Das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) hat rechtswidrig Daten über Landtagsabgeordnete der „Alternative für Deutschland“ (AfD) gesammelt. Zu diesem Schluss kommt die Parlamentarische Kontrollkommission in ihrem Abschlussbericht, der seit dem 7. Dezember vorliegt. Im Juni 2020 war bekannt geworden, dass der Nachrichtendienst personenbezogene Daten zu Abgeordneten der AfD erhoben hatte.

Die Partei war seinerzeit kein Beobachtungsobjekt. Zwar zählt das Sammeln von Informationen über potenziell extremistische Bestrebungen zum Kerngeschäft der Inlandsnachrichtendienste. Für Abgeordnetendaten gilt seit der sogenannten „Ramelow-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2013 ein sehr strenger Maßstab.

In der Prüfphase ist die vorübergehende Sammlung und Speicherung von Abgeordnetendaten mit dem Ziel der Ermittlung ihrer organisatorischen Relevanz innerhalb der Partei zulässig. Die Anfertigung von Abwägungsvermerken ist nicht nötig. Im Ergebnis muss das Landesamt entscheiden, ob der als Prüffall zum Verdachtsfall eingestuft wird oder ob die Prüfung keine verfassungsschutzrechtliche Relevanz ergeben hat und beendet wird.

Hinsichtlich der Daten von Abgeordneten ist zu klären, ob die erhobenen personenbezogenen Daten in die Verdachtsfallbearbeitung übernommen werden sollen. In dem Fall ist ein entsprechender Abwägungsvermerk anzufertigen, in dem die Gründe für die Speicherung mit hinreichender Belegtiefe niedergelegt sind. Diesem Erfordernis wurden die Abwägungsvermerke der sächsischen Verfassungsschützer nach Einschätzung der parlamentarischen Kontrolleure nicht gerecht.

Für die Kommission stellt sich der Vorgang folgendermaßen dar: Das Landesamt stufte die AfD am 15. Januar 2019 als „Prüffall“ ein und begann mit der Erhebung von Abgeordnetendaten. Während des ersten Halbjahrs 2019 erstellte das Bundesamt für Verfassungsschutz einen Leitfaden zum Umgang mit Abgeordnetendaten, den die Sachsen geflissentlich ignorierten.

Im Juli legten die Verfassungsschützer dem Innenministerium Entwürfe der Abwägungsvermerke vor. Seitdem ergingen wiederholt Aufforderungen der Fachaufsicht, diese inhaltlich zu überarbeiten. Spätestens nachdem das Bundesamt für Verfassungsschutz im März 2020 den „Flügel“ in der AfD als „erwiesen rechtsextremistisch“ einstufte, lagen die rechtlichen Bedingungen zur Speicherung des Datenmaterials vor.

Das Titelblatt der LZ Nr. 87, Ausgabe Januar 2021. Screen LZ
Das Titelblatt der LZ Nr. 87, Ausgabe Januar 2021. Screen LZ

Statt die Vermerke anzupassen, beharrte der Geheimdienst auf seinem Standpunkt. Schließlich platzte dem Minister der Kragen. Roland Wöller (CDU) wies am 2. Juni die Löschung der Datensammlung an. Er ersetzte außerdem den bisherigen Verfassungsschutzpräsidenten Gordian Meyer-Plath durch Dirk-Martin Christian, der bis dato für die Fachaufsicht über das Landesamt zuständig war.

Der Jurist ließ bis Anfang Dezember neue Vermerke anfertigen. Seitdem soll die Beobachtung der AfD-Parlamentarier rechtskonform erfolgen. Ob der Verfassungsschutz die rechtswidrig gespeicherten Daten zwischenzeitlich gelöscht hat, ist nicht bekannt. Die Behörde hat die Angelegenheit zur Geheimsache erklärt.

Zusätzlich wurde im Herbst bekannt, dass der Nachrichtendienst in seinem hausinternen Dokumentenmanagementsystem Daten über Abgeordnete anderer Fraktionen gespeichert hatte. In Auskunftsersuchen hatte die Behörde Rico Gebhardt (Linke) und Christin Melcher (Grüne) mitgeteilt, personenbezogene Informationen zu besitzen, die sie nicht zur Erfüllung ihrer Aufgabe benötigen. Anders ausgedrückt: Die Daten wurden ohne existierende Rechtsgrundlage erhoben.

Wie viele Parlamentarier von der Datensammelwut des Verfassungsschutzes tatsächlich betroffen sind, ist nicht bekannt. Die Behörde verweigert Landtag und Presse hartnäckig jegliche Auskünfte. Behördensprecherin Patricia Vernhold verwies die „Leipziger Zeitung (LZ)“ auf „überwiegende Belange des Geheimschutzes“. Ein schwaches Argument, da die Vorgänge öffentlich bekannt sind.

„In Angelegenheiten der Abgeordnetenspeicherung berichtet das LfV Sachsen gegenüber der Fachaufsicht des Staatsministeriums des Innern und der Parlamentarischen Kontrollkommission“, ergänzte Vernhold. Das Gremium, das den Verfassungsschutz kontrollieren soll, tagt unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Journalisten dürfen den Sitzungen nicht beiwohnen und Teilnehmern ist es nicht erlaubt, mit Dritten über das Gehörte zu sprechen.

Sächsische Abgeordnete wurden rechtswidrig ausgespäht“ erschien erstmals am 29. Januar 2021 in der aktuellen Printausgabe der LEIPZIGER ZEITUNG. Unsere Nummer 87 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.

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