Es war nicht das erste Mal, dass sich sächsische Polizisten seltsam benehmen, als sie am 16. August am Rand des Merkel-Besuchs in Dresden ziemlich deutlich ein Filmteam des ZDF an seiner Arbeit am Rand der PEGIDA-Demo hinderten. Neu war freilich, dass sich der aggressive Bürger mit Deutschland-Hütchen als LKA-Mitarbeiter entpuppte. Und neu war auch, dass sich Sachsens Ministerpräsident per Twitter meldete und eine sehr, sehr subjektive Einschätzung der Lage gab. Aber es erzählt eine Menge über das Staatsverständnis in Sachsen.

Gleich am Mittwochabend, nachdem Innenminister Roland Wöller (CDU) bekanntgab, dass es sich bei dem aggressiven PEGIDA-Demonstranten, „der sich am vergangenen Donnerstag in Dresden verbal heftig gegen Filmaufnahmen eines TV-Kamerateams des ZDF-Politikmagazins ,Frontal 21’ gewehrt hat, um einen Angestellten des Landeskriminalamtes handelt“, meldete sich Enrico Stange, innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Landtag, zu Wort.

„Der Vorfall am vergangenen Donnerstag am Rande der Pegida-Demo gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel wächst sich zu einem immer schwerwiegenderen Vorkommnis aus, das nicht mehr nur zweifelhafte Einstellungen zur Pressefreiheit und zur Schutzwürdigkeit der journalistischen Arbeit im Zusammenhang mit Demonstrationen und öffentlichen Veranstaltungen zutage fördert.

Nunmehr offenbart sich, dass die sächsische Polizei als Abbild der Mitte unserer Gesellschaft eben auch jene politischen Tendenzen des Werteverfalls und der Missachtung wesentlicher Grundsätze unserer Rechtsordnung personell in sich trägt, die seit Jahren dem Freistaat Sachsen und seinem Ansehen sowohl bundesweit als auch darüber hinaus schweren Schaden zufügen“, benennt Enrico Stange ein Phänomen, das augenscheinlich überregionale Medien in Sachsen problemlos sehen können, während der Ministerpräsident nur lauter ordentlich arbeitende Polizisten sieht, selbst da, wo augenscheinlich einige Beamte ganz unübersehbar in die Pressefreiheit eingreifen.

„Ich stimme Innenminister Roland Wöller zu, wenn er allen Bediensteten der Polizei das persönliche Recht auf freie Meinungsäußerung zugesteht und ihnen dennoch ein korrektes Auftreten in der Öffentlichkeit abverlangt, auch wenn sie privat unterwegs seien“, sagt Stange. „Dafür muss nun Wöller aber alles in seiner Macht stehende tun, um volle Aufklärung zu gewährleisten und vor allem sowohl alle Polizeibeamtinnen und -beamten als auch die Tarifbeschäftigten (Angestellte) der Polizei auch in der Fortbildung sowohl verfassungsrechtlich als auch zu Versammlungs-, Medien- und Kunsturheberrecht auf die Höhe der Zeit zu bringen.“

Dulig: Schluss mit dem Schönreden

Und zum zweiten Mal binnen kurzer Zeit wird auch Martin Dulig, Vorsitzender der SPD Sachsen und stellvertretender Ministerpräsident, deutlicher, auch wenn er den so emsig twitternden Ministerpräsidenten nicht erwähnt.

„Fehler ehrlich ansprechen, sie ordentlich analysieren und Konsequenzen daraus ziehen – nur so kann in Sachsen das Vertrauen in den Rechtsstaat wieder hergestellt werden. Ich halte das derzeit für eine der vordinglichsten Aufgaben in unserem Land“, sagte Dulig am Donnerstag, 23. August. „Bei der Aufklärung der Vorgänge an sich helfen weder Schönreden noch Schwarz-Weiß-Malerei. Wer aber jede Kritik an Polizei und Justiz reflexhaft und empört abwehrt, erweist den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern selbst, und damit auch Sachsen, einen Bärendienst. Wer meint, sich kritiklos vor die Polizeibeamten stellen zu müssen, richtet eher Schaden an.“

Und er verhindert wirklich Aufklärung, was leider nicht neu ist in Sachsen, man denke nur an die vielen Diskussionen zur Beschwerdestelle bei der Polizei und bei der Kennzeichnungspflicht für die eingesetzten Beamten, von den wiederholten Übergriffen auf berichtende Journalisten im Umfeld von PEGIDA- und LEGIDA-Demos ganz zu schweigen. Um die entscheidende Frage haben sich Sachsens Innenminister seit Jahren herumgemogelt. Die brachte der Grünen-Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir auf den Punkt, als er laut „Welt“ sagte: „Wer für den Schutz unseres Grundgesetzes zuständig ist, hat bei Organisationen und Parteien, die gegen unsere Verfassung kämpfen, nichts verloren, auch nicht in der Freizeit.“

In Sachsen scheinen einige Behördenmitarbeiter aber mittlerweile zu glauben, sie könnten in ihrer Freizeit einfach mal gegen verfassungsrechtliche Grundlagen demonstrieren und dann auch noch die Presse attackieren.

„Dresdens Polizeipräsident Horst Kretzschmar hat mein Vertrauen, dass er die nötige Analyse aktiv angeht. Ich erwarte zudem eine umfassende und schonungslose Aufklärung der Vorfälle im Innenausschuss des Sächsischen Landtages. Und ich schließe mich Innenminister Wöller an, der von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern seines Ressorts jederzeit ein korrektes Auftreten einfordert“, betonte Martin Dulig. „Ich erwarte aber auch, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – egal ob Beamte oder Angestellte – sich selbstverständlich auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung bewegen und sich zu dieser bekennen. Deshalb setzen wir uns weiterhin für mehr politische Bildung auch in Aus- und Weiterbildung ein.“

Und er benennt auch das Problem, das die Medienberichterstattung zu PEGIDA und LEGIDA seit 2015 begleitet: „Die aktuelle Debatte zeigt, welche Tragweite die Strategie rechter Aktivisten hat, Journalisten zu kriminalisieren und unsere demokratische Verfasstheit in Zweifel zu ziehen. Der Rechtsstaat und alle seine Institutionen müssen damit einen Umgang finden. Dazu gehört, auch dass die Einsatzkräfte im Umgang mit solchen Strategien geschult und gestärkt werden. Unsere Polizistinnen und Polizisten machen einen Knochenjob. Sie haben unsere Unterstützung und Wertschätzung mehr als verdient.“

Grüne: So schädigt die CDU den Ruf Sachsens

Aber das Problem liegt nun einmal eine Etage höher – in einer Staatsregierung, die viel zu oft mit den rechtslastigen Demonstranten auf Dresdner Straßen geliebäugelt hat, statt sich klar abzugrenzen.

Und auch diesmal haben eben gleich zwei CDU-Spitzenleute genau so reagiert: Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und CDU-Fraktionsvorsitzender Frank Kupfer mit ihren Reaktionen in der Diskussion über die Gefährdung der Pressefreiheit durch sächsische Sicherheitsbehörden. Kupfer hatte laut MDR auf Facebook mit dem anzüglichen Kommentar reagiert: „Öffentlich rechtliche…. dafür bezahlen wir Beiträge…“ Frank Kupfer ein „besorgter Bürger“? Es klingt ziemlich seltsam.

Der politische Schaden sei immens, kritisieren die Grünen. Die CDU-geführte Staatsregierung scheine jeden Instinkt für die Tragweite ihrer eigenen Verlautbarungen verloren zu haben.

„Wir erwarten von einem Ministerpräsidenten, dass er seriös und verantwortungsvoll im Sinne des Ansehens des Freistaates Sachsen handelt. Während die gesamte Bundesrepublik erneut auf Sachsen zeigt, schafft es der Ministerpräsident nicht, sein Bundesland aus den Schlagzeilen zu führen. Er schädigt durch sein eigenes Handeln letztlich den Ruf der Menschen in Sachsen noch weiter“, erklären die beiden Landesvorstandssprecher der Grünen Christin Melcher und Norman Volger.

„Negative Schlagzeilen über Sachsen sind seit langem an der Tagesordnung. Die sächsische Staatsregierung scheint – sei aus Unfähigkeit oder Arroganz heraus – alles dafür zu tun, diesen Ruf zu stützen. Dies wird den vielen Menschen in Sachsen nicht gerecht, die Verantwortung für ihr Land übernehmen, indem sie Ideen nach vorne bringen und positiv gestalten, sei es in Görlitz, Mutzschen oder Klingenthal.“

Natürlich kann man rätseln (wie einige Zeitungen es tun) ob Michael Kretschmer mit seinem Tweed nur versucht hat, bestimmte Wähler wieder für die CDU zurückzugewinnen. Aber tatsächlich zeigt der Tweed, dass das Verhältnis zur Pressefreiheit in Sachsens CDU-Spitze ein zumindest eigentümliches ist.

„Der Vorfall hat zum wiederholten Mal deutlich gemacht – neue CDU-Köpfe in einer Regierung bedeuten keine neue Politik“, ziehen Maicher und Volger ihre Bilanz für die im Herbst erfolgte Neubesetzung der Ministerstühle in der Staatsregierung. „Dieser CDU/SPD-Staatsregierung wird es nicht gelingen, einen neuen Geist einziehen zu lassen. Nichts scheint mehr unmöglich. Man stellt sich erschrocken die Frage, was wohl als nächstes kommt und sorgt sich um Sachsen. Natürlich sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Behörden und Verwaltung letztlich ein Spiegel der Gesellschaft. Wer aber, wie die CDU, 28 Jahre lückenlos Regierung und Staat dominiert, ist verantwortlich für die Fehlstellungen und Auswüchse in dieser Gesellschaft.“

Aus ihrer Sicht ist ein Regierungswechsel überfällig. Und sie erwarten in diesem Zusammenhang auch ein deutliches Zeichen der Regierungspartei SPD.

„Wie es die SPD, mit ihren eigenen Werten und Zielen vereinbaren kann, diese Staatsregierung mitzutragen, erscheint uns kaum noch vernünftig zu erklären“, sagen beide. „Es bleibt das fahle Bild einer Partei als Bettvorleger einer unseriösen und verantwortungslosen Politik in Sachsen. Die SPD sollte sich nicht weiter wegducken, sondern Konsequenzen ziehen.“

Aber man darf auch nicht überhören, dass Martin Dulig jetzt schon zwei Mal mit kritischen Tönen zum Regierungspartner an die Öffentlichkeit ging. Das ist auch in der nun drei Jahre dauernden Koalition etwas Neues und zeigt, dass man im SPD-Führungszirkel ziemlich unglücklich zu sein scheint mit dem ziemlich unprofessionellen Agieren des Koalitionspartners.

Und einer erinnert daran, dass das in Sachsen nicht erst seit 2018 so ist, sondern der Freistaat schon 2011 für einige seltsame Schlagzeilen gesorgt hat: der Leipziger Bundestagsabgeordnete Sören Pellmann (Linke): „Der skandalöse Fall des LKA-Pöblers und die unselige Reaktion von Ministerpräsident Kretschmer werfen erneut ein grelles Licht auf die ‚sächsische Demokratie‘ (Wolfgang Thierse 2011) anno 2018.“

Und auch er plädiert für eine andere Regierung ohne die sichtlich überforderte CDU.

Entschuldigen Sie sich, Herr Ministerpräsident!

Und noch deutlicher wird Holger Zastrow, Landesvorsitzender der sächsischen Freidemokraten: „Das Eingeständnis, dass der pöbelnde Demonstrant auch noch beim sächsischen Landeskriminalamt arbeitet, ist der Gipfel der Peinlichkeit für die CDU/SPD-Staatsregierung. Sachsen blamiert sich einmal mehr bundesweit und zieht das Gespött der gesamten Republik auf sich. Die maßgeblichen CDU-Akteure, wie Ministerpräsident und Innenminister, offenbaren nicht nur mangelnde Sensibilität und Arroganz mit Blick auf Presse- und Meinungsfreiheit, sondern zeigen, dass die Union das Thema Innere Sicherheit bis heute nicht im Griff hat. Ministerpräsident Michael Kretschmer hat mit seiner voreiligen Stellungnahme ohne umfassende Faktenkenntnis kräftig danebengelegen. Es ist an der Zeit, dass sich die Staatsregierung für ihr peinliches Verhalten öffentlich entschuldigt.“

Und er unterstreicht, was Sachsens CDU augenscheinlich mit einem Wisch bereit ist, einfach vom Tisch zu fegen: „Die Presse- und Meinungsfreiheit ist ein elementarer Grundwert, dessen mögliche Einschränkungen auf ein absolut verhältnismäßiges Mindestmaß begrenzt gehören. Schließlich muss sich die Staatregierung die Frage stellen, warum es eine ganze Woche braucht, bis herausgefunden wird, dass der an der Auseinandersetzung beteiligte Demonstrant und Anzeigende Mitarbeiter des Landeskriminalamtes ist. Wir fordern daher eine zügige und lückenlose Aufklärung der Vorkommnisse.“

Wenn die Realität Satire schlägt: Pegida-Pöbler von Dresden ist sächsischer LKA-Mitarbeiter

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Die neue Leipziger Zeitung Nr. 58
Ein Mann mit dem Deutschlandhütchen, beharrliche Radfahrer, ein nachdenklicher Richter und ein hungriges Leipzig im Sommer 1918

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