Normalerweise sollte Personalplanung in einem Land wie Sachsen mit Logik und belastbaren Zahlen vor sich gehen. Doch die halbjährlichen Verzweiflungs-Meldungen aus dem Kultusministerium sprechen eine andere Sprache. Nur ein winziger Teil der in Sachsen studierenden Pädagoginnen und Pädagogen landet am Ende auch im sächsischen Staatsdienst. René Jalaß wollte nur zu gern erfahren, warum das so ist. Aber dazu gibt es keine Statistik. Gar keine.

Was eben bedeutet: Die jungen Leute, die an einer der pädagogischen Lehrstätten in Sachsen ihr Studium für einen Lehrerberuf aufnehmen, verschwinden einfach aus dem System – und niemanden hat bislang interessiert, wohin.

Mehr als die Hälfte von ihnen geht schon während des Studiums verloren. Von 2.000 bis 2.600 Studienanfängern erreichen nur zwischen 814 (2014) und 1.316 (2016) einen vollwertigen Abschluss mit Master oder Staatsexamen. Gut möglich, dass viele Studierende die Härte des Berufs unterschätzt haben. Aber dass die Hälfte einfach ihr Lehrerstudium abbricht, ohne dass es die Staatsregierung interessiert, wo sie dann bleiben, ist schon bedrückend. Aber um die 1.000 jungen Lehrer jedes Jahr – das müsste doch eigentlich wenigstens helfen, drei Viertel aller freien Lehrerstellen zu besetzen.

Schlimm genug. Denn selbst damit spekuliert der Freistaat auf hunderte „Seiteneinsteiger“ jedes Jahr, als gäbe es da ein unerschöpfliches Reservoir akademisch gebildeter Menschen, die nichts lieber tun, als schnell mal auf Lehrer umzuschulen.

Aber nicht mal diese 1.000 Bewerbungen bekommt das Kultusministerium. In den letzten Jahren summierten sich die Zahlen eingestellter voll ausgebildeter Lehrer immer nur auf 500 bis 600. Das heißt: Selbst von diesen ausgebildeten Pädagogen verlässt fast die Hälfte das Land und hilft anderen Kultusministerien, ihre Lehrerquote zu erfüllen.

Bei einem Gespräch an der TU Dresden hat René Jalaß einmal nachgefragt „ob Informationen dazu vorliegen, wie viele Lehramtsstudierende überhaupt am Ende vor einer sächsischen Schulklasse stehen werden“. Und berichtet weiter: „Die Einschätzung dazu gestaltete sich wohl schwierig. Allerdings kann man mit jeder Stufe (reguläres Studium > Vorbereitungsdienst > Staatsprüfung > Bewerbung/Einstellung) Abschläge an den absoluten Zahlen vornehmen. Am Ende kam ich – Pi mal Daumen – zur der Einschätzung, dass wir von 100 % Studienanfänger*innen lediglich rund 25 % wirklich in einer sächsischen Schule wiederfinden werden.“

Von denen, die sich nach dem Studienabschluss lieber woanders bewerben, landen viele gleich im benachbarten Brandenburg, wo die Gehaltsbedingungen für junge Lehrer schon seit Jahren deutlich besser sind. Mittlerweile kämpfen praktisch alle Bundesländer mit verbesserten Gehaltsmodellen um neue Lehrer. Überall hat man – berauscht vom neoliberalen Spargeist – riesige Lücken in der Besetzung der Lehrerstellen aufklaffen lassen.

Sachsens Regierung verliert ihre eigenen, gut ausgebildeten Jungpädagogen einfach aus dem Blick und fragt auch nicht mehr nach, wo sie bleiben. Im Gegenteil: Jede Bewerbungsrunde wird gehandhabt, als würden sich hier völlig ortsfremde Menschen mit einem nicht ernst zu nehmenden Lehramtsabschluss um Stellen bewerben, auf die es lange Warteschlangen gibt.

Und von diesem Nicht-Wissen zeugt auch die Antwort, die Jalaß bekam: „Eine kurze Tabelle mit Absolvent*innenzahlen und keinerlei Kenntnis darüber, ob und wo in Sachsen die Leute dann als Lehrer*innen arbeiten.“

Die Regierung weiß auch nicht, wo die jungen Leute landen, die man dann gnädigerweise doch eingestellt hat. Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange: „Eine Beantwortung der Fragen ist nicht möglich. Der Studienort, an dem die Lehrkräfte im sächsischen Landesschuldienst ihren Lehramtsabschluss erworben haben, ist kein Bestandteil statistischer Erfassungen.“

Endlich mal ein paar Zahlen zu den verschwundenen Lehramtsstudenten

Endlich mal ein paar Zahlen zu den verschwundenen Lehramtsstudenten

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