Justizministerin Katja Meier (Grüne) stärkt endlich das Ermessen der sächsischen Staatsanwälte. Ihr Konzept für eine Neuregelung der einheitlichen Strafverfolgungspraxis im Freistaat sieht vor, dass die Staatsanwaltschaften in eigener Verantwortung gemeinschaftliche Richtlinien erarbeiten. Die geltende Rundverfügung von Generalstaatsanwalt Hans Strobel soll spätestens bis 30. Juni 2021 aufgehoben werden.

Strobels Rundverfügung fußt auf der „Null-Toleranz-Strategie“, die Meiers Amtsvorgänger im Justizministerium Sebastian Gemkow (CDU) initiiert hatte. Seit dem Inkrafttreten am 1. März 2020 in Sachsen sind die Möglichkeiten der Staatsanwälte, auf Bagatellkriminalität angemessen zu reagieren, stark eingeschränkt.

Dies führt dazu, dass insbesondere im Bereich der Kleinkriminalität in bestimmten Fällen nicht mehr von der gesetzlichen Möglichkeit der Verfahrenseinstellung Gebrauch gemacht werden kann. Das Vorgehen und die Maßnahmen hatten zu erheblicher Kritik in Wissenschaft und Praxis geführt, auch weil zuvor keine Einbindung der Praxis stattfand.

Anfang 2020 der OBM-Kandidat der CDU in Leipzig: Sebastian Gemkow (CDU). Foto: Michael Freitag
Anfang 2020 der OBM-Kandidat der CDU in Leipzig: Sebastian Gemkow (CDU). Foto: Michael Freitag

Die Staatsanwälte sind seither angehalten, selbst in Bagatellfällen Strafbefehle zu beantragen oder Anklage zu erheben. Wo also zuvor zum Beispiel Verfahren wegen des einmaligen Schwarzfahrens (als Erschleichung von Leistungen) oder dem illegalen Bezug von Strom eingestellt oder gar nicht eröffnet wurden, müssen aktuell sächsische Staatsanwaltschaften auch diesen minderschweren Delikten nachgehen. Meist handelt es sich hierbei zudem um genau die Deliktfelder, die im finanziell schwachen Bereich auftreten.

Mit Folgen: notorisch unterbesetzte und überlastete Staatsanwaltschaften geraten zusätzlich unter Druck, während noch im August 2020 keinerlei Nachweis über die Auswirkungen erbracht werden konnte.

Mit der Neukonzeptionierung soll das Ziel des Koalitionsvertrages realisiert werden, das Ermessen der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte im Rahmen ihrer Verfügungspraxis zu stärken. Zugleich wird ein strukturell neuer Rahmen für zukünftige Regelungen zur Verfügungspraxis der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte geschaffen. Künftig können entsprechende allgemeine Regelungen nur noch als Orientierungshilfe in Form von Richtlinien erlassen werden.

Diese Richtlinien sollen lediglich Anhaltspunkte für eine sachgerechte Entscheidung der Staatsanwaltschaft bieten, wobei ihre Anwendung genauso wie ein Abweichen hiervon im Einzelfall geprüft werden sollen.

„Ermessen der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte zu stärken heißt, den Einzelfall, den Mensch und seine Tat zu betrachten und nicht nach einem vorgegebenen Schema vorzugehen. Die Strafverfolgungspraxis in Sachsen wird daher künftig nicht mehr durch starre Maßgaben, sondern durch Orientierungshilfen ausgestaltet“, erklärte Meier.

Die Richtlinien, die gemeinschaftlich von den sächsischen Staatsanwaltschaften unter Beteiligung der Personalvertretung erarbeitet werden, sollen vergleichbare Regelungen in anderen Bundesländern berücksichtigen und eine möglichst einheitliche Handhabung ermöglichen. Sie sind zudem auf der Grundlage statistischer und kriminologischer Erkenntnisse zu erlassen und zu begründen und alle zwei Jahre zu überarbeiten.

Das Verfahren ist in einer Verwaltungsvorschrift geregelt, die am Dienstag, 29.12.2020, in Kraft getreten ist.

„Auch die Strafverfolgung muss auf wissenschaftlicher Erkenntnis basieren“, sagte die Grünen-Politikerin. „Aus der kriminologischen Forschung wissen wir, dass insbesondere in den Bereichen der Kleinkriminalität aber auch der Suchtkriminalität durch vermeintlich strenge Praxis kein positiver Effekt erzielt wird, im Gegenteil. Hier gilt es vor allem, präventiv zu arbeiten.“

Zugleich sei es „wichtiger denn je, die knappen Ressourcen und die hochqualifizierte Arbeit der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte dort einzusetzen, wo sie gesellschaftlich relevant wird, insbesondere im Bereich der Schwerkriminalität, bei Gewalt-, Wirtschafts- und Organisierter Kriminalität.“

Damit wird 2021 also der eher symbolische Law and Order – Alleingang des Freistaates Sachsen nach etwa einem Jahr bei Bagatelldelikten wieder enden.

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