Die Tagebaubesetzungen 2019 in der Lausitz und im Leipziger Südraum verliefen weitgehend friedlich. Dennoch betrachten die beiden Kohlekonzerne LEAG und MIBRAG die Besetzungen augenscheinlich als Hausfriedensbruch und jene Demonstrationsteilnehmer, deren Namen von der Polizei erfasst wurden, bekommen jetzt Vorladungen mit dem Vorwurf des Hausfriedensbruchs. Darunter ist dann auch ein Leipziger Journalist, den die Polizei sowieso schon auf dem Kieker hat.

Sie verbreitete seinen Namen im Zusammenhang mit einer Twitter-Meldung noch in der Connewitzer Silvesternacht am frühen 1. Januar. Einer Silvesternacht, zu der noch einiges geschrieben werden muss. Denn dass der dortige Polizeieinsatz derart aus dem Ruder gelaufen ist, hat auch damit zu tun, dass Leipzigs Polizei unter dem neuen Polizeipräsidenten ganz und gar nicht mehr vorurteilsfrei und deeskalierend agiert.

Und dass sie für diese Instrumentalisierung ihres Einsatzes gerade in Connewitz auch noch Rückendeckung von Innenminister Roland Wöller (CDU) bekommt, gibt diesen Vorgängen auch noch eine politische Note.

Dass nun dieser Journalist, der sich nach eigener Aussage bei der Besetzung des Tagebaus Vereinigtes Schleenhain deutlich als Pressevertreter ausgewiesen hat, eine Vorladung erhält, gehört in diesen Kontext. Ob es noch weitere Pressevertreter betrifft, ist bis dato nicht bekannt. Der betreffende Journalist, der vor allem für eher linke Medien berichtet, hat seine Vorladung selbst öffentlich gemacht.

Er hat am Samstag, 30. November, aus Pödelwitz (Landkreis Leipzig) über die Demonstration „Ende Gelände“ berichtet und ist in Leipzig jetzt wegen des Vorwurfs des Hausfriedensbruchs von der Polizei vorgeladen worden.

„Es darf nicht das Signal ausgesendet werden, dass Journalistinnen und Journalisten in rechtlich unklaren Situationen auf eine unmittelbare Berichterstattung verzichten sollten. Dies ginge zulasten des besonderen öffentlichen Interesses an unabhängigen Informationen“, kommentiert die sächsische Landtagsabgeordnete Lucie Hammecke (Bündnis 90/Die Grünen), den Vorgang.

Sie selbst war am 30. November als parlamentarische Beobachterin in Pödelwitz. „Da offensichtlich nicht gegen alle Anwesenden vor Ort wegen Hausfriedensbruch ermittelt wird, erscheint die Ermittlung gegen einzelne Journalisten besonders fragwürdig.“

Denn es ist auch egal, für welches Medium der jeweilige Journalist berichtet. Wenn er sich – wie der betroffene Journalist – mit Presseausweis und Presseweste, wie er selbst erklärt, – deutlich erkennbar macht, sollte das von der Polizei eigentlich respektiert werden.

„Unabhängiger Journalismus ist ein Grundpfeiler unserer Demokratie. Während des gesamten Demonstrationsgeschehens in Pödelwitz haben Journalistinnen und Journalisten ihre durch Artikel 5 Grundgesetz besonders geschützte Arbeit ausgeübt“, betont Lucie Hammecke.

„Ich war froh über das große journalistische Interesse am Anliegen der Demonstrierenden. Die detaillierte, unabhängige Berichterstattung über das Demonstrationsgeschehen war notwendig, weil sich die Öffentlichkeit sonst allein von den Pressemitteilungen der beteiligten Gruppen, der MIBRAG sowie der Polizei ein Bild hätte machen müssen.“

Die beiden Landtagsabgeordneten der Linken Marco Böhme und Juliane Nagel, die am 30. November 2019 ebenfalls als parlamentarische Beobachter im Leipziger Revier vor Ort waren, haben postwendend am Mittwoch, 5. Februar, eine Kleine Anfrage eingereicht.

„Die Aktion insbesondere im Leipziger Revier war ein starkes Zeichen für ein schnelles Umsteuern bei der Klimapolitik. Über 1.500 Menschen übten am 30. November 2019 im Tagebau Vereinigtes Schleenhain und parallel weitere Tausende in der Oberlausitz zivilen Ungehorsam gegen eine falsche Klimapolitik. Diese Aktionen wurden auch von Pressevertreterinnen und -vertretern begleitet, die aus der Grube berichteten und beispielsweise auch unverhältnismäßiges Agieren der Polizei dokumentierten. Wir als parlamentarische Beobachterinnen bzw. -beobachter unterstützten zudem Verhandlungen der Protestierenden mit der Polizei“, kommentieren sie den Vorgang.

„Dass nun offenbar Strafanzeigen der Tagebaubetreiber folgen, ist wenig verwunderlich, politisch allerdings fragwürdig. Wir sind zuversichtlich, dass die Ermittlungsverfahren wie in der Vergangenheit eingestellt werden. Dass die Polizei allerdings auch Journalistinnen und Journalisten vorlädt, halten wir für ein starkes Stück. Dies zeigt ein schwieriges Verhältnis zur Pressefreiheit.

Die Polizei sendet damit das Signal, dass in bestimmten Situationen nicht mehr berichtet werden soll. Wir halten es mit dem Medienrechtler Johannes Eisenberg, wonach Medienvertreterinnen und -vertreter ,sich nicht strafbar machen, weil sie als Journalisten ein öffentliches Interesse, ein Wahrnehmungsinteresse an solchen demonstrativen Aktionen selbst dann auch zu befriedigen haben, wenn dabei Straftaten begangen werden.‘ Bei einer solchen Protestbewegung besteht ein öffentliches Interesse daran, sie zu begleiten und zu dokumentieren.“

Die von Böhme und Nagel gestellten Fragen an die Staatsregierung:

1. Haben die Tagebaubetreiber/-innen LEAG und MIBRAG Strafanzeigen gestellt, wenn ja, wann und gegen wie viele Personen?

2. Gegen wie viele Personen wurden in diesem Zusammenhang aus welchen wesentlichen Gründen Strafverfahren oder Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet? (bitte nach Tatvorwurf, Tatort, Deliktsgruppe, politischer Einordnung aufschlüsseln)

3. Von wie vielen Menschen, gegen die Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden bzw. denen polizeiliche Vorladungen zugestellt wurden, wurden vor Ort in den Tagebauen die Identität festgestellt und wie viele wurden auf welche Weise im Nachgang identifiziert? (bitte nach Tatorten differenzieren)

4. Inwiefern kann in Bezug auf Journalist/-innen, Rechtsanwält/-innen oder Abgeordnete, die als parlamentarische Beobachter/-innen erkennbar waren (z. B. durch gekennzeichnete Westen oder Ausweisung) der Tatvorwurf des Hausfriedensbruch erhoben werden? Handelt es sich hier nicht vielmehr um einen notwendigen Akt zur Ausübung der Pressefreiheit bzw. der Mandatsausübungen sowie parlamentarischen Kontrolle?

5. Welche Ermittlungsergebnisse gibt es inzwischen zu den von der Polizei in einer Pressemitteilung behaupteten „Schlägen und Tritten gegen Polizeibeamte“ im Rahmen der Aktion im Leipziger Revier? (vgl. Antwort auf Frage 3 der Drs 7/7/691)

***

Die erwähnte Landtagsanfrage lässt zumindest die Frage offen, ob die Polizei beim Einsatz im Tagebau tatsächlich verhältnismäßig agiert hat. „Zur Durchsetzung polizeilicher Maßnahmen war zum Teil die Anwendung von unmittelbarem Zwang gegen Personen und Sachen erforderlich“, hatte Innenminister Roland Wöller diese Vorgänge blumig umschrieben, ohne auf die konkret von der Staatsregierung vorgeworfenen „Schläge und Tritte gegen Polizeibeamte“ einzugehen.

„Vereinzelte Schläge sowie Tritte gegen die eingesetzten Polizeibediensteten sind derzeit Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Ermittlungsverfahrens“, hatte er am 16. Januar mitgeteilt.

Von 49 Personen waren am 30. November die Personalien festgehalten worden. Aber, so Wöller: „Diese wurden nach Abschluss der Maßnahmen entlassen, da keine Gründe für ein weiteres Festhalten vorlagen.“

Das Problem dabei: Der Landkreis Leipzig hatte mit seiner Verfügung vom 28. November versucht, den Protest von „Ende Gelände“ so weit aus dem Tagebauumfeld zu verdrängen, dass dem Protest damit Sinn und Spitze genommen worden wäre. Denn er fand mitten in den bundesweiten Debatten um den Kohleausstieg statt. Doch bei den Verhandlungen saßen die Klimaschützer nur am Katzentisch, während die großen Kraftwerksbetreiber sich auch noch 4 Milliarden Euro Entschädigung aus Steuergeld sicherten, obwohl die sächsischen Tagebaue erst weit nach 2030 vom Netz sollen.

 

Klimacamp-Anreise über Mibrag-Gelände: Aktivist/-innen wegen Hausfriedensbruch vor Gericht

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