Der Landtag umzäunt und abgegittert, Polizeipräsenz schon lange vor der heutigen Aussprache am Bernhard von Lindenau Platz 1 in Dresden: Am 6. Dezember 2021 startete um 13 Uhr die Aussprache zum Antrag der Landesregierung. Die „Feststellung der Anwendbarkeit des § 28a Absatz 1 bis 6 Infektionsschutzgesetz für den Freistaat Sachsen gemäß § 28a Absatz 8 Infektionsschutzgesetz“ oder kurz, die Feststellung der „pandemischen Lage“ in Sachsen. Mit Rechtsfolgen für alle im Freistaat lebenden Bürger. Die Debatte haben wir in diesem Beitrag live verfolgt und beschrieben.

In seiner zum Antrag einführenden Rede stellte Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) heute die „pandemische Lage im Freistaat Sachsen“ fest. Nicht ohne das Verfahren, dass dies nun die 16 Bundesländer in Deutschland nach dem neuen Infektionsschutzgesetz jedes einzeln tun müssen, ein „abenteuerliches“ zu nennen. Die Pandemie mache nicht an Landesgrenzen halt, so Kretschmer zur Neuregelung, welche auf die Ampelkoalition zurückgeht.Für Sachsen sei die Lage klar. Eine „2.300er Inzidenz als bundesdeutscher Spitzenreiter im Landkreis Meißen, eine Belegung mit 519 Bürgerinnen und Bürger auf den Intensivstationen“ mit COVID-19-Erkrankung machte nun die Erklärung der pandemischen Lage nötig.

Schnellere Justiz, Vertrauen zu Olaf Scholz

Gleichzeitig versuchte Kretschmer, die Bilder der vergangenen Tage zu kaschieren, ohne den Namen seines Parteifreundes und Innenministers Roland Wöller zu nennen. Stattdessen kündigte er das an, was die Beamten in den vergangenen Tagen allzu oft unterließen. „Die sächsische Polizei wird mit großer Professionalität dem Recht Geltung verschaffen“, so Kretschmer als Ausblick auf die Durchsetzung der Coronaregeln.

Im Anschluss forderte Kretschmer die Justiz auf, im Falle der Verfolgung von Verstößen zu „beschleunigten Verfahren“ überzugehen. Irritierend dabei wahrscheinlich, dass es bei Coronaverstößen maßgeblich um Ordnungswidrigkeiten und Bußgelder von 250 bis deutlich über 1.000 Euro bei gewerblichen Verstößen geht. Vielleicht sollen diese nun schneller ausgestellt werden.

Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). Archivfoto: Matthias Rietschel
Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). Archivfoto: Matthias Rietschel

Die AfD, welche als größte Oppositionsfraktion nach ihm sprechen würde, griff der Ministerpräsident dann gleich noch frontal an. Zur gleichen Zeit, als die COVID-19-Erkrankung von Ivo Teichmann (AfD) am Wochenende durch ihn selbst bekannt wurde, habe eine Demonstration in Pirna stattgefunden. Auch „durch seine Partei“ befördert, so Kretschmer. Zudem gab es einen Fackelaufzug vor dem Haus von Sozial- und Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD).

Seine Rede schloss der Ministerpräsident mit dem Hinweis auf das beste Mittel, was bereits andere Krankheiten ausgerottet und besiegt habe: das Impfen. Und einem Hinweis auf die Bundesebene. Hier sehe er einen Olaf Scholz, welcher im Gegensatz zur FDP die Lage klar sehe und handeln wird.

Die AfD sieht Dauerzustand

Jedes fünfte Intensivbett sei abgebaut worden, so Jörg Urban (AfD) zum Einstieg in seine Rede. Dabei blieb er zum Glück nicht und kam über die Kritik an den Investitionen in sächsischen Krankenhäusern anschließend statt dieser halbfalschen Behauptung zum Kern seiner Kritik an der Landesregierung. „Im Coronajahr 2020 haben Sie kein zusätzliches Gesundheitspersonal gewonnen“, so Urban, der damit gleichzeitig die Messlatte der „Krankenbettenbelegungen“ in den Intensivstationen infrage stellte.

Bei dieser oft erzählten Geschichte vergaß auch heute Urban, dass es nicht wirklich schön ist, auf einer Intensivstation um Luft zu ringen und zu 50 Prozent mit einem Bein im Grab zu stehen, weil man mit COVID-19-Diagnose dort gelandet ist.

Am Ende verstieg sich Urban dann zum Einstieg in eine weitere Verschwörungstheorie, indem er behauptete, die möglichen weiteren Eindämmungsmaßnahmen und die bereits bestehenden würden „dauerhaft und wirtschaftsfeindlich“ installiert. Glaubte man das, wäre es also erklärtes Ziel aller Regierungen weltweit bis zur sächsischen, der Wirtschaft möglichst nachhaltig zu schaden und eine „Diktatur“ zu errichten.

„Kommende Winter“

Christian Hartmann (CDU), Foto: CDU Sachsen
Christian Hartmann (CDU), Foto: CDU Sachsen

Christian Hartmann verwies im anschließenden Redebeitrag der CDU-Fraktion auf die Durchsetzungsdefizite und verlangte mehr Engagement derjenigen, die glaubten, nicht mitmachen zu müssen. Die Maßnahmen „müssten konsequent umgesetzt werden“, damit sie auch wirken. „Wer seine Maske unter der Nase trägt, braucht sie auch gar nicht zu tragen.“ Man sei auch kein Volksrevolutionär, wenn man gegen Coronaschutzmaßnahmen verstoße, so Hartmann.

Und, so Hartmann: „Auch in den kommenden Wintern wird es noch Schutzmaßnahmen brauchen“, weitere Medikamente und sogenannte „Totimpfstoffe“ geben. Mit einer Warnung gegenüber Geimpften, sich nicht fahrlässig zu verhalten und einem Aufruf zur Boosterung schloss Hartmann.

Behördenversagen und ein Totalausfall

Rico Gebhardt (MdL, Die Linke). Foto: LZ
Rico Gebhardt (MdL, Die Linke). Foto: LZ

Nach einer grundlegenden Bejahung der Abstimmung pandemischer Lagen nicht mehr auf Bundes-, sondern nun auf Landesebene in den einzelnen Bundesländern nannte der nächste Redner, Rico Gebhardt (Linke), Innenminister Roland Wöller einen „Totalausfall, nicht nur in der Pandemie“.

Zu den derzeitigen Vorgängen auf den Straßen vermisste Gebhardt beim Innenminister die Unterscheidung zwischen „Versammlungen“ (von bis zu 10 Personen) und „Ansammlungen“ (also das, was die „Freien Sachsen“ seit Wochen befördern und promoten).

Es handele sich um „Ansammlungen, also nicht angemeldete Versammlungen“, das müsse ein Professor – an Wöller gerichtet – ja wohl wissen. Und auch die Forderung nach schnelleren Justizverfahren stellte Gebhardt deutlich infrage, es handele sich schließlich um Ordnungswidrigkeiten und keine Straftaten.

Die gesamte Regierung habe zudem im Krisenmanagement in Sachsen weitgehend versagt. „Die zweite Welle wurde total unterschätzt. Der Sonderweg beim Impfen in Sachsen war ein totaler Irrweg. Außer der Sozialministerin habe die Regierung in der Krise irgendwie nicht ihre Arbeit gemacht“. Am Ende nahm Gebhardt Ministerpräsident Kretschmer auch selbst ins Visier.

„Sie sollten mal führen und nicht nur reden. Wir unterstützen dennoch die Staatsregierung auch weiterhin bei ihrem ‚Bemühen‘, Betonung auf bemühen“ und deshalb werde die Linke den Antrag der Staatsregierung unterstützen und mit Ja stimmen, so Gebhardt abschließend.

Eklatante Durchsetzungsprobleme

Franziska Schubert (B90/Grüne). Foto: Juliane Mostertz
Franziska Schubert (B90/Grüne). Foto: Juliane Mostertz

Franziska Schubert (Grüne) attestierte den „radikalen Demokratiefeinden“ in Sachsen, am Rande zum Terrorismus zu agieren. Auch keiner der AfD-Abgeordneten habe darauf reagiert, als Kretschmer sich mit Petra Köpping solidarisiert habe. „Wir dürfen uns nicht terrorisieren lassen von einer lauten, aggressiven Minderheit“ in dieser Pandemie, so Schubert abschließend.

Dies trieb Jörg Urban (AfD) zu einer Kurzintervention. Die Rede Schuberts nannte er „Heuchelei“, da sie den Begriff „Coronaleugner“ genutzt hatte. Auch der Begriff „Truppenteile“ sei Hetze.

Selbstverständlich lehne er die Machtdemonstration vor dem Haus von Frau Köpping ab, und dann wurde die AfD wieder zum Opfer. So etwas habe die AfD schon viel härter erlebt von der „Antifa“.

Dirk Panter, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag. Foto: LZ
Dirk Panter, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag. Foto: LZ

Dirk Panter (SPD) stellte anschließend fest, „wir sind alle pandemiemüde“. Was jedoch nicht in Ordnung ist, „wenn dies in Hass umschlägt, wer andere Menschen einschüchtert und bedroht, hat eine rote Linie überschritten. Wir stehen nicht nur an der Seite von Petra Köpping, sondern auch an der der Menschen in den Impfzentren und Krankenhäusern.“

Es zeige den mangelnden Anstand von Urban und der AfD, als einziger Redner dies nicht zu betonen.

Seit Wochen fordere die SPD einen erhöhten Schutz für Petra Köpping, nun sei es eben am Freitag passiert. Statt sich um die Sicherheitsprobleme im Freistaat zu kümmern, „werden in Sachsen Abschiebungen von 7-jährigen Kindern verteidigt. Hier müssten sich grundlegende Dinge ändern“, so der SPD-MdL zum schiefen Fokus im Innenministerium.

Zum Coronaausblick und den derzeitigen, auch von der AfD unterstützten Debatten, betonte Dirk Panter „es droht eine Welle von Toten“, es gäbe also „Wichtigeres, als sich hier ständig mit Pseudowahrheiten herumschlagen zu müssen.“ Auch die Diskussion um die sächsische Wirtschaft durch die Coronamaßnahmen streifte der Redner. „Umsatz kann man erstatten, verlorene Bildungschancen nicht“, so Panter zum Hauptaugenmerk der SPD, die Schulen weiterhin am Laufen zu halten.

Als weitere jetzt deutlich besser zu schützenden Gruppen nannte Panter die Senioren und die Krankenhausmitarbeiter – hier vor allem vor weiteren Überlastungen.

Als falsche Prioritäten nannte Panter auch die „falsche Sparsamkeit“ beim Schließen der Impfzentren in Sachsen, entgegen der Intervention von Petra Köpping zu diesem Zeitpunkt. Hier gehe es auch um „verlorenes Vertrauen“ bei den Bürgern. Gleichzeitig betonte Panter auch, dass „wir hier alle Fehler gemacht haben“, wie zuvor auch Hartmann für die CDU.

ITS-Aufenthalt keine „AIDA-Kreuzfahrt“ & Zustimmung zum Gesetz

Kathleen Kuhfuß (Grüne) ging in einer wenig wahrgenommenen zweiten Rederunde in ihrem Beitrag einen Schritt über die aktuelle Debatte hinaus und wagte einen Ausblick auf Impfpflichten, vor allem in pflegenden Berufen. In diesen hätte es rings um die Einführung der verpflichtenden Masernschutzimpfung eben keine massenhaften Kündigungen gegeben.

Zudem sei auch sie in einem solchen Berufsfeld tätig; auch sie habe bereits vor COVID-19 ihren Impfstatus angeben und Impfungen gegebenenfalls nachholen müssen, um überhaupt arbeiten zu können.

Kathleen Kuhfuß (B90/Die Grünen, MdL). Foto: Eric Heffentraeger
Kathleen Kuhfuß (B 90 / Die Grünen, MdL). Foto: Eric Heffentraeger

Zuvor erklärte die Landtagsabgeordnete, dass alle Maßnahmen, die nach Beschluss der „Pandemischen Lage“ heute, am Mittwoch, im Innenausschuss besprochen werden und nicht „gegen die Bürger“ zu machen sein würden. Am Freitag sollen dann die konkreten Maßnahmen bekannt werden – allerdings geht Sachsen heute bereits nicht zuletzt bei den Versammlungseinschränkungen so weit, dass erste Vermutungen der Verfassungswidrigkeit im Raum stehen.

In Richtung der „rechten Seite von mir“, betonte sie nochmals, dass „ein Aufenthalt auf einer ITS keine AIDA-Kreuzfahrt“ sei, weil es ihr so vorkomme, als ob das von der AfD eher unterschätzt wird. Weshalb sie noch einmal auf einen Landtagsabgeordneten aus den Reihen der AfD zu sprechen kam.

Zum an COVID-19 erkrankten Ivo Teichmann, mit welchem die Grüne „noch vor wenigen Tagen intensiv gestritten“ habe, ob nun COVID-19 gefährlich sei oder nicht, sagte Kuhfuß nur: „Herr Teichmann, bitte berichten Sie, sobald es Ihnen wieder gutgeht, darüber, dass die Corona-Pandemie real ist und keine Verschwörung.“

Bei der anschließenden namentlichen Abstimmung stimmten CDU, SPD, Grüne und Linke dem Antrag der Staatsregierung gegen die Stimmen der AfD mehrheitlich zu, in Sachsen die „pandemische Lage“ nach dem neuen Infektionsgesetz des Bundes zu erklären.

15:07 Uhr war dann klar, es fanden sich zur Abstimmung 78 Ja-, 32 Nein-Stimmen und keine Teilnahme an der Abstimmung neun Landtagsabgeordnete.

Nun geht es in die Beratungen um die konkreten Maßnahmen, die am Freitag, den 10. Dezember 2021, verkündet und die bisherige Corona-Schutzverordnung (gültig bis 12. Dezember 2021) ablösen werden. Ab dem kommenden Montag soll dann also die neue Corona-Schutzverordnung gelten.

Bis dahin wird wohl deutlich werden, ob die gegen die Pandemie debattierten Maßnahmen wirklich noch härter als bislang werden – allgemein wird derzeit auch beobachtet, dass die jetzigen bereits erste Wirkungen zeigen sollen. Sicher scheint dies jedoch nicht angesichts massiver Meldeverzüge bei Neuinfektionen, überlasteten Gesundheitsämtern und somit schiefen Zahlen in den Statistiken des Freistaates.

Die Debatte vom 06.12.2021 im Landtag zum Nachhören

Audio (Beginn leicht gekürzt): LZ

Der Antrag der Staatsregierung Sachsen im Netz

Hintergrund zum Antrag/Erklärung der „pandemischen Lage“ in Sachsen

Diese Feststellung würde dem Land die Möglichkeit geben, von weiteren dringend zur Pandemiebekämpfung erforderlichen Befugnissen Gebrauch machen zu können. Im Unterschied zu der nach dem Auslaufen der Feststellung der epidemischen Notlage von nationaler Tragweite und dem Ende der o. g. Übergangsfrist eintretenden Rechtslage, wäre es dann möglich, folgende weitreichenden Schutzmaßnahmen nach § 28a Abs. 1 anzuordnen:

1. Anordnung eines Abstandsgebots im öffentlichen Raum,

2. Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (Maskenpflicht), 2a. Verpflichtung zur Vorlage eines Impf-, Genesenen- oder Testnachweises,

3. Kontaktbeschränkungen im privaten sowie im öffentlichen Raum,

4. Verpflichtung zur Erstellung und Anwendung von Hygienekonzepten für Betriebe, Einrichtungen oder Angebote mit Publikumsverkehr,

5. Untersagung oder Beschränkung von Freizeitveranstaltungen und ähnlichen Veranstaltungen,

6. Untersagung oder Beschränkung des Betriebs von Einrichtungen, die der Freizeitgestaltung zuzurechnen sind,

7. Untersagung oder Beschränkung von Kulturveranstaltungen oder des Betriebs von Kultureinrichtungen,

8. Beschränkung von Sportveranstaltungen und der Sportausübung,

9. umfassendes oder auf bestimmte Zeiten beschränktes Verbot der Alkoholabgabe oder des Alkoholkonsums auf bestimmten öffentlichen Plätzen oder in bestimmten öffentlich zugänglichen Einrichtungen,

10. Erteilung von Auflagen für das Abhalten von Veranstaltungen, Ansammlungen, Aufzügen, Versammlungen sowie religiösen oder weltanschaulichen Zusammenkünften.

Ausgeschlossen wäre die Anordnung von Ausgangsbeschränkungen, die Untersagung der Sportausübung, von bestimmten Veranstaltungen und Versammlungen sowie die Untersagung oder Beschränkung von Reisen, der Gastronomie und Beherbergung sowie von Betrieben, Handel und Gewerbe (§ 28a Abs. 8 Satz 1 IfSG).

Dadurch wird der Befugnisrahmen des Landes deutlich und entscheidend erweitert, sodass ihm effektive Schutzmaßnahmen, auch wenn diese hinter denen zurückbleiben, die während der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite zulässig wären, an die Hand gegeben werden. Die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme dieser Befugnisse sind zu schaffen.

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