen”. Oder ich frage: “Könnten sie Sich vorstellen im Neuseenland zu segeln” Die Frage des toleranten Umganges miteinander, die Frage wie möglichst viele Nutzungsarten koexistieren können – die gilt es zu beantworten. Den inneren Wunsch in Einklang mit der Natur zu leben kann ich nachvollziehen – die Balance zu den Bedürfnissen der Stadtbewohner muss ich dennoch zu halten versuchen. Und in einer städtischen Umgebung ist eine diversifizierte und naturbelassene Landschaft schlichtweg eine komische Idee. Dafür gibt es rural areas, Naturschutzreservate, wenig bevölkerte Gegenden….
Aber mal zurück zu Ihnen. Sie sind auf einen kleinen Teilaspekt meiner Argumente eingegangen. Dem Rest stimmen sie demnach zu?
P.S.: Zu “Bauprojekten an Seen” hatte ich bereits etwas geschrieben. Ich liebe am Schladitzer See die Bühne des Biedermeierstrandes und das Restaurant an der SchlaBu. Den Beachvolleyballplatz und den Surf/Segel/Kiteshop. Also gegen “Gebäude am See” ist sicher nur eine Minderheit. Gegen Verkauf von Ufergrundstücken zu Wohnzwecken ist sicher eine Mehrheit – auch hier kommt es auf die Fragestellung an. Und der Ökolöwe ist schlichtweg zu subjektiv um objektiv zu fragen – oder die Antwort zu interpretieren.

” Ich frage mich eher ob in diesen Umfragen den befragten Vor- und Nachteile transparent dargestellt werden.”

Hallo Dirk, na dann, Ihre Chance.
Legen Sie mal los und stellen Sie transparent dar.

Bitte so, dass die überwiegende Mehrheit der Leipziger, die weder wie Sie ein Boot besitzen noch über Wassererfahrungen wie Sie verfügt.

Legen Sie es der Mehrheit, also der “Nichtinteressierten” transparent dar – bitte.

Hallo Herr Julke,
wenn der klar überwiegende Anteil der Bevölkerung eine naturnahe Nutzung der Seen wünscht, kann er diese doch betreiben. Verbote wirken in der Regel nur bei drakonischen Strafen (also unangemessene Bestrafung) oder bei allgemeinem Verständnis für das Verbot (Tempo 30 wegen Schule). Ich halte es eher für wichtig eine Überfüllung der Seen zu verhindern (Anzahl Liegeplätze, Nutzungsgebühr, Plakette etc.). Einzelne Motorboote würden weder Tierwelt noch Menschen an den Seen stören. Ich sage dies als Fahrtensegler der >10 Jahre in Brandenburg und Mecklenburg segeln war (mit motorisiertem Segelboot). Ich frage mich eher ob in diesen Umfragen den befragten Vor- und Nachteile transparent dargestellt werden. So ein Biergarten direkt am Ufer wäre zwar privat/verpachtet, dennoch eine prima Sache (für mich). Und Segelboote auf den Seen brauchen einen kleinen Aussenboarder für die Windstille und eine ansprechende Reichweite. Den Bezug auf “internationale Attraktion” würde ich dagegen eher abstrakt auffassen. Das ist schlichtweg Marketingsprache die vor allen Dingen zur Investitionsargumentation genutzt wird. Und natürlich sind Seen per se ein eindeutiges Attraktivitätsmerkmal einer Großstadt.

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