Es wird vielleicht kein Jahrhundertprojekt. Aber dass es einige Jahrzehnte brauchen wird, um die Leipziger Elsteraue wieder in eine naturnahe und lebendige Flusslandschaft zu verwandeln, dessen ist sich Sachsens Umweltminister Wolfram Günther sicher. Am Montagabend, 4. Oktober, hatte er alle Beteiligten in die Konsumzentrale in der Industriestraße eingeladen, die in irgendeiner Weise Teil dieses Leuchtturmprojekts sein werden, das im Grunde im November schon begonnen hat mit einem Strategiepapier.

Mehr als 80 Vertreter/-innen aus den Verwaltungen der Stadt und der Landkreise, aus der Wissenschaft und den Umweltschutzverbänden waren der Einladung gefolgt zum „Forum Leipziger Auwald“, auf dem der aktuelle Arbeitsstand und die Pläne für die Revitalisierung und naturnahe Auenentwicklung im Großraum Leipzig diskutiert werden sollten. Aber das Forum sollte noch mehr erreichen.Denn dass das Leipziger Auensystem dringend wieder in einen naturnahen Zustand versetzt werden muss, das ist eigentlich allen Beteiligten klar, manchen schon länger, anderen spätestens seit 2015, als der Freistaat krachend scheiterte bei der Erfüllung der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie. Denn die erfordert von den Gewässern in Europa einen mindestens guten Zustand.

Und das betrifft nicht nur die Wasserqualität, sondern auch die natürliche Artenvielfalt und die Regenerationsfähigkeit der Fließgewässer. Aber die Weiße Elster im Raum Leipzig ist ein chemischer Cocktail, ist artenarm, teilweise auch biologisch tot. Sie fließt auf weiten Abschnitten in Beton- und Deichkorsetten und ist von ihrem natürlichen Auensystem völlig abgeschnitten.

Deswegen hat das sächsische Umweltministerium die Wiederherstellung der Elsteraue tatsächlich als Leuchtturmprojekt in sein Auenprogramm geschrieben. Es wird das größte und anspruchsvollste Auenprojekt in ganz Sachsen, sagt Günther. Und ist froh, dass es ihm im vergangenen Jahr gelungen ist, die wichtigsten Beteiligten endlich an einen Tisch zu holen.

Forum Leipziger Auwald in der Konsumzentrale Leipzig. Foto: Ralf Julke
Forum Leipziger Auwald in der Konsumzentrale Leipzig. Foto: Ralf Julke

Denn vorher hat jeder nur seins gemacht, und wenn man feststellte, dass man bei der Rettung des Gewässersystems einfach nicht weiterkam, zeigte jeder auf den anderen. Man blockierte sich gegenseitig, obwohl alle eigentlich das gleiche Interesse haben. Das Forum traf sich also auch, um jetzt auch zu einer gemeinsamen Sprache und einem gemeinsamen Vorgehen zu kommen. So war das Forum auch der Auftakt zu einer fachübergreifenden Zusammenarbeit aller Interessenvertreterinnen und -vertreter, um die Revitalisierung des ökologisch bedeutsamen Gebiets zu erreichen.

Jetzt müssen alle an einem Strang ziehen

Wolfram Günther hob bei dieser Gelegenheit hervor: „Der Auwald ist eine einzigartige Landschaft inmitten einer wachsenden Großstadt. Klimawandel und umfangreiche wasserbauliche Maßnahmen der zurückliegenden Jahrzehnte bedrohen dieses wertvolle Ökosystem. Wir müssen handeln. Darüber besteht Einigkeit. Verbände, beteiligte Kommunen, Landkreise, Landestalsperrenverwaltung, forstliche Nutzer, Landwirtschaft und die vielen anderen Nutzerinnen und Anrainer in und um den Auwald bringen unterschiedliche Sichtweisen und verschiedene Interessen mit – von Naturschutz über Hochwasserschutz und Waldbewirtschaftung bis Naherholung, um nur einige zu nennen.“

„Schutz und Stärkung dieses einzigartigen Ökosystems können nur gelingen, wenn alle Interessenträger gemeinsam einen Weg zur Revitalisierung des Auwalds verabreden. Ich sehe es als Erfolg, dass die Akteurinnen und Akteure seit einigen Monaten wieder neu im Gespräch sind und heute beim ersten Auwald-Forum den Beginn dieses Wegs abstecken. Wir haben eine große, sehr schöne und lohnenswerte Aufgabe vor uns.“

Das „Forum Leipziger Auwald“ setzt natürlich die bisherigen Aktivitäten fort, mit denen verschiedene Nutzungsansprüche und Schutzanforderungen im Bereich des Auwalds gebündelt werden. Aber sie müssen endlich in ein großes, gemeinsames Programm eingebunden werden. Im November 2020 hatten Fachleute aus Wissenschaft, Behörden und Verbänden unter Federführung des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung einen gemeinsamen Strategieplan veröffentlicht.

Das Papier beschreibt in zehn Thesen die ökologischen Grundprinzipien für den Erhalt der Leipziger Auenlandschaft und ihrer Ökosystemleistungen. Zudem diskutiert es spezifische Herausforderungen für einzelne Lebensräume und formulierte Bedingungen für eine erfolgreiche Revitalisierung.

Die Entwicklung des Leipziger Auwalds ist zudem im Sächsischen Auenprogramm sowie im sächsischen Koalitionsvertrag verankert. Ziel der verschiedenen Aktivitäten und Maßnahmen ist es, ein Naturschutzgroßprojekt inmitten einer Großstadtregion zu entwickeln.

Von Landesgrenze bis Landesgrenze

Der Leipziger Auwald hat aufgrund seiner Größe, Lage und biologischen Vielfalt eine besondere ökologische Bedeutung. Das Vorkommen der Wildkatze und zahlreicher weiterer Tier- und Pflanzenarten im Leipziger Auwald haben einen herausgehobenen Stellenwert. Es sind Arten nationaler Verantwortung. Viele dort lebende Tier- und Pflanzenarten sind an eine intakte Flussaue und einen naturnahen Auwald gebunden. Das Waldgebiet ist außerdem wichtig für das Stadtklima in Leipzig und ein Naherholungsgebiet der Region.

Aber: Es geht gar nicht nur um den Leipziger Auwald. Deswegen waren alle wichtigen Vertreter aus den angrenzenden Landkreisen eingeladen. „Wir müssen das Projekt von Landesgrenze bis Landesgrenze betrachten“, sagt Günther. Was die Sache nicht einfacher mache, denn damit sind noch viel mehr Betroffene einzubinden.

Aber erst so wird es wirklich das gewünschte Projekt von nationaler Tragweite. Denn auch die Aue der Weißen Elster südlich von Leipzig wurde ja im Zuge des Kohlebergbaus zerstört. Im Bereich der Betonelster kann man schon beim Anblick des in eine Röhre verlegten Flusses ahnen, was für eine Kraftanstrengung es werden wird, hier wieder einen lebendigen Fluss zu schaffen.

An der Betonelster im Leipziger Süden. Foto: Ralf Julke
An der Betonelster im Leipziger Süden. Foto: Ralf Julke

In Leipzig selbst sind ja die ersten Aufgaben schon erteilt. Der Stadtrat hat beschlossen, dass im Projekt „Lebendige Luppe“ bis 2022 das Auenentwicklungsprogramm vorzulegen ist, mit dem im Leipziger Nordwesten die Schritte aufgezeigt werden, wie der durstende Auwald dort endlich wieder Wasser bekommt. 2023 sollen ja auch schon die Revitalisierungen im Luppesystem beginnen, die dann künftig Bestandteil der wieder geöffneten Auenlandschaft werden.

Und 2024, dies kündigt Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal schon mal an, wird es auch das Auenentwicklungsprogramm für die Südaue geben. Denn, so betont er, wir müssen das gesamte Auensystem anpacken. Aber er weiß auch, dass auch das nur mit den anderen Partnern – etwa der Landestalsperrenverwaltung – gemeinsam zu bewerkstelligen ist.

Aber das Wichtigste aus Sicht von Wolfram Günther ist, dass jetzt tatsächlich alle Beteiligten an einem Tisch sitzen, auch die Kritiker des bisherigen zähen Prozesses. Vielleicht wird man später, wenn sich die lokalen Akteure über das Ziel einig sind, noch weitere Partner mit ins Boot holen müssen – etwa die LMBV, die ja jetzt schon alle Hände voll zu tun hat, die Bergbaufolgeschäden im Südraum in den Griff zu bekommen. Denn Teile des künftigen Projektgebiets liegen auch im Verantwortungsbereich des LMBV.

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