Mit einiger Berechtigung geht Matthias Zimmermann, Pressesprecher der Bürgerinitiative „Gegen die neue Flugroute“ davon aus, dass die Pläne zum Ausbau des Frachtflughafens Leipzig/Halle spätestens vor Gericht gestoppt werden. Denn mittlerweile gibt es einen Gerichtsbeschluss, der so ein klimaschädigendes Projekt schlicht nicht mehr genehmigungsfähig macht. Aber noch kann auch die Bürgerinitiative nicht aufatmen. Denn noch immer tut sich Sachsens Regierung schwer, den Schalter im Kopf umzulegen.

Der Gerichtsbeschluss, der auch endlich von juristischer Seite klarmachte, dass die jetzt regierenden Generationen die Zukunftsinteressen der Kinder und Jugendlichen nicht ignorieren dürfen, ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2021. Denn damit „hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass Klimaschutz zum Grundrechtsschutz gehört, was erhebliche Auswirkungen auf alle klimarelevanten Infrastrukturplanungen hat“, stellt Zimmermann fest.„Mit dem Beschluss sind nun auch Klimaschutzbelange im Luftverkehrsrecht justiziabel geworden, sodass mit einem Ausbaustopp spätestens vor Gericht bei den meisten Flughäfen gerechnet werden muss. Auch die Änderung bestehender Betriebsgenehmigungen durch Erlass von nachträglichen Anordnungen (wie im Immissionsschutzrecht) zur Einhaltung der Klimaziele wird immer wahrscheinlicher.“

Aber wirklich durchgedrungen ist die Tragweite des Beschlusses in der sächsischen Regierung noch nicht. Auch nicht im Verkehrsministerium, das nach wie vor nach dem seit 2007 geübten Motto handelt, den Nutzern des Flughafens immer nur das zuzumuten, wozu diese sich auch freiwillig bereitfinden.

Und seit Jahren kämpft der Flughafen darum, die lauten Triebwerksprobeläufe auch im Freien stattfinden zu lassen, obwohl im Planungsbeschluss extra eine Probehalle für die Triebwerksprobeläufe mitgeplant wurde. Nur ist das einigen Fluggesellschaften zu unbequem und aufwendig.

Und so gesehen ist es ein sehr, sehr weitgehendes Zugeständnis, wenn das SMWA jetzt zugesteht: „Triebwerksprobeläufe, die aus witterungsbedingten oder aus sonstigen zwingenden technischen Gründen der Nichtnutzbarkeit des Triebwerkprobelaufstandes nicht im Triebwerksprobelaufstand stattfinden können, dürfen am Tage (6:00 bis 22:00 Uhr) auf den Außenflächen ‚Enteisungsfläche DP2‘und ‚alte Piste‘ durchgeführt werden.“

Dies bestätigte das SMWA in seiner 24 Seiten umfassenden Entscheidung zum Antrag des Flughafens Leipzig/Halle (FLHG) auf Änderungen der entsprechenden Betriebsregelung, stellt die Bürgerinitiative jetzt mit einiger Verwunderung fest.

Weiter steht da: „Für die Nachtzeit ist der Antrag der FLHG zur Änderung der betrieblichen Regelungen zur Durchführung von Triebwerksprobeläufen nicht entscheidungsreif. Damit bleiben Triebwerksprobeläufe nachts außerhalb des Probelaufstandes weiterhin versagt.“

Immerhin.

Aber die Bürgerinitiative „Gegen die neue Flugroute“ erwirkte 2011 mittels einer Anzeige den Stopp der Triebwerkprobeläufe im Freien. Denn der Flughafen Leipzig/Halle hatte im Jahr 2010 eigenmächtig insgesamt 376 Triebwerksprobeläufe vorgenommen, nur 95 davon im Triebwerksprobelaufstand.

„Dies entsprach in keinster Weise den Auflagen der Betriebsgenehmigung zum aktiven Lärmschutz“, kommentiert Zimmermann.

Seitdem durften Triebwerksprobeläufe nur noch in begründeten Ausnahmefällen im Freien stattfinden. Doch daraufhin stellte die Flughafengesellschaft (deren Hauptanteilseigner der Freistaat Sachsen ist) 2012 bei der Genehmigungsbehörde einen Antrag auf Veränderung. Forderungen der Bürgerinitiative, den Flughafen Leipzig/Halle abzumahnen, lehnte die Landesdirektion, wie es hieß aus „Opportunitätsgründen“, ab.

Webreportage „Im Schatten des Wachstums“

„Ebenso lehnte die Landesdirektion die Prüfung ab, inwieweit der Leiter Lärm- und Umweltschutz des Flughafens, Herr Axel Semrau, seinen Kontrollpflichten nicht ordnungsgemäß nachgekommen ist. Die Landesbehörde sah keine rechtliche Grundlage, sich in das Rechtsverhältnis zwischen der Flughafen GmbH und Herrn Semrau einzumischen“, stellt Zimmermann im neuen Fluglärmreport der Bürgerinitiative fest.

„Nun ist dem Antrag der FLHG durch das von Staatsminister Dulig (SPD) geführte Ministerium, zumindest teilweise, entsprochen worden. Ca. 20 % der Triebwerksprobeläufe dürften demnach künftig den Anwohnern am Tag weitere Ohrenschmerzen bereiten. Und wieder zeigt sich, Planfeststellungsbeschlüsse – eigentlich ein wichtiger Baustein bundesdeutschen Demokratieverständnisses und Verlässlichkeit – sind das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt sind – zumindest in Sachsen!“

Der Ärger über die immer neuen gebrochenen Versprechen von Staatsregierung und Flughafengesellschaft begleitet die Bürgerinitiative rund um den Flughafen seit 2004, seit sie – damals auch mit juristischer Unterstützung – versucht haben, die schlimmsten Zumutungen aus den Erweiterungsplänen für den Flughafen herauszubekommen.

Im Gegenzug gab es lauter – auch im Planfeststellungsbeschluss festgeschriebene – Zugeständnisse und Versprechungen von „Leipzig wird umflogen“ über die gleichmäßige Bahnverteilung bis hin zur Nichtbefliegung der Kurzen Südabkurvung mit großen Frachtfliegern. Und auch die Zusicherung, dass alle Triebwerksprobeläufe in der extra gebauten Halle stattfinden, findet sich da.

Und statt diese eigentlich rechtsverbindliche Festlegung durchzusetzen, duckt sich das Sächsische Ministerium für Wirtschaft und Arbeit (SMWA) weg und genehmigt schon mal – nach Schätzung der Bürgerinitiative – 20 Prozent Probeläufe im Freien und stellt sogar die Nacht infrage, denn der Antrag der FLHG (Flughafengesellschaft, d. Red.) zu nächtlichen Probeläufen sei nur noch nicht „entscheidungsreif“ und eine Erlaubnis werde deshalb vorerst nicht erteilt.

Worauf können sich Bürger da eigentlich verlassen, wenn selbst Ministerien die Inhalte von Planfeststellungsbeschlüssen für Verhandlungsmasse erklären und aufweichen?

Zimmermanns Kommentar ist entsprechend deutlich: „Die im Regierungsprogramm der Landesregierung gemachte Zusage der Reduzierung der Fluglärmbelastung dürfte damit ein weiteres Mal ad absurdum geführt sein. Unklar ist zudem, warum in der Entscheidung ein Verbot nicht nochmals eindeutig für die Nacht bestätigt wurde, sondern von ‚nicht entscheidungsreif‘ gesprochen wird! Das lässt nichts Gutes ahnen.“

Wie fatal sich die Ignoranz der staatlichen Instanzen und der beratungsresistenten Flughafengesellschaft mittlerweile auf die Atmosphäre rund um den Flughafen auswirkt, zeigt der jüngst vom Landtagsabgeordneten der Grünen Dr. Daniel Gerber vorgestellte Dokumentarfilm „Im Schatten des Wachstums“. Die Website dazu findet man hier.

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