Die jahrzehntealten Debatten um die Deregulierung des Arbeitsmarktes, die Schaffung eines Niedriglohnsektors und die Mobilisierung der „Arbeitskräfte“ haben gerade in Sachsen heftige Folgen gehabt. Jahrelang wurde der Freistaat mit dem Standortvorteil „Niedriglohnland“ beworben. Und wie schwer sich die sächsische CDU tut, davon Abschied zu nehmen, wurde am Donnerstag, 2. Juni, deutlich, als sie gegen eine Richtlinie des SPD-geführten Wirtschaftsministeriums zu Felde zog.

Das sächsische Kabinett hat diese Woche die Richtlinie des Wirtschaftsministeriums zur Förderung der gewerblichen Wirtschaft einschließlich der Tourismuswirtschaft im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Regionalen Wirtschaftsstruktur (GRW RIGA)“ neu gefasst.

Und Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig nutzte die Gelegenheit natürlich, um einige der Anforderungen mit hineinzuschreiben, über die auch Sachsens Regierung nun seit Jahren diskutiert. Denn es ist überfällig, Förderung an Unternehmen auch strikt an ökologische und soziale Faktoren zu koppeln.

Doch der Koalitionspartner CDU sah dafür keinen Bedarf.

„Eigentlich sollte die Neufassung der Förderrichtlinie sächsischen Unternehmen das Investieren nach Corona erleichtern“, erklärte postwendend der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Jan Hippold. „Stattdessen bremst das Wirtschaftsministerium Unternehmen nun aus. Die konstruktiven Hinweise aus der sächsischen Wirtschaft als auch der CDU-Fraktion des Sächsischen Landtags wurden kaum berücksichtigt.“

Welche Wirtschaft ist da eigentlich gemeint?

Welche sächsische Wirtschaft eigentlich? Die Unternehmen, die sich schon seit Jahren bemühen, ihr Personal mit fairen Löhnen zu halten, können nicht gemeint sein. Auch die nicht, die längst schon höhere Löhne zahlen, weil sie sonst überhaupt keine Fachleute mehr auf dem Arbeitsmarkt bekommen.

Die Zeiten, dass niedrige Löhne als Behelf galten, in einem von hoher Arbeitslosigkeit gebeutelten Bundesland möglichst viele Menschen trotzdem in Arbeit zu bringen, sind schon lange vorbei.

Die Weiche wurde schon im fernen Jahr 2010 umgestellt, als sich – nach den chaotischen Wirtschaftspolitiken der 1990er Jahre – als Folge die Ausbildungsjahrgänge in Sachsen halbierten und aus Unternehmen, die sich mit der Pinzette die besten Bewerber aussuchen konnten, Unternehmen wurde, die dankbar über jede einzelne Bewerbung waren.

Einige Unternehmen haben sich damals eingerichtet in der Haltung, dass sie mit billigen Arbeitskräften bessere Chancen im Wettbewerb haben. Dass diese immernoch den Ton in der „sächsischen Wirtschaft“ angeben, verblüfft, überrascht aber nicht. Denn oft genug sind gerade diese Unternehmen und ihre Lobbyverbände aufs Engste mit der CDU in Sachsen verquickt.

Mit dem Ergebnis, dass die regierende CDU immer noch durch ihre Brille auf den sächsischen Arbeitsmarkt schaut. Und peinlicherweise befürwortet sie dann auch noch die Abwesenheit von Gewerkschaften in den Unternehmen.

„Statt weiterhin nachvollziehbare Punkte für die Ausreichung der Fördermittel heranzuziehen, hat das Ministerium neue Kriterien als Fördervoraussetzung für Unternehmen festgelegt. Damit werden Unternehmen, deren Belegschaft nicht gewerkschaftlich organisiert ist oder die nicht mindestens 12,5 % Lohnsteigerung in den nächsten fünf Jahren garantieren, benachteiligt“, findet Hippold.

„Gerade in Krisenzeiten sollte sich Verwaltungshandeln an dem Grundsatz orientieren, dass Unternehmer Eigenverantwortung übernehmen sollen und können. Die Verwaltung sollte selbst zum Weichensteller und Dienstleister werden – aber so wird sie zum Bremsklotz.“

Faire Bezahlung und Klimaschutz sind überfällig

Was konkret hatte Martin Dulig in die Richtlinie geschrieben?

„Das Thema soziale Nachhaltigkeit ist seit vielen Jahre in der GRW RIGA verankert. Der Fokus lag hierbei bisher auf der Steigerung der Wertschöpfung pro Arbeitsplatz und der Verbesserung der Lebensverhältnisse in wirtschaftsschwachen Regionen“, meldete sein Ministerium am 31. Mai.

„Als alternative Fördervoraussetzungen bei der ausschließlichen Sicherung von Arbeitsplätzen werden Kriterien wie die Zahlung von Tariflöhnen bzw. tarifgleichen Löhnen oder der Anstieg des jährlichen Bruttolohnes um 2,5 Prozent innerhalb von fünf Jahren eingeführt.“

Die Zahlung von Tariflöhnen ist also ein alternativer Förderweg – parallel zur gesteigerten Wertschöpfung. Wobei sich beides nicht ausschließt.

Genauso wenig, wie es besseren Klimaschutz schon in den Unternehmen ausschließt. Dazu hatte das Ministerium gemeldet:

„Mit der Einführung eines sogenannten Bonusmodells wird ein Anreiz für einen Beitrag zum Klima- und Umweltschutz und zur Dekarbonisierung der Wirtschaft gesetzt. Das heißt, je nachhaltiger das Vorhaben bzw. das Unternehmen, desto höher ist die Förderung. Hierfür wird gemeinsam mit der SAB eine nutzerfreundliche, digitale Nachweisführung anhand anerkannter Kriterien erarbeitet. Die Bandbreite der Kriterien ist dabei sehr groß, deckt alle Bereiche von Nachhaltigkeit und förderfähigen Unternehmen ab. Neben dem Bonusmodell kann mit Inkrafttreten der neuen Richtlinie im Rahmen einer Investition auch die Erzeugung von erneuerbarer Energie (mitsamt Speicher) zum Eigenbedarf gefördert werden.“

Eine Frage der gesellschaftlichen Verantwortung

Dass die CDU ausgerechnet gegen Tarifbindung argumentierte, kam beim Koalitionspartner SPD ganz schlecht an.

„Eine erfolgreiche Wirtschaft braucht soziale und ökologische Leitplanken. Eine moderne Wirtschaftspolitik fördert innovative Unternehmen, die ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden“, erklärte darum Henning Homann, Sprecher für Wirtschaft und Arbeit der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, und wies die Kritik der CDU-Landtagsfraktion an der neuen GRW-Richtlinie der Staatsregierung deutlich zurück:.

„Ich bin verwundert, dass CDU-Vertreter immer wieder die Tarifpartnerschaft und starke Betriebsräte loben, sich aber dann in die Büsche schlagen, wenn es darum geht, die Tarifbindung durch eine kluge Förderpolitik zu erhöhen. Die beschlossene GRW-Richtlinie ermöglicht es Unternehmen, abhängig von der Größe und Lage, einen Investitionszuschuss von bis zu 45 Prozent zu beantragen. Da es sich um Steuergeld handelt, ist es regelrecht geboten, dafür von Unternehmen zu verlangen, dass Arbeitsplätze geschützt und gerechte Löhne gezahlt werden.“

Sachsen braucht mehr Tarifbindung

Und auch vom Deutschen Gewerkschaftsbund gab es deutliche Kritik an der Haltung der CDU.

„Mit den Zuwendungen sollen Investitionsanreize zur Schaffung und Sicherung von Dauerarbeitsplätzen in Sachsen gegeben werden. Die Zuwendungen nun verbindlicher an die Schaffung von tarifgebundenen Arbeitsplätzen oder tarifgleiche Vergütung zu binden, ist nicht nur sinnvoll, sondern überfällig“, betonte die stellvertretende Vorsitzende des DGB Sachsen, Daniela Kolbe, am Donnerstag.

Die Kritik der CDU-Fraktion verstehe sie nicht. „Wer in die Zukunft Sachsens investieren will, muss in gute Arbeits- und Entlohnungsbedingungen investieren. Ansonsten wird die Attraktivität Sachsens für Fachkräfte und für Unternehmen weiter schwinden. Billiglöhne und schlechte Arbeitsbedingungen sind schon lange ein Standortnachteil in Sachsen. Das müsste sich doch inzwischen auch bis zur CDU-Fraktion rumgesprochen haben.“

Unverständlich sei weiter, dass die CDU auf der einen Seite betont, wie wichtig Tarifverträge in Sachsen seien, wenn es konkret werde, aber gegen die konkreten Regelungen schieße und „mit Nebelkerzen werfe“.

„Die Beschäftigten in Sachsen machen sich für mehr Tarifverträge und damit auch für die Zukunft der Menschen und der Unternehmen in Sachsen stark. Die Politik darf die Beschäftigten und übrigens auch die tarifgebundenen Unternehmen dabei nicht im Stich lassen, sondern muss die konkreten Rahmenbedingungen schaffen, um die Tarifbindung in Sachsen flächendeckend zu erhöhen“, erklärte Kolbe. „Die Änderungen in der GRW -Richtlinie tragen dazu bei.“

Aufklärung aus dem Wirtschaftsministerium

Am 2. Juni schickte das Wirtschaftsministerium dann auch noch eine Klarstellung hinterher, die die mosernden Wirtschaftsverbände darauf hinwies, dass die Tarifbindung schon seit Jahren in den Förderrichtlinien steht und vor allem ökologische und Nachhaltigkeitskriterien neu aufgenommen wurden.

Auch Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Dulig zeigte sich entsprechend verärgert über die Diskussion: „Es ist schon beeindruckend, wie offensichtlich einzelne Wirtschaftsverbände und Parteien gegen bessere Löhne und Arbeitsbedingungen aufbegehren und versuchen, jede Reform im Sinne von guten Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu verhindern. Diese neuen, zusätzlichen Kriterien bedeuten weder eine Benachteiligung von Unternehmen noch den Ausschluss von Unternehmen. Ganz im Gegenteil, wir schaffen erweiterte, neue Möglichkeiten damit noch mehr Unternehmen, von der GRW-Förderung profitieren. Die neue Richtlinie senkt die Bürokratie und den Aufwand für Unternehmen, denn die Beantragung erfolgt künftig sogar im elektronischen Verfahren direkt über die SAB.”

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