„Sachsen weitet Überwachung von Kfz-Kennzeichen aus“, meldete die „Sächsische Zeitung“ am Dienstag, 13. August. Und fügte auch gleich noch hinzu: „Das automatische Scannen bringt mehr Treffer. Nun plant der Innenminister sogar stationäre Anlagen – trotz eines Gerichtsurteils.“ Eine Meldung, bei der sich die innenpolitischen Sprecher von Linken und Grünen nur noch an den Kopf fassten: Ist denn der Herr Innenminister jetzt völlig von der Rolle?

„So langsam habe ich Zweifel, ob der Innenminister die Verfassung überhaupt noch ernst nimmt. Und mir ist vollkommen unbegreiflich, wie man als Staatsregierung die klaren Worte des Bundesverfassungsgerichts so konsequent ignorieren kann“, kommentierte am Dienstag Valentin Lippmann, innenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Landtag, die Meldung. Besonders verwunderlich fand er die Aussage von Innenminister Roland Wöller (CDU), die Kennzeichenüberwachung in Sachsen sei verfassungsgemäß.

„Weder die alte Regelung zur Kennzeichenüberwachung in Sachsen, noch die neue, die im Jahr 2020 in Kraft tritt und auch ortsfeste Kfz-Scanner erlaubt, entsprechen den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts. Das Gericht hat der Überwachung gerade auf Straßen außerhalb der Grenzregionen klare Schranken aufgezeigt und hohe Anforderungen an die Dokumentation der Entscheidung der Polizei für eine solche Anlage gestellt. Eben aus diesen Gründen bezieht sich unser Normenkontrollantrag gegen das neue Polizeigesetz ausdrücklich auch auf die Kennzeichenerfassung und Gesichtserkennung im grenznahen Raum.“

Dabei bringt schon die bislang praktizierte Kennzeichenerfassung kaum Erfolge, schon gar nicht bei der Aufklärung von Verbrechen, stellt Enrico Stange, der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion, fest: „Der Innenminister zieht sogar die spärlichen Erfolge der automatisierten Kennzeichenerkennung heran, um zu suggerieren, stationäre Kennzeichenscanner seien sinnvoll und ein Sicherheitsgewinn. Auch das zeigt, wie verzweifelt die CDU offenbar auf den 1. September blickt und Boden gutmachen will. Dennoch bleibt es dabei: Die Trefferquote liegt weit unter einem Prozent und die meisten erkannten Straftaten sind Verstöße gegen das Kfz-Pflichtversicherungsgesetz. Im Kampf dagegen ist ein guter Informationsaustausch von Zulassungsstellen und Ordnungsbehörden hilfreich, teure und grundrechtsbedrohende Technik ist es nicht.“

Er sieht Wöllers Forderung ganz im Zeichen des Wahlkampfes, in dem die CDU augenscheinlich ihr Hauptkampffeld im Thema Ordnung und Sicherheit sieht, auch wenn das überhaupt nicht die Themen sind, die tatsächlich brennen, auch nicht in Sachsen. Aber man versucht so wohl irgendwie die Hardliner vom rechten Rand abzufangen, selbst mit Projekten, die bei genauerem Hinschauen nicht erfüllen, was vollmundig von ihnen behauptet wird.

Das Problem ist freilich: Ein Ergebnis der Anfang August eingereichten Normenkontrollklage wird es wahrscheinlich erst nach Inkrafttreten des neuen Polizeigesetzes am 1. Januar geben.

Enrico Stange: „Das neue Polizeirecht tritt erst am 1. Januar 2020 in Kraft, also weit nach der bevorstehenden Landtagswahl. Zweitens hat das Bundesverfassungsgericht im Dezember 2018 die Regelungen zur automatisierten Kennzeichenerkennung aus den Polizeigesetzen Bayern, Hessen und Baden-Württemberg deutlich kritisiert. Drittens haben Die Linke und Bündnis90/Die Grünen auch wegen dieser Entscheidung die Befugnisse zur automatisierten Kennzeichenerkennung und zur Gesichtserkennung mit ihrer Normenkontrollklage gegen das neue Polizeirecht angegriffen. Der Minister wäre gut beraten, die Entscheidung des Verfassungsgerichts abzuwarten.“

Aber wie sein Vorgänger Markus Ulbig setzt augenscheinlich auch Wöller auf Placebo-Maßnahmen, die vor allem mit immer mehr Überwachungstechnik (man denke nur an die ausufernde Kameraüberwachung in Görlitz) den leichtgläubigen Sachsen suggerieren, man müsse nur alles immer dichter überwachen, dann würde man noch mehr Verbrecher fangen und die Sicherheit im Land erhöhen.

„Dass der Innenminister einmal mehr die Mär von der Wirksamkeit der Kennzeichenscanner erzählt, zeigt zudem deutlich, wie hoch offenbar der Erfolgsdruck ist“, meint Valentin Lippmann. „Denn tatsächlich ist eine polizeiliche Maßnahme, die millionenfach in die Grundrechte von Autonutzerinnen und -nutzer eingreift, absolut unverhältnismäßig, wenn damit in erster Linie Versicherungsdelikte geahndet werden. Die lächerlich geringe Zahl der gestohlenen oder unterschlagenen Fahrzeuge, die mithilfe dieser Maßnahme sichergestellt werden konnten, steht in keinerlei Verhältnis zum Eingriff.“

Aber er hat dabei auch ein mulmiges Gefühl. „Interessant ist die Tatsache, dass der Innenminister bereits heute den Einsatz der stationären Kennzeichenscanner vorbereitet. Bislang hieß es, man benötige die Zeit bis zum Inkrafttreten des neuen Polizeigesetzes zur Schulung der Polizeibediensteten“, merkt der Innenexperte der Grünen an. „Ich fordere den Innenminister auf, das Projekt zumindest so lange auf Eis zu legen, bis der Sächsische Verfassungsgerichtshof über unsere Klage entschieden hat. Alles andere wäre ein verwerfliches Spiel mit den Grundrechten.“

Grüne und Linke haben jetzt Verfassungsklage gegen das neue sächsische Polizeirecht vorgelegt

Grüne und Linke haben jetzt Verfassungsklage gegen das neue sächsische Polizeirecht vorgelegt

Hinweis der Redaktion in eigener Sache: Eine steigende Zahl von Artikeln auf unserer L-IZ.de ist leider nicht mehr für alle Leser frei verfügbar. Trotz der hohen Relevanz vieler unter dem Label „Freikäufer“ erscheinender Artikel, Interviews und Betrachtungen in unserem „Leserclub“ (also durch eine Paywall geschützt) können wir diese leider nicht allen online zugänglich machen.

Trotz aller Bemühungen seit nun 15 Jahren und seit 2015 verstärkt haben sich im Rahmen der „Freikäufer“-Kampagne der L-IZ.de nicht genügend Abonnenten gefunden, welche lokalen/regionalen Journalismus und somit auch diese aufwendig vor Ort und meist bei Privatpersonen, Angehörigen, Vereinen, Behörden und in Rechtstexten sowie Statistiken recherchierten Geschichten finanziell unterstützen.

Wir bitten demnach darum, uns weiterhin bei der Erreichung einer nicht-prekären Situation unserer Arbeit zu unterstützen. Und weitere Bekannte und Freunde anzusprechen, es ebenfalls zu tun. Denn eigentlich wollen wir keine „Paywall“, bemühen uns also im Interesse aller, diese zu vermeiden (wieder abzustellen). Auch für diejenigen, die sich einen Beitrag zu unserer Arbeit nicht leisten können und dennoch mehr als Fakenews und Nachrichten-Fastfood über Leipzig und Sachsen im Netz erhalten sollten.

Vielen Dank dafür und in der Hoffnung, dass unser Modell, bei Erreichen von 1.500 Abonnenten oder Abonnentenvereinigungen (ein Zugang/Login ist von mehreren Menschen nutzbar) zu 99 Euro jährlich (8,25 Euro im Monat) allen Lesern frei verfügbare Texte zu präsentieren, aufgehen wird. Von diesem Ziel trennen uns aktuell 500 Abonnenten.

Alle Artikel & Erklärungen zur Aktion Freikäufer“

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar