Ist es denkbar, dass der sächsische Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) beziehungsweise sein gesamtes Ministerium jahrelang nicht wussten, dass im Internet eine Liste mit den Namen jener Personen kursiert, die am 11. Januar 2016 als Neonazimob in Connewitz randaliert haben sollen? Ja, es ist nicht nur denkbar, sondern sogar Tatsache – zumindest wenn man einem Sprecher des Justizministeriums glaubt, der genau das in einem MDR-Beitrag behauptet hat.

Anlass für die Berichterstattung waren die gemeinsamen Enthüllungen von „kreuzer“ und „Tagesspiegel“, dass es sich bei einem der Connewitz-Angreifer offenbar um einen Justizbeamten handelt. Dieser arbeitete demnach bis zu seiner Suspendierung im Januar dieses Jahres in verschiedenen Justizvollzugsanstalten und hatte dort – so berichten es die beiden Medien – Kontakt zu Rechtsradikalen, darunter mehrere Personen, die ebenfalls wegen des 11. Januar 2016 angeklagt sind.

„Im konkreten Fall war es so, dass die Generalstaatsanwaltschaft dem Staatsministerium der Justiz mit Bericht vom 17. Dezember 2018 den Bericht der Staatsanwaltschaft Leipzig vom 14. Dezember 2018 weitergeleitet hat, aus welchem erstmals hervorging, dass Herr H. von Beruf Justizvollzugsbeamter ist“, erklärt ein Sprecher des Justizministeriums auf Anfrage der LEIPZIGER ZEITUNG. „In der Anklageschrift gegen Herrn H. ist als Beruf ein anderer Beruf vermerkt, weil Herr H. im Ermittlungsverfahren falsche Angaben zu seinem Beruf getätigt hat. Unmittelbar in der Folge wurden die zur Suspendierung notwendigen Schritte eingeleitet.“

Offen blieb die Frage, warum die Suspendierung erst drei Jahre nach der mutmaßlichen Tat erfolgte. Kersten H. gehört zu jenen 215 Personen, deren Namen Anfang 2017 auf linksradikalen Internetseiten aufgetaucht waren. Es handelt sich dabei um die Personen, die die Polizei noch am 11. Januar 2016 in Connewitz festsetzen konnte. Ein Ministeriumssprecher hatte dem MDR gesagt, dass man die Namen auf der Liste überprüft hätte, wenn die Liste früher bekannt gewesen wäre.

Dass die Liste ausgerechnet im Justizministerium unbemerkt blieb, wirkt unglaubwürdig. Anfang 2017 hatten mehrere Medien darüber berichtet. In einem damals veröffentlichten LVZ-Artikel heißt es, dass das auf „Extremismus“ spezialisierte Operative Abwehrzentrum der Polizei deswegen ermittle und „die zuständigen Polizeireviere informiert und sensibilisiert“ worden seien. In den sozialen Medien wurde die Liste seitdem immer wieder verlinkt.

Das Justizministerium erklärt auf Anfrage, dass es gesetzliche Grundlagen gebe, wonach beispielsweise Staatsanwaltschaften ihre Erkenntnisse mitteilen könnten – im Falle der Ermittlungen gegen die Connewitz-Angreifer erst dann, als Anklage erhoben wurde. Wie es erklärbar ist, dass kein Mitarbeiter des Ministeriums von der Liste mit den Namen wusste, geht aus der Antwort auf die Anfrage nicht hervor.

Möglicherweise hat sich das Justizministerium mit der Behauptung, die Liste nicht gekannt zu haben, mehr geschadet, als wenn es einfach mitgeteilt hätte, die Namen gekannt, aber nicht überprüft zu haben.

Die Leipziger Zeitung, Ausgabe September 2019 ist am 27. 09. 2019 erschienen und hier zu kaufen.

Grüne und Linke verlangen Aufklärung: Auch ein Justizbeamter war am Neonaziangriff auf Connewitz beteiligt

Grüne und Linke verlangen Aufklärung: Auch ein Justizbeamter war am Neonaziangriff auf Connewitz beteiligt

 

Hinweis der Redaktion in eigener Sache: Eine steigende Zahl von Artikeln auf unserer L-IZ.de ist leider nicht mehr für alle Leser frei verfügbar. Trotz der hohen Relevanz vieler unter dem Label „Freikäufer“ erscheinender Artikel, Interviews und Betrachtungen in unserem „Leserclub“ (also durch eine Paywall geschützt) können wir diese leider nicht allen online zugänglich machen.

Trotz aller Bemühungen seit nun 15 Jahren und seit 2015 verstärkt haben sich im Rahmen der „Freikäufer“-Kampagne der L-IZ.de nicht genügend Abonnenten gefunden, welche lokalen/regionalen Journalismus und somit auch diese aufwendig vor Ort und meist bei Privatpersonen, Angehörigen, Vereinen, Behörden und in Rechtstexten sowie Statistiken recherchierten Geschichten finanziell unterstützen.

Wir bitten demnach darum, uns weiterhin bei der Erreichung einer nicht-prekären Situation unserer Arbeit zu unterstützen. Und weitere Bekannte und Freunde anzusprechen, es ebenfalls zu tun. Denn eigentlich wollen wir keine „Paywall“, bemühen uns also im Interesse aller, diese zu vermeiden (wieder abzustellen). Auch für diejenigen, die sich einen Beitrag zu unserer Arbeit nicht leisten können und dennoch mehr als Fakenews und Nachrichten-Fastfood über Leipzig und Sachsen im Netz erhalten sollten.

Vielen Dank dafür und in der Hoffnung, dass unser Modell, bei Erreichen von 1.500 Abonnenten oder Abonnentenvereinigungen (ein Zugang/Login ist von mehreren Menschen nutzbar) zu 99 Euro jährlich (8,25 Euro im Monat) allen Lesern frei verfügbare Texte zu präsentieren, aufgehen wird. Von diesem Ziel trennen uns aktuell 500 Abonnenten.

Alle Artikel & Erklärungen zur Aktion Freikäufer“

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

René Loch über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar