Am Freitagnachmittag warb Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) in Leipzig um Stimmen für die anstehende Landtagswahl. Bei schwülen Spätsommertemperaturen hatte der Landespolitiker aus Dresden einige Politprominenz aus Berlin dabei – und eine Botschaft Richtung AfD.

Müde und abgekämpft wirkte Michael Kretschmer zuweilen, als er am Freitagnachmittag auf dem Nikolaikirchhof vor mehreren hundert Menschen um Stimmen für seine Partei bei der Landtagswahl am Sonntag warb. Mögen auch schwüle Spätsommertage ihren Tribut fordern, dürften zugleich die Strapazen der vielen öffentlichen Auftritte innerhalb der letzten Wochen eine arge Belastung sein – und die Ungewissheit, wie es in Sachsen politisch weitergeht.

Kretschmer jedenfalls gab sich betont zurückhaltend ob der aktuellen Umfragen, die seine Partei wieder mit deutlichem Vorsprung gegenüber der AfD sehen: „Umfragen sind keine Wahlergebnisse“, so der 44-Jährige, der ankündigte, auch in den verbleibenden 72 Stunden bis zur Wahl um jede Stimme kämpfen zu wollen. Wiederum zeigte er sich zudem deutlich um eine Abgrenzung zur AfD bemüht: Man solle sich nur mal den Schmutz ansehen, der in sozialen Netzwerken über ihn ergossen wird, rief Kretschmer ins Mikrofon. Die AfD dürfe keine Regierungsverantwortung übernehmen. Eine Ansage, die von den meisten, oft älteren Zuschauern mit Beifall quittiert wurde.

Schützenhilfe bekam der Ministerpräsident von der aus Berlin angereisten Parteiprominenz: Neben Gesundheitsminister Jens Spahn und Verteidigungsministerin sowie Bundesvorsitzender Annegret Kramp-Karrenbauer hatten sich auch der 26-Jährige Philipp Amthor, zweitjüngster Abgeordneter des aktuellen Bundestages, und CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak eingefunden.

Freilich blieben deren kurze Beiträge in den Spuren einstudierter Rhetorik und insofern kaum überraschend. Spahn wandte sich gegen Extremisten aller Couleur und sprach sich für konstruktive Diskussionen aus. Kramp-Karrenbauer nannte Kretschmer das „Beste, was Sachsen passieren konnte“ und zeichnete das Bild eines Kümmerers, während Amthor nur Lob für Sachsens neues Polizeigesetz übrig hatte. Moderiert wurde die Runde vom Sportjournalisten Waldemar Hartmann.

Beim anschließenden „Bad in der Menge“ konnten Besucher ihre Fragen an Kretschmer loswerden – zumindest theoretisch. Doch viele blieben außen vor. Er wolle mal eine Frage stellen, rief ein älterer Herr mit leiser Stimme in Kretschmers Richtung – vergeblich. Stattdessen hörte sich Kretschmer die Probleme einer Gruppe behinderter und offenbar pflegebedürftiger Menschen an, händigte am Ende seine Mailadresse aus. Man werde sich kümmern, versprach er.

Die behinderten Menschen, von denen einige Protestschilder mitgebracht hatten, waren auch fast die einzigen, bei denen sich hörbarer Widerstand regte. Der entlud sich vor allem in kurzen Buh-Rufen bei der Vorstellung Spahns, dessen umstrittener Gesetzentwurf für die Intensivpflege derzeit für viel Unmut sorgt. Ansonsten blieb es bei wenig Zwischenrufen. Ob die auch vom ehemaligen Legida-Aktivisten und als Störer bekannten Stephane Simon kamen, war nicht festzustellen – zumindest lief der Franzose aber auch auf der Veranstaltung umher.

Image des Kümmerers: Kretschmer sprach auch mit einer Gruppe Behinderter über deren Probleme und sagte Hilfe zu. Foto: Lucas Böhme
Image des Kümmerers: Kretschmer sprach auch mit einer Gruppe behinderter Menschen über deren Probleme und sagte Hilfe zu. Foto: Lucas Böhme

Kretschmers kämpferische Inbrunst abseits einer Siegerattitüde scheint mehr als berechtigt. Denn auch wenn die CDU in den aktuellen Umfragen deutlich vor der AfD liegt, steuert sie mit prognostizierten rund 30 Prozent womöglich auf das schlechteste Ergebnis in Sachsen seit der Wiedervereinigung zu, will aber weiter regieren. Auf der Suche nach Koalitionspartnern wird ein starker AfD-Block mit einiger Sicherheit neuartige Politmanöver erzwingen, da Kretschmer eine Koalition mit den Rechtspopulisten kategorisch ausschließt. Rechnerisch wird momentan über ein mögliches Kenia-Bündnis aus CDU, SPD und Grünen spekuliert. Die Schwierigkeiten bei den Koalitionsverhandlungen sind da vorprogrammiert, denn bei Themen wie Sicherheits- und Energiepolitik dürften die Vorstellungen gerade der Grünen weit auseinanderklaffen.

Kretschmer hatte noch im Vorjahr die Hetzjagden bei den Ausschreitungen in Chemnitz bezweifelt und vorschnell Polizisten in Schutz genommen, die ein Kamerateam nach dessen Konfrontation mit einem Pöbler am Rande einer Dresdener Legida-Kundgebung 45 Minuten festgesetzt hatten. Derlei Fehltritte will er nun offenbar vermeiden. Deutlich spricht er sich gegen Rechtsextremismus aus und geht auf Distanz zum ehemaligen Verfassungsschutz-Präsidenten Hans-Georg Maaßen und der „Werteunion.“

In seinem Heimatwahlkreis Görlitz tritt er gegen den AfDler Sebastian Wippel an, dem der Chefsessel im Rathaus bei der letzten Oberbürgermeisterwahl vor einigen Wochen erst nach einer Stichrunde versagt blieb. Zugleich tut Kretschmer viel, um AfD-Wähler wieder zu sich zu holen. Ob ihm die Gratwanderung gelingt, wird sich am Sonntag zeigen. Doch Kretschmer weiß mit Sicherheit, dass es auch um ihn geht – und seinen politischen Überlebenskampf.

Wirklich ernsthafte Klimapolitik in Sachsen gibt es nur mit Grünen, Linken und SPD

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