Von außen sieht es wie eine Machtprobe aus, gar wie ein Scheitern der Pläne, die Sachsens Verkehrsminister Martin Dulig mit der von ihm eingesetzten ÖPNV-Kommission hatte. Aber tatsächlich legt sein Versuch, die sächsischen Landräte beim Thema Nahverkehr zu einer gemeinsamen Lösung zu bekommen, die Ursachen der sächsischen Nahverkehrs-Misere offen. Ein Thema, das jetzt auch der Verkehrsexperte der SPD-Fraktion, Thomas Baum, anspricht.

„Sachsens Landräte machen jetzt Stimmung gegen die angekündigte Gründung einer Landesverkehrsgesellschaft. Das ist nachvollziehbar, stehen sie doch wegen ihrer Blockadehaltung in der Kritik. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass es nach wie vor keinen belastbaren Vorschlag der Landräte gibt, um den Verkehrs-Flickenteppich in Sachsen zu beseitigen“, erklärt der Sprecher für Verkehrspolitik der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag.

Und fügt hinzu: „Zur Erinnerung: Die ÖPNV-Strategiekommission hatte nach langen Beratungen vor einem Jahr 13 wichtige Maßnahmen benannt und beschlossen. Davon wurden einvernehmlich fünf herausgehoben, die die Situation in Sachsen grundlegend ändern sollten. Und es wäre Aufgabe der Landräte gewesen, Vorschläge zur Umsetzung vorzulegen.“

Natürlich war die Einsetzung dieser Kommission aus Fachleuten, zu denen auch die Vertreter aus den Zweckverbänden gehörten, ein ganz typisches Politik-Instrument der SPD. Die so auf Ausgleich bemühte Partei versucht immer wieder, in solchen etwas unabhängigeren Gremien Lösungen und Kompromisse erarbeiten zu lassen, die dann von der Politik übernommen werden können.

Der berühmteste Fall ist ja die bekannte Peter-Hartz-Kommission, die 2003 an SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder eine CD mit lauter Ideen für eine komplexe Arbeitsmarktreform übergab.

Fast vergessen ist, dass von diesen Vorschlägen so gut wie nichts übrig geblieben ist. Noch vor der Beschlussfassung im Bundestag wurden die Förder-Vorschläge der Hartz-Kommission aufgeweicht und zusammengestrichen (zu teuer), die Forder- und Sanktionsmittel aber wurden verschärft (die Leute wollen ja gar nicht arbeiten und müssen dazu gezwungen werden). Ergebnis ist genau das, was wir heute als dysfunktionale Jobcenter-Politik kennen.

Statt die Kompetenz der Hartz-Kommission zu akzeptieren, nutzten damals insbesondere die bürgerlichen Parteien ihre Einflussmöglichkeiten, um ihre eigenen, rigiden Vorstellungen von Arbeitsmarktreformen in das Gesamtkonzept zu pressen. Die Expertenkompetenz wurde wieder durch politische Egoismen verdreht.

Und genau das ist Martin Dulig jetzt mit den Ergebnissen der ÖPNV-Kommission passiert. Er hätte nur zu gern gesehen, dass sich die sächsischen Landräte zusammensetzen und gemeinsam ausbaldowern, wie die Kommissionsvorschläge 1:1 umzusetzen gehen. Denn an den materiellen und finanziellen Ressourcen liegt es ja nicht. Es passt nur vieles seit Jahren nicht zusammen.

Und kein Wort kommt sächsischen Nahverkehrsnutzern erbärmlicher vor als dieses klägliche „Tarifzone“. Mitten in Sachsen. Im Freistaat herrscht eine Kleinstaaterei wie im frühen 19. Jahrhundert. Und jeder Kreisfürst beharrt darauf, dass seine Grenzen beachtet werden.

Ergebnis: ein Minimal-Konsens, der niemandem hilft und vor allem den Sachsen überhaupt keine Verbesserung bringt.

„Das, was die Landräte vorgeschlagen haben, werkelt aber nur am derzeitigen Verkehrs-Flickenteppich herum. Um nur einige Beispiele zu nennen: Statt eines Vorschlags für einen einheitlichen Sachsentarif gibt es lediglich Pläne für Anpassungen an den Tarifgrenzen. Und statt eines landesweiten, kostengünstigen Bildungstickets bieten die Landräte lediglich Teillösungen für Auszubildende und Schüler in den jeweiligen Verbundräumen an. Das würde den Tarif- und Angebotsdschungel noch undurchdringbarer machen, der doch eigentlich gelichtet werden soll“, stellt Baum fest. „Verkehrsminister Martin Dulig hat den Vorschlag der Landräte zu Recht einen Minimalkonsens genannt. Und der ist nun mal keine Lösung für das Land.“

Wobei es nicht nur um die fünf Zweckgesellschaften geht, die sich um den schienengebundenen Nahverkehr kümmern, sondern noch viel stärker um die diversen Verkehrsverbünde, die sich um Bus- und Straßenbahnverkehr kümmern. Im Leipziger Raum einerseits also den ZVNL und andererseits den MDV. Der Tarif-Wirrwarr besteht vor allem zwischen den Verkehrsverbünden, aber auch innerhalb der Verkehrsverbünde.

Und das Ärgernis sind nicht so sehr die Bestellungen für Bus- und Zugverkehr, sondern die provinziellen Tarifbildungen, die die Fahrgäste zur Verzweiflung bringen. Warum sollen sie sich eigentlich die ganze Zeit mit unterschiedlichen Tarifzonen und Preisklassen herumschlagen? Was ist das für eine Organisation? Das ist vorsintflutlich – halst den Nutzern des ÖPNV aber lauter Komplikationen auf, die nur noch bürokratischer Art sind. Das ist Gängelei und Ignoranz in einem.

„Und um noch mit einer Mär aufzuräumen, die die Kritiker einer Landesverkehrsgesellschaft jetzt gern verbreiten: Was an regionalen Bussen vor Ort notwendig ist, wird auch künftig weiter vor Ort entschieden werden. Daran hat der Verkehrsminister keinen Zweifel gelassen“, sagt Thomas Baum noch.

„Nach drei Jahren Verhandlung in der Strategiekommission und zehn Monaten Gespräch direkt mit den Landkreisen kann man wohl kaum von Aktionismus sprechen. Die Vorschläge der Landräte entsprechen nicht den Vorgaben der Kommission. Und sie genügen nicht den hohen Ansprüchen, die die Bürgerinnen und Bürger zu Recht an einen modernen öffentlichen Nahverkehr stellen. Wenn die fünf Zweckverbände den Herausforderungen der Zukunft nicht gewachsen sind, brauchen wir neue und effiziente Strukturen.“

Genau diese Politik im provinziellen Kleinklein erzeugt den Frust im Land. Sie bremst jede Entwicklung aus und macht den Sachsen das Leben sauer, erst recht, wenn sie gern auf einen funktionierenden ÖPNV umsteigen würden. Aber dann merken sie schnell, dass sie entweder im Dschungel der Tarif-Paragraphen landen. Oder sie zahlen sich dumm und dämlich mit Tarifen, die nur deshalb so hoch sind, weil sich die lokalen Politiker nicht einigen können.

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