Es geht eigentlich wie das Brezelbacken. Kaum ist der eine Fall von staatlichem „Ungeschick“ publik geworden und hat deutschlandweit für Kopfschütteln gesorgt über die sächsische Polizei, sorgt der nächste für Schlagzeilen. Erst war es der Fall des mutmaßlichen Terroristen Al-Bakr, der für Furore sorgte, dann berichteten „Zeit Online“ und „Spiegel Online“ über die seltsamen Vorgänge um die rechtsterroristische Gruppe in Freital.

Diese Gruppe rechtsradikaler Gewalttäter beschäftigt den Sächsischen Landtag schon seit 2015, auch damals schon mit windelweichen Auskünften aus der sächsischen Staatsregierung. Längst war klar, dass eine Gruppe Rechtsradikaler gemeinsam mehrere Anschläge auf Asylbewerberunterkünfte und Wohnprojekte im Raum Freital und Dresden verübt hatte und auch im Internet nachweisbar war, aber die Staatsregierung zögerte, die Gruppe als kriminelle Vereinigung einzustufen oder überhaupt die diversen radikalen Gruppen, die mit Gewaltaktionen die Stimmung anheizten, als solche zu begreifen. Zu lange hatte man sich in stoischer Haltung bemüht, die rechtsradikalen Umtriebe im Schatten der scheinbar „besorgten Bürger“ ernst zu nehmen und als durchaus organisierte Gewalt zu verstehen.

Nun steht auch noch der Verdacht im Raum, dass ein Polizist mit der Gruppe in Freital in Kontakt stand – und dass die sächsischen Ermittler diese Information ein Jahr lang einfach ignoriert haben.

Das hatte in der vergangenen Woche, als „Spiegel Online“ und „Zeit Online“ berichteten, schon Klaus Bartl, rechtspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Landtag erbost, weil die Staatsregierung im Frühjahr noch abgewiegelt hatte.

„In dem jetzt vom Generalbundesanwalt geführten Verfahren geht es um nicht weniger als die Bildung einer terroristischen Vereinigung, mehrfachen versuchten Mord und Sprengstoffanschläge. Es steht nun der schier ungeheuerliche Verdacht im Raum, dass der Verfassungsschutz kurz vor einem Anschlag auf eine Asylunterkunft Kontakt zu einem geheimen Informanten aus dieser rechtsterroristischen Gruppe hatte. Noch am 28. April war aber unserem Ausschuss – ebenfalls auf einer Sondersitzung – vom Justizminister mitgeteilt worden, dass es keinen Informanten aus den Reihen des Verfassungsschutzes gebe. Dieser Widerspruch muss aufgeklärt werden“, kritisierte er die zögerliche Regierung: „Es stellt sich also die Frage, warum wir als Landtagsabgeordnete vom Minister im Namen der Staatsregierung eine möglicherweise falsche bzw. unvollständige Auskunft bekommen hatten. Sollte sich der aktuelle Bericht bestätigen, würde das aber vor allem auch Innenminister Ulbig schwer belasten, der ja die Aufsicht über den Verfassungsschutz führt. Im Raum steht nämlich der Vorwurf, dass der Verfassungsschutz von beabsichtigten terroristischen Aktionen Kenntnis hatte, ohne einzuschreiten.“

Schon im Sommer machten Gerüchte die Runde, der Sächsische Verfassungsschutz könnte mehr gewusst haben über die Freitaler Gruppe. Dass man freilich aus den Vernehmungen wusste, dass ein Polizist der Bereitschaftspolizei der Tippgeber war, wurde freilich erst durch die beiden Artikel von „Zeit“ und „Spiegel“ publik. Was die Sache besonders brisant macht: Den Ermittlern scheint der Name des Polizisten bekannt gewesen zu sein – trotzdem ermittelten sie gegen „unbekannt“. Für die Grünen ein Punkt, an dem sie sich fragen, ob hier wieder versucht wurde, unangenehme Tatsachen zu verschweigen und auch den Landtag wieder in Unwissenheit zu lassen.

Sie haben extra einen Antrag zur schonungslosen Aufklärung gestellt, der jetzt am Dienstagabend, 13. Dezember, auf der Tagesordnung des Sächsischen Landtages steht.

„Die Verbindungen der sächsischen Polizei zu sächsischen Rechtsextremen müssen endlich auf den Tisch und schonungslos aufgeklärt werden. Je länger Innenminister Markus Ulbig und Justizminister Sebastian Gemkow bei der Unterrichtung des Parlaments und der Aufklärung des Sachverhalts mauern und sich ausschweigen, umso mehr erhärtet sich der Verdacht, dass sie vertuschen und verschweigen“, stellt dazu  Valentin Lippmann, innenpolitischer Sprecher der  Grünen-Fraktion, fest. „Wenn konkreten Hinweisen nicht nachgegangen wird, dass Polizisten Dienstgeheimnisse verraten, steht ganz klar der schwere Verdacht der Strafvereitelung im Amt im Raum ‒ das betrifft die nicht ermittelnden oder vertuschenden Polizeikollegen genauso wie die Staatsanwälte.“

Gut möglich, dass die verantwortliche Ministerebene wieder nach dem bekannten Grundsatz verfahren ist, dass man Gerüchte über die Zustände in der sächsischen Polizei am besten dadurch austrocknet, dass man dienstliches Fehlverhalten gar nicht erst zur Sprache bringt. Aber damit wird die Polizei erst recht in Misskredit gebracht und es entstehen Fragen, die noch viel unangenehmer sind.

„Ich bin es leid, jede Woche über neue Ermittlungspannen rund um die sogenannte Terrorgruppe Freital aus der Zeitung zu lesen, während den Parlamentariern im Ausschuss Märchen erzählt werden. Dieses Agieren der Staatsregierung ist unerträglich“, sagt Lippmann. „Wir Grünen wollen endlich Klarheit darüber haben, worüber die Rechtsextremen von Polizisten informiert wurden, warum gegen die Polizeibediensteten gar nicht oder erst spät ermittelt wurde und welche Maßnahmen getroffen wurden, um solcherlei Unterstützungshandlung durch die Polizei künftig zu unterbinden. Außerdem sind uns beide Minister eine Erklärung schuldig, warum sie den Landtag nicht bereits in den Sondersitzungen des Verfassungs- und Rechtsausschusses über diesen Sachverhalt informiert haben.“

Dass die sächsische Führungsebene wirklich bereit ist, die Fehler unvoreingenommen zu untersuchen, bezweifelt Lippmann. Für ihn können nur noch externe Untersuchungen klären, wer hier lieber vertuschen oder verzögern wollte, statt den Fall einmal gründlich durchzuermitteln.

Valentin Lippmann: „Mit dem nunmehr eingereichten Antrag verlangen wir umfassende und unverzügliche Aufklärung über sämtliche Ermittlungspannen und -defizite in dem Verfahren sowie eine externe Untersuchung der Weitergabe von Dienstgeheimnissen. Den Verlautbarungen der sächsischen Ermittlungsbehörden glaube ich nicht mehr. Der Landtag muss die Staatsregierung zwingen, alle offenen Fragen rund um die Terrorgruppe umfassend zu beantworten.“

Grüner Antrag „Unverzügliche umfassende Aufklärung der Verbindungen der sächsischen Polizei und anderer Behörden zu Mitgliedern oder Unterstützern der sog. ‚Terrorgruppe Freital‘ und möglicher anderer Versäumnisse sächsischer Behörden bei den Ermittlungen der rechtsextremen Strukturen in Freital und Umgebung“. Drs 6/7230

Auskunft von Justizminister Sebastian Gemkow zum Fall „Freital“ auf eine Grünen-Anfrage im März 2016. Drs. 4948

Antrag der Linksfraktion „Konsequenzen aus der Übernahme der Ermittlungen gegen die Freitaler rechtsterroristische Zelle durch den Generalbundesanwalt ziehen – Hasskriminalität konsequent strafrechtlich verfolgen!“ vom April 2016. Drs. 4952

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